München
Aufgeplusterte "Schwejk"-Show

Frank Castorf inszeniert Haseks "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" am Residenztheater München

10.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:59 Uhr

Verwirrende Bildersprache in Frank Castorfs Inszenierung "Die Abenteuer des guten Soldaten Schwejk im Weltkrieg" nach Jaroslav Hasek. Im Bild: (v. l.) Franz Pätzold als Oberleutnant Lukas, Nora Buzalka als Etelka Kakonyi und Aurel Manthei als Josef Swejk. - Foto: Horn

München (DK) Als kurz vor Mitternacht, nach einem sich quälend hinziehenden fünfstündigen Theatermarathon, die Schauspieler sichtlich am Ende ihrer Kräfte waren, da brauste enthusiastischer Applaus auf - zumindest von dem Teil des Premierenpublikums, der bis zum Ende aller Schrei-, Tobsuchts-, Show- und Video-Orgien auf der Bühne durchgehalten hatte. Rund die Hälfte der Zuschauer suchte bereits vor und in der Pause das Weite, um nicht nochmals zweieinhalb künstlich aufgeplusterten Stunden mit all den ausufernden Regieeinfällen von Frank Castorf ausgeliefert zu sein.

Bei Bert Brechts "Baal"-Version, die der Intendant der Berliner Volksbühne vor Jahresfrist ebenfalls im Residenztheater inszeniert hatte, untersagten die Brecht-Erben nach der Premiere und einigen wenigen Folgevorstellungen weitere Aufführungen, da Castorf allzu freizügig mit dem Stück umgegangen war. Die Rechte-Inhaber der Werke des tschechischen Autors Jaroslav Hasek wissen vermutlich - noch - nichts von Castorfs ebenfalls (über-)reichlich eigenmächtiger Bearbeitung des 1921 bis 1923 erschienenen vierbändigen Romans "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk", mit dem der Autor weltberühmt wurde.

Jaroslav Hasek hat aufgrund seiner Erfahrungen als Soldat der Tschechischen Legion in Russland und später in der Roten Armee die Figur des k.u.k. Anti-Militaristen Josef Schwejk als schlitzohrigen Offiziersknecht erfunden, der seinen Vorgesetzten stets ein Schnippchen schlägt, indem er auch die widersinnigsten Befehle auf das Korrekteste ausführt. Doch in Castorfs Version, der seine Bearbeitung fürs Theater "Die Abenteuer des guten Soldaten Svejk im Weltkrieg" betitelt hat, ist diese Militärsatire zu einer banalen Vorlage für bilderpralle Showszenen nach dem Motto "Oh, what a lovely war" geronnen.

Da torkeln, brüllen und geifern besoffene Generäle in Fantasiekostümen (Franz Pätzold, Paul Wolff-Plottegg und Jürgen Stössinger) wie der skurrile Antiheld Josef Swejk (Aurel Manthei) ebenso über die mit grellen Lichteffekten illuminierte Bühne wie die reichlich überzeichneten Maulhelden, Kriegsgewinnler und Hasardeure (Götz Argus, Marcel Heuperman und Arthur Klemt). Die Frauen (Bibiana Beglau, Nora Buzalka, Katharina Pichler und Valery Tscheplanowa) sind nur herrische Hausdrachen oder naiv-sündige Huren auf High Heels in Revuegirlklamotten.

Die unvermeidlichen, bis zum Überdruss eingeblendeten Videosequenzen projizieren das Geschehen in dem auf der Drehbühne rotierenden und in permanenten Bühnennebel getauchten Gewirr von Feudalsalon, Offizierskasino, Wachtturm, Eisenbahnlazarett und allerlei Kriegsgerät hinterm Palisadenzaun (Aleksanar Denic) mit Handkameras live und verwackelt auf die Leinwände. Ein Overkill an Action.

Dazu kommen noch Zitate aus der Weltliteratur, von Goethes "Faust" bis zu Ernst Jüngers "Stahlgewittern" sowie Sexfantasien älterer Herren, Exkurse über "sakrale Unterhosen" und Gulaschrezepte. Mick Jagger darf als Kriegsinvalide auftreten, während schier endlose Monologe von Weltverbesserern und Filmeinblendungen historischer Wochenschauen von Schlachten des Ersten Weltkriegs bis zum Atombombenabwurf über Hiroshima über die Leinwände flimmern. Dies alles soll wohl das Remmidemmi auf der Bühne kontrastieren. Was die Leuchtreklamen und die Werbespots für Coca-Cola und Pepsi-Cola bedeuten, erschließt sich dem Zuschauer freilich nicht.

Der 65-jährige Frank Castorf wollte die theaterinteressierten Bildungsbürger halt wieder einmal schocken. Doch die beabsichtigte Provokation läuft mangels eines klaren Konzepts ins Leere. Dabei wäre der Kern von Castorfs Regieidee gar nicht so schlecht: in schrillen Szenen aufzuzeigen, wie jeder Krieg die Menschheit ins Elend stürzt und letztlich nur körperliche und seelische Krüppel übrig bleiben. Für diese zwar nicht mehr ganz neue, aber traurige Erkenntnis hätten zwei, auf das Wesentliche komprimierte Theaterstunden genügt.

Weitere Vorstellungen am 14., 23. und 24. April. Kartentelefon: (089) 21 85 19 40 und im Internet: tickets@residenztheater.de.