Bayern kehrt zum G9 zurück

05.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:21 Uhr

München (dpa) Der Freistaat Bayern kehrt zum neunjährigen Gymnasium (G9) zurück. Mit dieser Entscheidung haben die CSU-Landtagsfraktion und die Staatsregierung am Mittwoch einen Schlussstrich unter jahrelange Diskussionen und teils heftigen internen Streit gezogen. Start der Reform soll zum Schuljahr 2018/19 sein, für die Klassenstufen fünf und sechs.

Die jetzigen Viertklässler, die in diesem Herbst aufs Gymnasium wechseln, werden also der erste Jahrgang des neuen G9 sein. Schüler sollen aber die Möglichkeit haben, die elfte Klasse auszulassen und weiterhin in acht Jahren zum Abitur zu kommen. Gleichzeitig mit der G9-Reform beschloss die CSU ein Bildungspaket für alle Schularten. Insgesamt sollen in den kommenden Jahren mehr als 2000 Stellen geschaffen werden, darunter gut 1800 Lehrerstellen. Ungefähr 1000 entfallen auf die Gymnasien und gut 800 auf die anderen Schularten zusammen, insbesondere auf die Förderschulen. Schulleiter werden entlastet. Dazu werden auch 150 Stellen für Verwaltungsmitarbeiter neu geschaffen.

Der Beschluss erfolgte fast einstimmig, bei einer Enthaltung von Ex-Parteichef Erwin Huber. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bezeichnete das gesamte Bildungspaket als historische „Generationen-Entscheidung“. „Ich glaube, dass das, was wir jetzt machen, Signalwirkung für ganz Deutschland haben wird“, sagte er. Im weiteren Verfahren werde es nun darum gehen, „das politisch Gewollte auch bestens umzusetzen“. Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) sagte zu dem Reformpaket: „Das ist jetzt etwas, was für ein Vierteljahrhundert trägt.“ Das Ganze sei „ein großer Wurf für die bayerische Bildungspolitik“, betonte er. Finanzminister Markus Söder (CSU) bezifferte die Kosten für das gesamte Paket auf 870 Millionen Euro, verteilt auf die kommenden Jahre bis 2025. Fraktionschef Thomas Kreuzer sprach von einem „großen finanziellen Kraftakt“, der nur wegen der guten Einnahmesituation und der verantwortungsvollen Haushaltsführung in den vergangenen Jahren geleistet werden könne. Deshalb könne man das „finanziell gut verantworten“.

Der Bildungsexperte der Fraktion, Gerhard Waschler, sagte, damit seien die Schulen in Bayern nun fit für die Zukunft. Bayern ist nach Niedersachsen das zweite Bundesland, das an Gymnasien die neunjährige Schulzeit wieder zur Regel macht. Unter Führung Seehofers macht die CSU damit eine Hau-Ruck-Entscheidung aus der Amtszeit von Edmund Stoiber rückgängig. Zum Schuljahr 2004/05 war das um ein Jahr verkürzte Gymnasium (G8) an den Start gegangen. Doch die Kritik am G8 war über die Jahre hinweg nie verstummt: Schüler seien überfordert, hätten keine Zeit mehr für Sport, Musik und Ehrenamt. Mehrere Reformversuche scheiterten - bis sich die CSU seit 2014 dem G9 immer mehr annäherte. Dennoch waren die Widerstände innerhalb der Landtags-CSU noch bis vor kurzem groß - und konnten erst durch die Verständigung auf das größere Bildungspaket minimiert werden. Das anstehende Gesetzgebungsverfahren gilt jetzt nur noch als Formsache.

Am neuen G9 soll der Nachmittagsunterricht deutlich reduziert werden. Informatik wird Pflichtfach, andere Fächer werden gestärkt. „Sehr wichtig“ ist Seehofer nach eigenen Worten die geplante „Überholspur“ für Schüler, die das Abitur auch weiterhin nach acht Jahren ablegen wollen. Mit entsprechenden Anreizen will die CSU dafür sorgen, dass dies von genügend Schülern angenommen wird. „Das muss im zweistelligen Bereich liegen und nicht im einstelligen“, sagte er. Der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbandes, Michael Schwägerl, sagte im Bayerischen Rundfunk: „Das zusätzliche Jahr wird den Schülerinnen und Schülern guttun. Es bewirkt größere Nachhaltigkeit, mehr Vertiefungsmöglichkeiten und wird die Qualität des Gymnasiums noch einmal steigern.“ SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher sprach von einem „Durchbruch“ in der bayerischen Bildungspolitik. Michael Piazolo (Freie Wähler) sagte: „Wir begrüßen, dass der G9-Zug nun endlich Fahrt aufgenommen hat.“ Thomas Gehring (Grüne) kritisierte allerdings Spaenles Aussage, wonach das neue Paket für ein Vierteljahrhundert trage. „Schule muss immer auf gesellschaftlichen Wandel reagieren und ist ein lernendes System“, betonte er. „Wer von 25 Jahren Ruhe träumt, verschläft die Zukunft.“

Bayern ist mit dem G9 nicht allein: Nachdem sich in der Vergangenheit fast alle Bundesländer dem internationalen G8-Standard angeschlossen hatten, gab es schon in einigen Ländern eine teilweise oder völlige Rückkehr zum G9. Niedersachsen ist wieder beim G9 - leistungsstarke Schüler haben aber weiterhin die Möglichkeit, ein Jahr früher Abi zu machen. Hessen und Schleswig-Holstein haben Wahlfreiheit eingeführt. Nordrhein-Westfalen bietet beide Optionen: G8 an Gymnasien und G9 an weiteren Schulen. In Baden-Württemberg wird in 44 Schulen G9 erprobt. In den ostdeutschen Ländern ist das Abi nach acht Jahren die Regel. Ursprünglich hatte die Staatsregierung eine Parallelführung von G8- und G9-Gymnasien angestrebt. Dieser Plan war aber in den vergangenen Monaten wegen Bedenken verworfen worden, das sei nicht umsetzbar.