Altmannstein
Autonomes Ackern

Dienstleister in der Landwirtschaft: Preis- und Zeitdruck zwingen die Bauern, externen Service anzunehmen

18.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:22 Uhr
Letzte Instruktionen vor der Gülleausfuhr: Johann Gabler erklärt Thomas Paulus die Besonderheiten seines Ackers. −Foto: Missy

Altmannstein (DK) In der Fahrerkabine ist es eng und staubig, es wackelt und der Motor dröhnt. Wie das eben so ist, wenn ein Traktor mit einem Gülleanhänger über einen Acker fährt. Rechts neben dem Traktorfahrer piepst auf einmal ein Tablet.

Er nimmt seine Hände vom Lenkrad, um darauf zu tippen. Alle beide. Unbeirrt hält der Traktor weiter die Spur, wie an einer Schnur gezogen. Das Lenkrad gleicht Unebenheiten auf dem Acker wie von Geisterhand aus. Autonomes Fahren ist in der Landwirtschaft nicht die Zukunft, es ist die Gegenwart.

Was mittlerweile auch zur Realität der Landwirtschaft gehört, ist das Arbeitsverhältnis des Traktorfahrers. Der düngt nämlich gerade ein Feld, das ihm gar nicht gehört, denn er arbeitet für ein landwirtschaftliches Dienstleistungsunternehmen. Die Altmannsteiner Firma Wagner Kollerhof übernimmt gegen Rechnung wahlweise das Düngen, die Saatausfuhr, das Häckseln und die Ernte für Bauern aus der Umgebung - oder gleich das komplette Paket. Ein Lohnunternehmen in der Landwirtschaft: Aber ist es nicht das Markenzeichen der Landwirtschaft, dass die Bauern die Arbeit selbst verrichten? Die Zahl dieser Lohnunternehmen steigt in Bayern seit Jahren stark an. Während die Bauern mit Auflagen, einem schlechten Image, Kostendruck und Personalmangel kämpfen, symbolisieren die Dienstleistungsbetriebe einen Wandel in der Landwirtschaft. Doch sind sie die Lösung oder die Ursache der Probleme der Bauern?

Das traditionelle Bild von bayerischen Bauern, die im Schweiße ihres Angesichts mit ihrer Familie die eigenen Felder bestellen, ist nicht mehr aktuell. Wie zum Beweis dafür fährt Landwirt Johann Gabler mit einem Traktor des Lohnunternehmens Wagner zu seinem Hof in Deising, um Güllenachschub zu holen. Gabler, unscheinbares Auftreten unaufdringliche Stimme, steht für das ursprüngliche Bild vom Bauern. Landwirtschaft war für ihn schon immer Leidenschaft. Der Traktor rollt auf seinen Hof, während Gabler darüber sinniert, wie die Landwirtschaft einmal war. Derweil düngt ein Angestellter des Dienstleistungsunternehmens Gablers Feld. Was auf dem Feld des Ackerbau- und Milchviehlandwirts passiert, hat er nicht mehr komplett in der eigenen Hand. "Früher habe ich die Gülle auf meinen neun Feldern komplett alleine ausgetragen", erzählt Gabler. Das ist heute anders. Er steigt aus dem Traktor aus, schließt die Pumpe seines Güllesilos an den Transporter. Mehr als 500 Kubikmeter Odel sind im Silo, pro Fahrt bringt er 19 Kubikmeter zum Maisfeld. "Vor vier Jahren bin ich mit meinem Sechs-Kubikmeter-Güllefass hundertmal vom Hof zu den Feldern gefahren. Die Einarbeitung hat drei bis vier Tage gedauert. " Bevor er wieder losfährt, zieht er mit seinem Finger einen Strich in den Staub. Es ist die neunte Fahrt an einem Tag, an dem er einzig Gülle transportiert hat, mit dem Ackerbau an sich aber nichts zu tun hatte.

