Bauherr, Seelsorger, Freund der Musen

02.10.2008 | Stand 03.12.2020, 5:32 Uhr

Seit 17 Jahren ist Bruno Fess Ruhestandspfarrer in Pfaffenhofen. Gerne übernimmt er Aushilfen, ist aufgeschlossen für alles Neue – und gegen einen guten Schluck Wein und ein gutes Essen hat er nach wie vor nichts einzuwenden. - Foto: Hans-Georg Becker

Pfaffenhofen/Rohrbach (PK) Sonntagmorgen, 10.30 Uhr. Ein schüchternes Bimmeln ertönt in der Pfaffenhofener Spitalkirche. Die Sakristeitür öffnet sich, und es erscheint, in ministrantischer Begleitung, der Geistliche, der seit einigen Jahren um diese Zeit hier den Sonntagsgottesdienst feiert. Hoch gewachsen, kerzengerade Haltung, liturgisches Gewand, das einwandfrei nicht "von der Stange" kommt.

Als der junge Priester 1952 als zweiter Kaplan nach Pfaffenhofen versetzt wurde – damals waren zwei Kapläne in einer großen Pfarrei ganz selbstverständlich –, hatte er schon einiges hinter sich. Den Krieg hatte er auf dem Balkan mitgemacht, dann geriet er in französische Gefangenschaft. Eine unsäglich harte Zeit, im Lager starben die deutschen Soldaten wie die Fliegen – bei 100 Gramm Brot als kompletter Tagesration kein Wunder. Im Gefangenenlager in Orléans und Chartres konnte er das Theologiestudium aufnehmen, im so genannten Lagerseminar von Franz Stock.

Nach der Heimkehr das Studium im Priesterseminar in Dillingen, nach der Priesterweihe der erste Einsatz als Kaplan in Penzberg. "An der Front", möchte man fast sagen, aus zwei Gründen. Der eine war ein Vorgesetzter, den Fess im Rückblick einen "hochgradigen Psychopathen" nennt. Der zweite: Die Bergarbeiterstadt Penzberg war politisch tiefrot. Immerhin, als Fess schon bald nach Pfaffenhofen versetzt wurde, baten die Penzberger Kommunisten den Bischof per Brief, ihnen doch den Fess zulassen, mit dem könne man, wenngleich ein Pfarrer, reden.

In der Hallertau geriet der Kaplan in eine andere Welt. Eine ihm fremde Mentalität, eine andere Form der Religiosität mit skurrilen Begleiterscheinungen: Wenn etwa beim Männerbeichttag der Strom der Bußfertigen nicht abriss, obwohl immer nur zwei oder drei Männer vor dem Beichtstuhl warteten. Als ihm der Chef, Stadtpfarrer und Geistlicher Rat Lorenz Grimm, das Phänomen erklärte, fiel der Kaplan aus allen Wolken: Die vielen anderen saßen im Pfaffelbräu, wo sie sich von den Zurückkehrenden über den Stand des Andrangs unterrichteten ließen und sich erst dann, nach erfolgter Stärkung mit Weißwürsten und Bier, auf den Weg zum Beichtstuhl machten.

An das damalige Leben im Pfarrhaus erinnert sich Fess: "Das Pfarrhaus war vielleicht 100 Jahre alt schätzungsweise, und jeder hat nur ein Einzelzimmer gehabt, ohne fließendes Wasser, auf dem Stock hat unglücklicherweise noch ein älterer Herr mit zwei Frauen gewohnt, so dass man also dieses Etagenklo gemeinsam benutzt hat, Bad war überhaupt keines vorhanden, die Verhältnisse, nach heutigen Maßstäben, waren äußerst primitiv, aber man hat sich nichts gedacht."

Das Essen war gut und reichlich, was man damals gern akzeptierte. Die Hierarchie war eindeutig, der Pfarrer schaute auf Zucht und Ordnung, die Essenszeiten wurden streng eingehalten, was manchmal zur Qual wurde, wenn der Geistliche Rat mit einem seiner Spezialthemen ins Weitschweifige geriet. Aufgestanden wurde erst, wenn er das Zeichen gab. Insgesamt schaut Fess auf seine Pfaffenhofener Lehrjahre nicht ungern zurück.

Der Seelenbeschrieb

Als Leiter der damals noch ländlich-bäuerlichen Pfarrei Rohrbach von 1956 bis 1991 erwartete ihn seine eigentliche Lebensaufgabe. Auch hier stieß der junge Pfarrer auf Hallertauer beziehungsweise altbayerische Besonderheiten: auf den "Seelenbeschrieb" etwa, eine komplizierte Angelegenheit zur Osterzeit, die aus dem Abliefern der Beichtzettel beim Pfarrer bestand, verbunden mit der Ablieferung der pro Hof errechneten Menge an Eiern und Geselchtem.

Vor allem aber konnte Fess hier seine zahlreichen Talente voll entfalten: Als Bauherr der heute noch Richtung weisenden Kirche "Verklärung Christi auf dem Berge" des damals noch unbekannten Architekten Alexander von Branca, bei der Renovierung so gut wie aller zur Pfarrei gehörenden Kirchen, als Seelsorger, als Liturg und Verkünder der Heiligen Schrift, als feinsinniger Freund der Musen und als weltläufiger Reisebegleiter, wenn er mit seinen Rohrbachern auf Reisen ging, ob nach Paris oder nach Rom. Nicht zu vergessen die unvergesslichen Silvesterkonzerte, die Kirchenmusik und die Rolle als Autor von über 700 Ausgaben des Rohrbacher Kirchenzettels: eine enorme Leistung. Die unüberschaubare Reihe der Veranstaltungen auf höchstem Niveau in diesen dreieinhalb Jahrzehnten ist mit dem Wort "beeindruckend" nur unzulänglich beschrieben. Die Gemeinde dankte es ihm mit der Ernennung zum Ehrenbürger.

Seit 17 Jahren ist Fess nun Ruhestandspfarrer in Pfaffenhofen. Gerne übernimmt er Aushilfen, ist aufgeschlossen für alles Neue, kaum ein Thema, das ihn nicht interessieren würde. Gegen ein gutes Essen und einen guten Schluck guten Wein hat er nach wie vor nichts einzuwenden.

Am Sonntag, 5. Oktober, fällt der gewohnte Gottesdienst in der Pfaffenhofener Spitalkirche aus. Dann wird in Rohrbach mit dem Jubilar der 85. Geburtstag nachgefeiert. Um 10 Uhr ist in der Pfarrkirche der Festgottesdienst mit Bruno Fess, nach der Messe gibt die Pfarrei im Innenhof der Kirche mit einem Empfang ihrem ehemaligen Pfarrer die Ehre.