Berlin
Auf Mutprobereise

Märchenhaft gut: Das Berliner Figurentheater Zitadelle präsentiert einen Livestream von "Bei Vollmond spricht man nicht"

16.05.2021 | Stand 23.09.2023, 18:39 Uhr
Der König (Daniel Wagner) ist so mit Regieren beschäftigt, dass er keine Zeit für seine Tochter Lora hat. −Foto: Zinnecker

Berlin - Dieser König hört einfach nicht zu!

Weder bei der Audienz noch zu Hause. Im ersten Fall schmettert er gedankenlos die Sorge des Zwergs um Strukturwandel im Bergbau ab, im zweiten Fall ist er so mit Regieren beschäftigt, dass seine Frau ihn verlässt und er auch nicht merkt, dass Töchterchen Lora auf Mutprobereise geht. Und damit geht die eigentliche Geschichte los. "Bei Vollmond spricht man nicht" heißt das Stück, dass sich Anna Wagner-Fregin und Daniel Wagner vom Berliner Theater Zitadelle ausgedacht haben und im Rahmen des internationalen Figurentheaterfestivals als Livestream zeigten.

Der Titel führt in die Irre, denn um den Vollmond geht es gar nicht. Es ist nur so, dass Lora ihren Vater vor lauter Arbeit nicht oft zu Gesicht bekommt. Nur beim Essen. Und da sind Gespräche verboten. Denn: Mit vollem Mund spricht man nicht. Bei Lora wird daraus: Bei Vollmond spricht man nicht. Und weil sie auch sonst recht eigenwillig ist, stürzt sich die Prinzessin in ein märchenhaftes Abenteuer. Dabei trifft sie drei depressive Zwerge, die arbeits- und antriebslos sind, seit der König ihr Bergwerk schließen ließ und stattdessen auf "So-la-la-Energie" setzt. Sie wird von Hexe Gundula in ihrem "architektonisch relevanten" Hexenhaus eingesperrt und vom trampeligen Riesenbaby Mariesa kräftig durchgeschüttelt. Und weil sich Prinz Siggi aus der Nachbarschaft als ziemlich feige entpuppt, muss Lora sich (fast) ganz allein aus allen gefährlichen Situationen retten. Das tut sie mit Mut, Geschick und Herzensgüte und erringt dadurch neben Selbstvertrauen neue Freundschaften fürs Leben.

Fabelhaft ist das Spiel von Anna Wagner-Fregin und Daniel Wagner (Letzterer war schon mehrfach beim Jungen Theater Ingolstadt zu Gast), denn sie zeigen weit mehr als ein Märchen. Ihre Geschichte verhandelt nicht nur Themen aus der Lebenswelt von Kindern (arbeitende oder abwesende Eltern, Trennung, traditionelle Rollenbilder), sondern überschreitet immer wieder mit Lust die Grenzen zwischen Schau- und Puppenspiel. Da hat der Menschenkönig eine zierliches Puppentöchterchen. Da hat Lora plötzlich eine Männerstimme, weil Anna Wagner-Fregin ja schon die Hexe führt und spricht und deshalb Daniel Wagner einspringen muss. Da ermahnt das Riesenbaby den Schauspieler, nur ja nicht auf das Spielmaterial zu trampeln. Da taucht von irgendwoher plötzlich die gestiefelte Katze aus einem anderen Märchen auf und erkundigt sich lässig, wie das so läuft mit dem Livestream. Mit Witz und Leichtigkeit werden Figuren, Stimmen, Dialekte, Spielweisen gewechselt und Kulissen geschoben, Puppen getauscht oder gemeinsam geführt oder ein Schattenspiel-Intermezzo eingefügt. Es ist ein Spiel auf verschiedenen Ebenen und voller überraschender Verwandlungen und unerwarteter Verstrickungen.

Wie im Märchen üblich, gibt's am Schluss ein Happy End. Der König übt sich in Achtsamkeit gegenüber Königreich und Familie. Die Königin kehrt zurück. Und Lore ist glücklich: Denn am Mittagstisch werden endlich mal alle wichtigen Dinge besprochen.

DK


Anja Witzke