Ingolstadt
Auf Augenhöhe mit der Kunst

13.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:21 Uhr

Farbrausch: Der blaue Raum (rechts) mit Arbeiten von Camille Graeser, Joseph Marioni und Hans Jörg Glattfelder (von links) ist Favorit der kleinen Besucher. An Christian Froschs gelbem Farbeimer (unten links) erfährt man etwas über Malerei ohne Pinsel. Gerne erzählt Ausstellungsmitorganisatorin Annika Berndtsen (oben), was es mit den vielen Quadraten auf Reiner Kallhardts Bild auf sich ha - Fotos: Derstroff, MKK

Ingolstadt (DK) Man kann hier über Mathematik sprechen – zum Beispiel vor Camille Graesers Bild „blau-weiß, 1/48 bewegt“, bei dem ein genau berechnetes blaues Quadrat waghalsig von der Fläche springt.

Über Gewicht – bei Wilhelm Kochs aufgeblasenem Gummiobjekt, das sich schwer und leicht zugleich wie eine schwarze Leinwand bauchig zum Betrachter wölbt. Über Farblehre vielleicht – denn wirklich, Rainer Kallhardts Bild scheint „unüberschaubar bunt“, lebt aber von der Beziehung der Farbwerte in den unzähligen Quadraten. Und bestimmt über das Wesen reiner Malerei, wie Christian Frosch sie mit einem Eimer mit gelber eingetrockneter, eingerissener Farbe demonstriert. Konkrete Kunst für Fortgeschrittene? Nein, Konkrete Kunst für Kinder! Denn für die ist die Ausstellung „eckig, rund und bunt“ mit solchen Werken im zweiten Stock des Museums für Konkrete Kunst gedacht; das merkt man daran, das alles auf Kinderaugenhöhe hängt und steht. Und dass man als Erwachsener unversehens kindlich-freudige Entdeckerlust verspürt beim Anblick all der bunten, plakativen, exemplarischen Exponate. Ja, hier geht’s um Lust und um Entdecken, von Farbe und Form, von Ideen und Einfällen – und eher nebenbei um Mathematik, Gewicht, Farblehre und reine Malerei.

Miriam Fuggenthaler, Museumspädagogin am Haus, hat die bunte Schau entwickelt, die natürlich, wie die Werke selbst, innerer Struktur und Ordnung folgt. Zum Beispiel dadurch, dass die Exponate nach Farbgruppen, ja beinah nach dem Farbkreis angeordnet sind: Nach einem ersten weißen und vor dem letzten schwarzen (die Nichtfarben!) Raum geht’s in eine Abteilung mit Exponaten in den Grundfarben, dann hin zu einer Gruppe in Rot, Orange und Gelb, weiter zu Blau in allen Schattierungen und Techniken, in eine grüne Welt danach. Zur Ordnung gehört auch, dass diese Ausstellungsstücke zwar kräftig leuchten, eine Überladung aber durch kluge zahlenmäßige Beschränkung und singuläre Hängung ausgeschlossen ist. Und dass jedes einzelne ausgesuchte Werk bei aller Attraktivität sehr exemplarisch ein wichtiges konkretes Thema transportiert – neben Farbe und Form etwa Materialität, Raum, Interaktion und Illusion.

Für Erwachsene ist das eine verdichtete Lehrstunde zur Konkreten Kunst, für die Kinder aber offenbar reinstes Vergnügen. Favorit bei den Familienführungen bisher, erzählt Fuggenthaler, ist das quadratmetergroße Bild in blau, das der renommierte New Yorker „radical Painter“ Joseph Marioni mittels Schüttung der Farbe auf die Leinwand schuf. Aber auch das Video der deutschen Kunstprofessorin Monika Brandmeier, die im „weißen Raum“ einen flirrenden Riesenreißverschluss auf den Boden oder das sich flugs darauf hinlegende Kind projiziert, kommt bestens an. Bilder aus Moos, wie das des Niederländers Herman de Vries, die im gleichen, dem grünen Raum, hängenden runden Besenstücke Ottmar Hörls oder eines der „Spielobjekte“ Dieter Hackers (hier darf man mit weißen Handschuhen angetan ein flaches Plexiglaskästchen schütteln, worauf das Spüli darin konkrete Muster gebiert), lassen staunen und machen Spaß. Letzteres übrigens auch dem erwachsenen Gast, der sich einerseits an einer sehr ästhetischen Anordnung bekannter Arbeiten in neuen Zusammenhängen freuen kann und andererseits viele Arbeiten noch nicht kennt. Für sie selbst, sagt Miriam Fuggenthaler, sei die Suche im Depot nach den schönsten, buntesten und aussagestärksten Exponaten „ein Gang ins Paradies“ gewesen.

Der erwartet die jungen Gäste dann ganz zum Schluss der Schau. Das „Kreativlabor“ im hinteren Foyer des zweiten Stocks ist ein wahres Wunderland. Glanz-, Transparent- und Tonpapier warten hier, Stifte, Kreiden und Klebebänder, Scheren und Lineale, Garne und Stöckchen, Farblupen und Fotos. Man kann und darf Wände bemalen, Magnetwände bestücken, Fenster bekleben, einfach nach Herzenslust der Farbe frönen und experimentieren. Längst ist das mittige Geländer von bunten Wollfäden umsponnen, schon prunken die Wände mit den Ergebnissen kindlicher Kreativität. Und fast spürt man sie als Erwachsener auch da wieder: die eigene kindliche Neugier und Entdeckerlust.