Johann Gabler würde seine Felder lieber alleine düngen. Entspannter sei es früher gewesen, auch billiger. "Die Landwirte haben mehr besessen und mehr selbst gemacht", sagt er. Heutzutage sind Lohnunternehmen für viele Landwirte aber die einzige Option. Der Gesetzgeber will, dass die Gülle nach dem Austragen innerhalb weniger Stunden eingearbeitet wird. Zusätzlich herrscht ein starker Preisdruck durch die Abnehmer. Die Konsequenz: Die Bauern müssen schneller und effizienter arbeiten. An Spezialisierung im Anbau kommen sie nicht vorbei, genausowenig an leistungsstarken Maschinen mit hoher Schlagkraft bei der Ackerbearbeitung. Die sind aber ziemlich teuer. "Der Zeitdruck ist so hoch, dass man qualitativ hochwertige Maschinen braucht. Die können sich aber die wenigsten leisten, sodass man praktisch gezwungen ist, ein Lohnunternehmen zu beauftragen", erklärt Gabler. Die Zeiten, in denen Bauern sich mit ihren Höfen selbst versorgten, sind lange vorbei, es gelten die Regeln der Marktwirtschaft: Kosten senken, Zeit sparen, Nutzen maximieren. Relativ neu ist, dass die Bauern alleine nicht mehr effizient genug sind. An einem Tag düngen zwei Angestellte und drei Maschinen von Wagner Kollerhof 18 Hektar auf neun Feldern. "Das ist die Zukunft", sagt Gabler und seufzt. "Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass man auf die Kenntnisse von anderen vertrauen muss. "

Dass man auf Rainer Wagner vertrauen kann, ist das Geschäftsmodell seiner Firma Wagner Kollerhof. Er ist ein Dienstleister, aber einer mit traditionellen Bauerntugenden. Über seinen Erfolg redet er nicht sonderlich gerne, das erledigt dafür sein Büro für ihn. Auf zwei Telefonen ruft andauernd jemand an, überall liegen Zettel, es kommt im Zehn-Minuten-Takt jemand zur Tür herein. Entscheidend ist für ihn, einen Mehrwert zu liefern. Wieder so ein Wort, das besser in den Dienstleistungssektor passt als auf einen Maisacker. Mit seinen autonom fahrenden Traktoren war Wagner einer der Vorreiter in der Branche. Das sorgt für Präzision beim Ackerbau und spart nicht nur Düngemittel, sondern auch Zeit. Seine 16 Angestellten bringen reichlich Landwirtschafts-Knowhow mit, das bestätigen die Bauern, die zu seinem Kundenkreis zählen. Einen Termin bei Wagner zu bekommen sei nicht einfach, heißt es. Wagner hat eine Marktlücke gefunden, als er die Firma im Jahr 2000 gegründet hat. Seitdem decke er den Bedarf an landwirtschaftlichen Dienstleistungen in einem Umkreis von 70 Kilometern ab, erzählt er. Profitiert da jemand von der Not der Bauern?

Wagner ist gelernter Kfz-Techniker und baute den Landwirtschaftsbetrieb seiner Eltern in ein Lohnunternehmen um. Wie ein klassischer Büroangestellter sieht er nicht aus, er spricht auch nicht so. "Der Kostendruck in der Landwirtschaft steigt immer weiter an, weil die Verbraucher immer günstigere Produkte wollen. " Die nötige Spezialisierung und kostendeckendes Arbeiten könnten Familienbetriebe nicht so gut bewältigen wie Großbetriebe, deswegen kämen die Bauern zu ihm. Alles super also, oder?

Mitnichten. Nicht nur, weil der Kostendruck der Landwirte auch seine Preispolitik bestimmt, wünscht sich Wagner mehr Akzeptanz vonseiten der Gesellschaft. So verhalten Wagner spricht, wenn es um seinen Betrieb geht, so leidenschaftlich argumentiert er, wenn es um den Stand der Landwirte in der Gesellschaft geht. "Der Verbraucher schreit nach regionalen Produkten, fordert immer mehr, will aber, dass wir billiger produzieren. Das ist doch ein Widerspruch. Mich macht das traurig. " Qualität habe schließlich ihren Preis.

