"Aus Göttern Teufel gemacht"

29.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:09 Uhr

Im Interview erklärt die Volkskundlerin Erika Eichenseer die Entstehung von abergläubischen Riten und Bräuchen:

Frau Eichenseer, als Geschichtenerzählerin und Volkskundlerin begegnen Ihnen ja viele Geschichten, Mythen, aber natürlich auch Aberglaube?
Erika Eichenseer: Ich befasse mich sehr viel mit den Geschichten und Mythen von Franz Xaver von Schönwerth. Er wurde 1810 in der Oberpfalz geboren und hat sich nicht nur mit Geschichten und Märchen in der Oberpfalz beschäftigt, sondern auch mit dem alten Glauben, mit Brauchtum, Tieren, Sternen und vielen Phänomenen. Aberglaube ist aber auch heute noch ein sehr heißes Eisen, weil man immer noch Angst hat, dass er wieder aufkommen könnte. Für Schönwerth waren damals Mensch, Tier und Pflanzen gleichberechtigter Teil der Natur. Er hätte es gewünscht, wenn man den alten Glauben an die Götter, die man bei der Christianisierung zu Teufeln umgewandelt hatte, wiederbeleben könnte.

Ja, aber wie drückt sich jetzt dieser Aberglaube aus?
Eichenseer: Aberglaube sagt man, ist ein falscher Glaube. Jedes Volk mit ausgeprägtem Religionssystem bezeichnet die Gegensätze, die der Glaube anderer Völker bringt, als Aberglauben. Da geht es natürlich auch um Macht und Herrschaft, das darf man nicht vergessen. Aber das Ganze kommt ja aus einer anderen Gesinnung heraus. Wir haben heute auch noch Teile vom Aberglauben in unserem Brauchtum drin. Wenn wir bloß an des Schießen an Silvester, an die Feuerräder zur Sonnwendfeier, die man über die Berge runterrollen lässt, denken, das sind lauter so Relikte, dass man durch Knallen, Krachen und Licht Geister verscheuchen könnte.  Oder die Zeit von Barbara bis Walpurgisnacht am 30. April. Der Barbaratag hat in früheren Zeiten zur Vorsicht gemahnt: "Pass auf, jetzt kommt eine gefährliche Zeit, und die dauert bis Walpurgis, wo die Hexen auf dem Blocksberg tanzen! " Unsere christlichen Brüder haben das Barbarafest dann für sich deklariert. Wir stecken dürre Zweige ins Wasser, die dann bis zum Heiligen Abend hin austreiben und Blüten tragen.

Sind Sie denn selber auch abergläubisch?
Eichenseer: Nein, ich bin überhaupt nicht abergläubisch. Schon bei der schwarzen Katze weiß ich nie, wann die Unglück bringt. Kommt sie von rechts oder von links? Aber wenn Sie den Ritualen nachgehen, dann kommen Sie tatsächlich auf Dinge, die erstaunlich sind. Dass die wirklich eine Wurzel haben, dass die wirklich einen Anlass gehabt haben. Das haben die Menschen früher genau gewusst. Heute sind das oft nur noch leere Zeichen, denn die abergläubischen Bezüge wissen die Leute nicht mehr. Warum mache ich das? Warum räuchere ich an Dreikönig mein Haus aus? Warum gehe ich nicht unter einer Leiter durch? Warum suche ich bei Gewitter Schutz unter Buchen? Das ist alles altes Wissen.

Wie hat sich dieses alte Wissen denn erhalten?
Eichenseer: Oft durch mündliche Überlieferungen. In früheren Zeiten durften ja normale Menschen, gescheide Menschen, kein Wissen haben. Die haben nicht lesen dürfen, das Wissen hat in Klöstern bleiben müssen, damit die alten Weisheiten steuerbar waren. Den alten Glauben hat man einfach auf den Kopf gestellt und den Menschen gesagt: "Ihr seids ja Wahnsinnige, ihr glaubt ja das ganz Falsche". Dann hat man angefangen, aus den Göttern Teufel zu machen und aus weisen Frauen Hexen. Daher kommen diese unglaublichen Dinge raus, die eigentlich das Christentum sehr arg begleitet haben, also Inquisition, Hexenverbrennung und so weiter. Aber auf etlichen heidnischen Tempeln und Kultstätten sind trotzdem im Lauf der Christianisierung Kirchen gebaut worden. Zum Beispiel kann man zu hundert Prozent annehmen: Wenn in einer christlichen Kirche ein Brunnen drin ist, dann steht der auf einem uralten Kultplatz.

Wie passen denn Christentum und Aberglaube zusammen?
Eichenseer: Es ein Wesen der Christianisierung gewesen, dass man heidnische oder vorchristliche Bräuche genommen und ein christliches Fest draufgesetzt hat. Zum Beispiel Weihnachten, zum Beispiel Ostern? Wenn man am Gründonnerstag ein Ei aus dem Nest holt, ist das von sich aus geweiht, im christlichen Sinne. Aber es gibt auch den Gockel, dem die Kinder die Füße waschen, damit er das Ei beim "Legen" nicht dreckig macht mit seinen Haxen, und in Wondreb in der nördlichen Oberpfalz darf so ein Hahn nicht älter als sieben Jahre alt werden, denn dann wird er so gscheid, dass er die Sprache der Menschen versteht, und in seinem Ei wächst ein Untier heran, das grüne Ei.

Das Inteview führte

Steffi Kammermeier.


ZUR PERSON
Die frühere Realschullehrerin Erika Eichenseer, geboren 1934 in München, ist Autorin, Volkskundlerin und Märchenforscherin. Außerdem beschäftigt sie sich mit Mundartdichtung. DK-Archiv