Auf einmal läuft's

Der FC Ingolstadt im Aufwind: Das sind die Gründe.

06.05.2019 | Stand 02.12.2020, 14:02 Uhr
Riesenjubel: Innenverteidiger Björn Paulsen (links), der beim FCI immer mehr zum großen Stabilistor der Abwehrkette wird, und der aufblühende Torjäger Darío Lezcano jubeln nach dem souveränen 3:0-Erfolg beim Hamburger SV. −Foto: Bösl

Drei Trainer weg, Sportdirektor weg, Geschäftsführer weg: Der FC Ingolstadt hat in der laufenden Zweitliga-Saison schon einiges hinter sich. Geholfen hat lange Zeit nichts. Aber seit das Trio Tomas Oral, Michael Henke und Thomas Linke übernahm, befinden sich die Schanzer im Aufwind. Das sind die Gründe.

Ingolstadt (DK) Die Fußballanhänger des FC Ingolstadt reiben sich verwundert die Augen. Was ist nur plötzlich mit den Schanzern los? Die können ja wieder Fußball spielen und gewinnen! Seit Tomas Oral auf Betreiben des Übergangssportdirektors Thomas Linke als vierter (!) Chefcoach dieser Saison das Ruder übernahm und mit seinem früheren Partner Michael Henke wieder die Kommandos gibt, läuft es beim krisengeschüttelten FCI. Noch ist zwar nichts erreicht, aber nach Monaten der Agonie herrscht bei den abstiegsbedrohten Ingolstädtern wieder Hoffnung und Lebensfreude. Zudem haben es die Schanzer nach 13 Punkten aus den vergangenen 5 Spielen nun selbst in der Hand, den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga zu schaffen. Wir erläutern einige Gründe.
 

TEAM


"Die Mannschaft hat sich diese Bezeichnung wieder verdient", sagt Chefcoach Oral. Lange hat's gedauert. 31 Profis hat der FCI in dieser Saison bereits eingesetzt, aber eine verschworene Elf stand selten auf dem Platz. Oral hat es mit seiner emotionalen und bestimmten Art geschafft, schnell ein Team zu formen. Er holte den ausgemusterten Ex-Kapitän Marvin Matip zurück und integrierte den zuvor links liegengelassenen Stefan Kutschke ins Spielsystem. Dazu förderte er durch die Einbeziehung der Geschäftsstellenmitarbeiter in das Projekt Klassenerhalt ein neues Gemeinschaftsgefühl.

 

 

TAKTIK


Bereits am siebten Spieltag stand der FCI auf einem Abstiegsrang. Doch im Abstiegskampf wähnten sich die Schanzer lange nicht. Stets hörten Spieler und Trainer das Lob der Konkurrenten und wie viel Potenzial in ihrem Kader steckt. Selbst Trainer Jens Keller attestierte seinem Team noch: "So spielt kein Tabellenletzter." Erst Oral rückte ab vom Ballbesitzfußball, den die technisch versierten Spieler zwar phasenweise zeigen, aber nicht effektiv umsetzen konnten. Jetzt heißt es klar: gemeinsam verteidigen, Zweikämpfe gewinnen und Umschaltsituationen nutzen - so wie beim 3:0 beim Hamburger SV, als zwei Treffer nach Kontern und überragenden Einzelleistungen Darío Lezcanos und Thomas Pledls fielen.

 

 

 

 

TOR


Alleine Philipp Tschauner mit dem Umschwung in Verbindung zu bringen, wäre ungerecht. Schließlich lieferten davor auch Marco Knaller, Philipp Heerwagen und Fabijan Buntic ordentliche Spiele ab, hatten jedoch das Pech, in den Phasen im Tor zu stehen, als die gesamte Defensive nicht funktionierte. Jetzt bekommt der Keeper deutlich weniger zu tun und blieb schon viermal ohne Gegentreffer. Glück für Tschauner, der wie seine Kollegen auch manche Unsicherheit zeigte, jedoch dank seiner Erfahrung gut mit der gegenwärtigen Situation umgehen kann und jetzt zudem die Unterstützung des gesamten Trainerteams und seiner Mitspieler genießt.