Wagner sieht sich nicht als Profiteur der Zwickmühle, in der sich die Landwirte befinden. Für deren Situation kann er ja auch wirklich nichts. Tatsächlich stellt sein Service für viele Bauern eine Erleichterung dar.

Für Josef Finzl zum Beispiel. Der Ackerlandwirt baut Mais, Wintergerste, Weizen und Raps auf 25 Feldern an. Auf einem davon steht er und sieht einem Mais säenden Traktor von Wagners Firma zu. Müssen Saatkörner nachgefüllt werden, packt er mit an, ansonsten bleibt ihm die Rolle des Beobachters. "Natürlich ist man unabhängiger, wenn man selbst sät. Aber mit diesen autonom fahrenden Maschinen läuft es besser und schneller", erklärt Finzl. Wagners Firma bestellt das 4,7 Hektar große Feld in eineinhalb Stunden, Finzl hätte vier gebraucht. Vier Stunden seiner knappen Freizeit.

Denn Finzl arbeitet hauptberuflich in einer Öl-Raffinerie, den Ackerbaubetrieb stemmt er nebenbei und alleine. "In einem Betrieb dieser Größe hätten früher 20 Leute gearbeitet", sagt Finzl. Früher sei jeder in der Landwirtschaft beschäftigt gewesen, heute habe dieser Wirtschaftszweig einen schweren Stand. Finzls Erklärung dazu lautet: Der Nachwuchs will häufig die Betriebe nicht weiterführen. Die Landwirte müssen wegen des Kostendrucks mehr leisten, haben aber weniger Personal. Ergo: Es braucht leistungsstärkere Maschinen, die sich kaum ein Landwirt leisten kann. Und deshalb steht der Bauer neben seinem eigenen Feld und schaut einem Diensleister dabei zu, wie es seinen Acker bestellt.

Rainer Wagner steht weder auf dem Feld, noch steuert er einen Traktor. Er lebt die Landwirtschaft auch wenn er im Büro sitzt. Das Nachwuchsproblem treibt ihn ebenfalls um. "Es braucht eine bessere Akzeptanz der Bevölkerung für unsere Arbeit und unsere Produkte", fordert er. Statt angemessener Preise für hochwertige Produkte gebe es Auflagen mit teils zweifelhaftem Sinn und ein negatives Image. "Es wollen immer weniger in der Landwirtschaft arbeiten", hadert er. "Wer Bauer wird, macht das aus Leidenschaft für Tier und Natur. " Nur dargestellt werde das häufig ganz anders. Die Arbeit als Landwirt sei hart, die Entlohnung nicht übermäßig lukrativ. "Wenn niemand mehr als Bauer arbeitet, dann gibt es nur noch Produkte aus dem Ausland", prophezeit Wagner. "Da haben wir dann aber überhaupt keine Kontrolle mehr über die Qualität. " Wagners Kernthese lautet: Wenn Kunde und Gesetzgeber mehr Verständnis hätten, würde ein ganzes Berufsfeld attraktiver werden. Ein Beruf, der vermehrt mit hochwertiger Technik arbeitet.

Auf dem Feld in Hienheim verteilt ein Traktor, der sich selbst steuert, 90000 Körner und registriert genau, wo schon gesät wurde. In einer Datenbank können die per GPS vermessenen Felder abgespeichert werden, der Computer kann an diesem Tag aber keine Verbindung aufbauen. Die technische Entwicklung wird weitergehen, damit hat kein Landwirt ein Problem. Mit der Entwicklung des Stellenwerts der Landwirtschaft in der Gesellschaft dagegen schon.

Die Landwirte stehen mittlerweile häufig neben und nicht mehr auf ihren GPS-vermessenen Feldern. Ihre Analyse deckt sich mit der von Rainer Wagner. Die Landwirtschaftsbranche brauche ein besseres Image und mehr Akzeptanz von allen Seiten. Deshalb sind Lohnunternehmen für sie weder Ursache noch Lösung der Probleme. Sondern schlicht die Begleiterscheinung einer Entwicklung, in der sie zunehmend die Handlungsfähigkeit in ihrem Beruf verlieren.