Ingolstadt
Aufrechter Gang und Geschäft

Sigi Zimmerschied über Moral bei den Ingolstädter Kabaretttagen

09.02.2014 | Stand 02.12.2020, 23:06 Uhr

Zelebriert das Nachdenken darüber, wo es heutzutage noch Moral und Anstand gibt: Sigi Zimmerschied in Ingolstadt - Foto: Löser

Ingolstadt (DK) Sigi Zimmerschied spielt in einer eigenen Liga. Sein aktuelles Programm „Der multiple Lois – Einwürfe eines Parasiten“, das er mit der Wucht eines Orkans ins Auditorium der Eventhalle schleudert, beweist das eindrücklich. Es ist die Verschiebung des grandiosen „Herrn Karl“ von Helmut Qualtinger und Carl Merz aus dem Jahr 1961 in die Jetztzeit, dessen Umsiedlung von Wien nach Passau.

Hier wie dort ist die Hauptfigur Mitläufer, Denunziant, Opportunist, Parasit, Erpresser, ein von Missgunst zerfressener, korrupter Charakter, der aber, wie er meint, dafür nichts kann. Das Vorbild durch den Vater, die Umwelt, die Umstände, die katholisch-bornierte Erziehung, das durch den korrupten Onkel vorgelebte schlechte Beispiel sind schuld daran, dass er ist, wie er ist. Überhaupt sind alle schuld, nur er nicht.

Was Zimmerschied aus dem Stoff macht, ist schlicht grandios. Hat Qualtinger die Menschen seiner Zeit damit gezwungen, in den Spiegel zu schauen, hält Zimmerschied ihn nicht nur uns, sondern auch sich selbst vor. Es ist ja auch ein Problem, den richtigen Weg zu finden, und Ausreden für den falschen gibt es viele. Man lasse sich ja nur auf die Umstände ein, man gehe ja nur mit der Situation entsprechend um, man habe doch das Recht, sich per Durchwursteln über Wasser zu halten. Ab wann aber beginnt die Lage moralisch bedenklich zu werden? Ein permanent hochwassergefährdetes Kellerloch ohne Ansehen der Person aber mit um so gierigerem Blick auf die Mehreinnahmen an Flüchtlinge, Kommunisten, Neo-Nazis und Yuppies zu vermieten, ist für den Lois korrekt. Für uns natürlich nicht.

Und für Zimmerschied selbst, dessen eigene Vita man ja in der des Lois wiederfindet? Der springt nach vielen Jahren der Ignoranz durch den Bayerischen Rundfunk über seinen Schatten und entschließt sich zu einer Zusammenarbeit, was zu einer Win-Win-Situation führt mit Vorteilen, die man ihm selbstverständlich gönnt. Aber er macht sich durchaus Gedanken, die sich andere noch nie machten, in wie weit nämlich aufrechter Gang und Geschäft unter einen Hut zu bringen sind. Dass sich da postwendend das schlechte Gewissen meldet, ist verständlich. Der Mann hat wenigstens eines, überlegt hin und her und lässt uns Gott sei Dank daran teilhaben.

Die tolle schauspielerische Leistung, die ganz dem Charakter der Figuren angepasste artifizielle bis derbe Sprache, die knallharten Pointen, die kunstvolle Architektur des gedanklichen Gebäudes entlang einer historischen Zeitschiene und des eigenen Lebenslaufs – das ergibt ein wahrlich denkwürdiges Programm. Wie gesagt: Zimmerschied spielt in einer eigenen Liga.