 

 

 

ABWEHR


Da ist besonders viel passiert. Frederic Ananou, Marvin Matip, Benedikt Gimber und Lucas Galvao hieß die Wunsch-Abwehrkette von Trainer Stefan Leitl. Dann folgten Verletzungen, Personalwechsel, Dreierkette - und schließlich der Neustart unter Oral, der ein wenig auch zu seinem Glück gezwungen wurde. Aufgrund der Verletzungen von Mergim Mavraj und des begnadigten Ex-Kapitäns Matip rückte Rechtsverteidiger Björn Paulsen nach innen - ein Schachzug, der sich als Glücksgriff erwies. Nach anfänglichen Problemen in Duisburg fand sich der vielseitige Däne schnell auf der Innenverteidigerposition zurecht und wurde dank seiner Kopfball- und Zweikampfstärke zuletzt zum Krieger in der Schlacht - nicht nur optisch ein echter Wikinger im FCI-Trikot. Dazu erfüllte Nothelfer Jonatan Kotzke meist zuverlässig seine Aufgabe, als Mavraj fehlte. Der zuvor häufig zu verspielte Paulo Otávio steigerte unter Oral vor allem seine Defenisvleistung und agiert wesentlich konzentrierter und konsequenter. Und schließlich erlebte auch Phil Neumann seine Wiederentdeckung. "Er hat große Möglichkeiten, aber er muss gefördert werden", meint Co-Trainer Michael Henke, der noch vor seinem Abschied mit dem 21-Jährigen gearbeitet hatte.

 

 

 

MITTELFELD


Die sogenannte "Flache Vier" hat sich unter Oral etabliert. Der 46-Jährige überraschte unter anderem mit der taktischen Maßnahme, Marcel Gaus neben dem zuletzt etwas unauffälligeren Kapitän Almog Cohen als Sechser aufzubieten. Der 29-Jährige zahlte das Vertrauen nicht nur mit zwei Toren zurück, sondern sorgte mit seinem unermüdlichen Einsatz auch für die von Oral geforderte defensive Stabilität. "Wir arbeiten die Qualität des Gegners weg, indem wir defensiv sehr gut stehen und uns gegenseitig unterstützen. Das hat sich in den vergangenen Wochen entwickelt - und ich hoffe nicht zu spät", stellt Gaus fest. Selbst Topscorer Sonny Kittel ist sich nicht mehr für die Arbeit gegen den Ball zu schade. Auch der passsichere Konstantin Kerschbaumer zeigte zuletzt aufsteigende Form. Zudem blüht Thomas Pledl (drei Tore in fünf Spielen) nach seinem fixen Wechsel zu Bundesligist Fortuna Düsseldorf regelrecht auf. Der 24-Jährige kam unter Oral viermal als Einwechselspieler zum Einsatz und steht damit für eine weitere entscheidende Änderung: Anders als unter Keller bringt Oral nun mit Pledl, Robin Krauße oder Christian Träsch frischen Schwung von der Bank.

 

 

 

 

ANGRIFF


Vier Tore und eine Vorlage in den jüngsten fünf Partien: Lezcano ist wieder unersetzlich für die Schanzer. "Du musst in der 2. Liga lange suchen, dass du so einen Stürmer findest", meint Oral, der den Paraguayer vor allem mit Einzelgesprächen wieder in die Spur brachte. "Er braucht die Wertschätzung und das Vertrauen, dass er unangefochten die Nummer eins da vorne ist", sagt der 46-Jährige über den Angreifer, der vor Orals Verpflichtung achtmal in Folge ohne Treffer blieb. Auch Stefan Kutschke hat trotz seines etwas unglücklichen Auftritts in Hamburg seine Rolle in der Mannschaft gefunden. In den möglichen Relegationsspielen ist der Stoßstürmer mit seiner energiegeladenen Spielweise unverzichtbar.