stadtgeflüster
Auf dem Pferd in die Zukunft

21.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:47 Uhr

(reh) Dem ollen Kaiser Wilhelm wird ein Zitat zugeschrieben, das mit Jahrzehnten Abstand scheinbar alle Rückwärtsgewandtheit in einem Satz zusammenfasst.

Wie er schon oft zitiert worden ist, soll seine kaiserliche Hoheit das Ende des 19. Jahrhunderts erfundene Automobil für eine Modeerscheinung gehalten haben. Er tat kund, er setzte bei der Wette auf die Mobilität der Zukunft - wie auf der Rennbahn - lieber auf die Rücken der Pferde; was ihn allerdings freilich danach nicht davon abhielt, mit modernstem Kriegsgerät (Fliegern, Schiffen und sogar einem Sturmpanzerwagen) im Ersten Weltkrieg agieren zu lassen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der Selbstfahrer hat sich, wie man inzwischen weiß, nicht nur im Ländle des von Herrn Benz erfundenen Automobils und des von Herrn Daimler erfundenen Lastkraftwagens durchgesetzt, sondern auch in der Mitte Bayerns, an der Donau, kam irgendwann die Zukunft an. Wenngleich das schon in Form des hier ansässigen und vielen Schanzern Lohn und Brot spendenden Fahrzeugherstellers erst über den Umweg Ostdeutschland passiert ist. Doch seit 70 Jahren ist hier zusammen, was ganz eindeutig zusammengehört, wie man die Automobilproduktion in Ingolstadt umschreiben kann.

Seit längerer Zeit nun laufen wieder Wetten auf die Mobilität der Zukunft, wobei sich das rein fachlich (Elektro, Brennstoffzelle, Nuklearreaktion oder was auch immer) ganz anders ausnimmt als real auf der Straße. Dort lassen sich die vierrädrigen Elektrovehikel noch fast an zwei Händen abzählen, während sich die mobile Revolution eher auf "zwei Reifen mit einer Batterie" beschränkt: Fahrräder en masse und auch schon 300 dieser Leihtretroller, die kreuz und quer überall in der Stadt herumstehen. Wobei das maximal Revolutionäre daran ist, dass inzwischen wohl immer weniger Fahrraddiebstähle im Nachtleben zu verzeichnen sind, da sich mobilitätsbedürftige Nachtschwärmer einen Scooter mieten können, statt ihr Leihgefährt für den Heimweg zu entwenden. Neue Bevölkerungsschichten erobern die jungen "Scooteristi", indem sie mit der Freundin illegalerweise zu zweit auf dem Roller unterwegs sind, statt diese - ebenso illegal - auf dem Gepäckträger des Fahrrads mitzunehmen.

Das soll die Mobilität der Zukunft sein? Das fragen sich nicht nur die französischen Behörden, die Roller zu Dutzenden aus der Seine in Paris fischen mussten, sondern immer lauter auch die Verantwortlichen hierzulande, die mit den Wildwüchsen zu kämpfen haben. Die Sorgen ziehen sich übrigens quer durch alle politischen Lager und haben mit Klassenkampf rein gar nichts zu tun. Solidaritätsbekundungen sind an der Tagesordnung. Gerade jetzt erst wieder, als der SPD-Kreisvorsitzende Christian De Lapuente bei einem Unfall unsanft von einem dieser Scooter flog und sich verletzte. Da mag mancher wirklich denken: Hätte der Kaiser doch besser recht behalten. Mit Pferden wäre uns das alles nicht passiert.