Neuburg
Auf unerforschten Wegen

James Carter und sein Organ Trio begeistern im Neuburger Birdland

31.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:06 Uhr

Lotet sein Instrument bis zur klanglichen Apokalypse aus: Saxofonist James Carter, hier mit Alexander White. - Foto: Erl

Neuburg (DK) Was treibt diesen Mann am Saxofon bloß an, so eine Musik, solch brodelnden Jazz zu produzieren? James Carter ist zweifellos ein Ausnahmetalent, bei dem Instrument und schöpferische Fantasie in einer Sternstunde des Schicksals zusammengefunden haben. Er spielt alle Varianten des Saxofons, als wären sie eigens für ihn geschaffen worden, und er ist der Mann, der die Weite und Tiefe des Instruments bis hin zur klanglichen Apokalypse ausloten darf.

Nicht etwa sanft tastend und forschend, sondern mit aller Vehemenz, voller körperlicher Dynamik und schonungslos sich selbst gegenüber.

Aber nicht nur er, auch seine beiden Begleiter Gerard Gibbs an den Tasten der Hammond B 3 und Alexander White an den Drums agieren, als würden sie aus einem Starkstromkabel gespeist. Die beiden sind kongeniale Partner mit der gleichen verrückten Besessenheit wie Carter. Fast drei Stunden lang haben sie die Bühne des Birdland-Jazzclub in Neuburg im Rahmen des 6. Birdland Radio Festivals für sich alleine. Die Plätze im legendären Jazzkeller sind längst ausverkauft, das Publikum ist im Durchschnitt um Jahrzehnte jünger als sonst.

Das James Carter Organ Trio braucht kein langes Warm-up, White fetzt mit einem minutenlangen Schlagzeugsolo im Drehmoment eines Hochleistungsmotors los, Carter jagt die in Atome zerhackten Noten aus dem Schalltrichter seines Saxofons hinterher, und Gibbs' Fieberimpulse aus seinem Tastenkasten fetzen zusätzlich über die Leute hinweg. Bereits ihr erstes Stück klingt wie eine Zusammenfassung des gesamten Abends.

Carter presst Töne in kaum mehr hörbaren Frequenzen aus dem Sopransax und phrasiert so geschwind, wie der Drummer seine Sticks wirbeln lässt, nur um später die gemeinsamen Fantasien langsam und versöhnlich ausklingen zu lassen. Alle drei zusammen produzieren Jazz in einer wilden, experimentellen Form, weit ab vom Gefälligkeitsdenken der Massen. Das Trio geht ganz eigene und - aufgrund der Experimentierfreude von Carter an seinem Sax - noch weitgehend unerforschte Wege. Sein Saxofon ist geduldig. Es ächzt, stöhnt, seufzt, klappert und hustet nach den Wünschen seines Meisters und schwingt sich doch wieder zu klaren, hellen Tönen bis hin zu trommelfellzerreißender Schrillheit auf.

Aber Carter und seine beiden Mitspieler können auch verspielt, verträumt und schmeichelnd sein - mit der gleichen Intensität, mit der sie andere Töne ins Chaos jagen. Und wieder ist es das Saxofon, in dem die akustische Bandbreite vom Schiffsnebelhorn bis zu paradiesischen Sphärenklängen und die Abbruchkante zum akustischen Wahnsinn so unglaublich nahe beisammen liegen. Der geschwungene Messingkörper ist Carters Spielzeug zum Herumalbern in Tönen und Klängen.

Das Publikum ist in dieses Experimentierfeld mit einbezogen. Carter lässt sich von der engen Verbundenheit anstacheln und heizt mit abenteuerlichen Phrasierungen samt eingesprenkelten Klicklauten und Tonsprüngen zusätzlich ein. Er und seine Begleiter schonen sich nicht, nur bis zur heftig erklatschten Zugabe brauchen sie ein paar Minuten, um wieder zu Atem zu kommen.