Justiz ausgebremst
Audi und VW entbinden wichtigen Zeugen im Dieselbetrugsprozess nicht von Schweigepflicht

25.01.2022 | Stand 22.09.2023, 23:27 Uhr
Der wegen Betrugs angeklagte Giovanni P. (l) mit seinem Anwalt zu Prozessbeginn in München. −Foto: Balk, dpa

München - Der Münchner Audi-Prozess um den Dieselbetrug drehte sich am Dienstag - Tag 95 in dem Verfahren - einmal mehr in der Technikschleife. Geladen war ein gerichtlich bestellter Gutachter, um Fragen zu beantworten.

Seinen Bericht hatte er bereits im November abgegeben. Im Mittelpunkt steht der Aspekt, inwieweit unzulässige Abschalteinrichtungen in der Abgastechnik von Audi-Fahrzeugen eingesetzt waren. Doch auch hinter den Kulissen des sich hinziehenden Prozesses tut sich einiges - und belegt, dass Audi und VW entgegen anderslautenden Beteuerungen keineswegs "vollumfänglich" mit der Justiz kooperieren.

Wie der Konzern bei der Aufarbeitung des Dieselbetrugs verfährt, zeigt eine Mitteilung an die 5. Große Strafkammer am Landgericht München II von vergangener Woche. Ein wichtiger Zeuge - er hätte vermutlich sehr viel über Audi-interne Vorgänge nach Bekanntwerden des Dieselskandals beitragen können - wird der Zeugenvorladung für den 8. Februar nicht folgen, erfuhr unsere Zeitung. Der Rechtsanwalt einer großen Kanzlei sollte über seine Kenntnisse als juristischer Berater der Audi AG bezüglich der Ermittlungen zu den Abschaltvorrichtungen sprechen. Er teilte dem Gericht jedoch mit, dass er von seinen Mandanten - also Volkswagen und Audi - "nicht von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden" worden sei. Mit anderen Worten: Er wird nichts sagen, weil der Konzern ihn ausgebremst hat.

Dieses Vorgehen passt ins Bild, das die Verteidiger des Angeklagten Giovanni P. kürzlich in einem Beweisantrag gezeichnet hatten. Sie erkannten auf ein "System der Vertuschung" bei Audi und VW, die Vorstandsebene sei bei der Klärung der Schuldfrage explizit ausgeklammert worden. Unliebsame Zeugen, die Führungskräfte belasten könnten, sollen mit "sehr, sehr viel Geld mundtot gemacht" worden sein. Die Verteidiger Klaus Schroth und Walter Lechner wollen zwei hochrangige Manager - einen früheren und einen künftigen VW-Vorstand - im Zeugenstand sehen, um diese Vorwürfe zu belegen. Schroth sprach am Dienstag erneut von "skandalösen Vorgängen bei VW", als er seinen Antrag präzisierte. Alle Vorstände bei Audi und VW hätten schon lange über die Vorgänge Bescheid gewusst. Das Gericht hat bisher nicht über den Antrag der Verteidiger entschieden.

Der Name von Ex-Audi-Chef Rupert Stadler, dem prominentesten der vier Angeklagten in dem Betrugsprozess, fiel zwar nicht, doch der Vorstoß zielt nicht zuletzt in seine Richtung. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Autos mit manipulierter Abgastechnik in Europa noch verkauft zu haben, als der Skandal längst aufgeflogen war. Das bestreitet Stadler. Mit ihm sitzt - neben Giovanni P. und dessen früherem Untergebenen Henning L. - der ehemalige Porsche-Vorstand und Audi-Motorenchef Wolfgang Hatz auf der Anklagebank. Er soll für den Dieselbetrug mitverantwortlich sein, weist das jedoch zurück. Er sei gar nicht mehr bei Audi gewesen, als es dazu kam.

Hatz' Verteidiger Gerson Trüg und Jörg Habetha bestimmten den gestrigen Verhandlungstag, als sie den Sachverständigen Thomas Heinze "in die Mangel" nahmen. Laut Gutachten des Experten hatte es Abschaltvorrichtungen in Audi-Dieselmotoren gegeben - Dinge, die "physikalisch nicht nachvollziehbar" gewesen seien, wie Heinze es formulierte. Trüg und Habetha hatten ihm aber unterstellt, für seine Arbeit Datensätze verwendet zu haben, die erst nach Ausscheiden ihres Mandanten bei Audi relevant gewesen seien. Heinze will jedoch in älterer Software ebenfalls Schaltvorrichtungen entdeckt haben.

Die Anwälte warfen dem Sachverständigen am Dienstag unter anderem vor, von Szenarien und Vorgaben ausgegangen zu sein, die es in der Realität gar nicht gebe. Anderseits soll Heinze unterschlagen haben, dass gewisse Modi in der Abgastechnik eventuell dazu gedient hatten, Ablagerungen zu vermeiden, also Bauteilschutz gewesen sein könnten. Der Gutachter soll am 22. Februar noch einmal gehört werden.

DK

Horst Richter