Ingolstadt
Ausbildung in Weisweilers Namen

26.05.2010 | Stand 03.12.2020, 3:59 Uhr

Der Nachwuchschef bei den Profis: Das Praktikum im Rahmen der Fußballlehrer-Lizenz hat Ronnie Becht (rechts) bei der Drittliga-Mannschaft des FC Ingolstadt absolviert – hier mit Robert Braber. - Foto: FC Ingolstadt

Ingolstadt (DK) Nein, Ronnie Becht wartet nicht täglich auf den Anruf eines Bundesligisten, der einen neuen Trainer sucht – obwohl der Nachwuchschef des FC Ingolstadt formal alles für diesen Job mitbringt. Seit April besitzt der 36-Jährige das Fußballlehrer-Diplom des DFB.

Zehn Monate lang hat er für die höchste deutsche Trainer-Qualifikation an der nach dem Mönchengladbacher und Kölner Meistertrainer benannten Hennes-Weisweiler-Akademie gebüffelt – das heißt Theorie lernen, Trainingseinheiten leiten, analysieren, diskutieren, präsentieren, sogar filmen und Videomaterial schneiden. Becht hat erfolgreich abgeschlossen, was Michael Wiesinger, der FC 04-Cheftrainer, gerade frisch begonnen hat. Die Motive der beiden Übungsleiter unterscheiden sich aber. Wiesinger macht den DFB-Lehrgang, weil der Chefcoach eines Profiklubs die Trainerlizenz vorweisen muss. Becht möchte weiter Nachwuchschef bleiben: "Das ist mein Traumjob." Aber auch dafür braucht er das Diplom. Der DFB schreibt vor, dass jeder Verein für ein Nachwuchsleistungszentrum einen diplomierten Fußballlehrer in der Jugendabteilung haben muss.

Namhafte Kollegen

Mit 23 anderen Trainerlehrlingen drückte der studierte Sportwissenschaftler Becht nach bestandener Eignungsprüfung ab Juni 2009 in Köln die Schulbank. Mit dabei waren prominente Namen wie Christian Ziege und Markus Babbel, beide Europameister von 1996.

Durch Babbel, bis Dezember 2009 Chefcoach beim VfB Stuttgart, zog gerade dieser 56. Fußballlehrer-Lehrgang viel Aufmerksamkeit auf sich. Die sportliche Talfahrt der Schwaben wurde in der Öffentlichkeit immer wieder an Babbels lehrgangsbedingter Abwesenheit festgemacht. "In unserer Gruppe war das Theater um Babbel kaum ein Thema. Nur die emotionale Pressekonferenz nach seiner Entlassung haben wir im Fach Psychologie behandelt", erzählt Becht.

Den Zusammenhalt zwischen den angehenden Fußballlehrern lobt der Schanzer Nachwuchschef ausdrücklich. Die Gruppe war zwar mit Sportwissenschaftlern und bekannten Ex-Profis bunt gemischt, Starallüren habe sich aber niemand herausgenommen. "Wir waren gemeinsam bei der U21-EM in Schweden und haben die Teams analysiert. Dort haben wir jeweils zu acht in Bungalows gewohnt. Das hat uns richtig zusammengeschweißt."

Aufgebaut ist der Lehrgang, den seit 2008 Frank Wormuth (zuvor Trainer beim VfR Aalen und bei Union Berlin) leitet, wie eine Fußballsaison: Kaderplanung, Vorbereitung, Englische Wochen, Saisonfinale. In den Fächern Fußballlehre, Trainingswissenschaft, Psychologie und Pädagogik und Sportmedizin werden die Teilnehmer auf das Trainerleben getrimmt. Die angehenden Fußballlehrer behandeln alltägliche Fragen, wie das richtige Verhalten nach Niederlagen, und seltenere Phänomene, etwa den Lagerkoller im Trainingslager.

Von Montag bis Mittwoch läuft – abgesehen von Praktika – der Unterricht in Köln. Und es sind anstrengende Tage. Morgens um 8 Uhr geht es los, um 17.30 Uhr verlassen die Teilnehmer das Klassenzimmer. Feierabend? Fehlanzeige! Dann geht es auf den Fußballplatz. Die Übungsleiter-Azubis müssen Trainingseinheiten leiten – unter Beobachtung.

Der "Heiße Stuhl"

Immer vier künftige Fußballlehrer bilden die sogenannte "Mediagruppe". Sie filmen das Training und produzieren aus den Aufnahmen ein Video für den nächsten Tag. Becht und seine Kollegen mussten sich dann einzeln auf dem sogenannten "Heißen Stuhl" dem Urteil des gesamten Kurses stellen. "Die Analyse war oft hart, aber aus diesen Diskussionen konnte ich viel mitnehmen. Der Austausch untereinander war durch die vielen Trainer mit ihren verschiedenen Kompetenzen und Erfahrungen fast ebenso wertvoll wie der Lehrgang an sich", nahm Becht die Frontalkritik gerne in Kauf.

Der Schanzer Nachwuchskoordinator hat während der Lehrgangszeit parallel keine Mannschaft im Spielbetrieb betreut – anders als Babbel oder der Braunschweiger Torsten Lieberknecht. "Das war für mich schon einfacher. Der Druck auf den Trainer eines Profiklubs ist natürlich weitaus größer. Eine Niederlage am Wochenende ist kaum zu verarbeiten, wenn man am Montag schon wieder in Köln auf der Matte stehen muss", sagt Becht.

Aber auch er musste mit einer doppelten Belastung umgehen: "Mein Job beim FC Ingolstadt lief natürlich normal weiter. Wir stecken ja mitten im Aufbau des Nachwuchsleistungszentrums. Für den Lehrgang lernen konnte ich eigentlich nur im Zug, und vor den Abschlussprüfungen haben wir alle einige Nachtschichten eingelegt." Aber es hat sich gelohnt: Becht schloss mit der Note 2,0 ab, Lehrgangsbester wurde Mario Himsl, Trainer der Bundeswehr-Nationalmannschaft und Ex-Spieler des MTV Ingolstadt.

Das Thema Doppelbelastung wird auch auf Michael Wiesinger zukommen. In der Sommerpause ist das jetzt noch kein Problem. Während der kommenden Zweitliga-Vorrunde wird er aber häufig die Hälfte der Woche in Köln verbringen. Drei Tage wird die Trainingsarbeit also ohne den Cheftrainer ablaufen, negative Strömungen innerhalb der Mannschaft werden schwerer auszumachen sein, vielleicht schwindet die Autorität. Probleme könnte es viele geben, muss es aber nicht – das haben Lieberknecht oder im Lehrgang zuvor St. Paulis Holger Stanislawski bewiesen.

"Wiesinger ist Profi genug"

Auch Becht möchte sich an derlei Spekulationen nicht beteiligen: "Bleibt der sportliche Erfolg aus, ist es immer leicht, den Lehrgang vorzuschieben. Aber ich bin mir sicher, dass Michael die Zeit in Köln gut bewältigen wird." Mittlerweile seien die Ausbildung und die Präsenzzeiten gut auf die Bedürfnisse aktiver Profi-Trainer abgestimmt.

Mit Wiesinger hat sich Becht über den Lehrgang bislang nur selten unterhalten. Dafür fehlte im Drittliga-Endspurt meist die Zeit. Und Tipps brauche Wiesinger sowieso nicht: "Da ist er Profi genug." Die Trainer-Hierarchie loyal einzuhalten, hat Becht in Köln offenbar auch gelernt.