Nürnberg
Auch an Bord nur mit Mord

Krimiautor Jan Beinßen schätzt die französische Lebensart und den Müßiggang einer Reise mit dem Hausboot

02.06.2021 | Stand 07.06.2021, 3:33 Uhr
Kapitän Beinßen auf seinem Hausboot, unterwegs auf französischen Kanälen. −Foto: Beinßen

Nürnberg - Jan Beißen kehrt Franken in seinem neuesten Werk den Rücken und sticht in Frankreich mit einem Hausboot in See.

Ein Mord darf auf der romantischen Schiffsreise natürlich nicht fehlen. Wir haben mit dem fränkischen Krimi-Autor aus Herzogenaurach nicht nur über gemeine Viren und enge Schleusen, sondern auch über die französische Lebensart und das besondere Lebensgefühl als schreibender Schiffskapitän gesprochen.

Herr Beinßen, ist Ihnen Franken zur Verbrechensbekämpfung nicht chic und mondän genug oder warum haben Sie als Krimi-Autor auch noch Frankreich ins Visier genommen?
Jan Beinßen: Meine Wahlheimat Franken bleibt für mich immer an erster Stelle, und ich möchte weder die Ausflüge in die Fränkische missen, noch die herrlichen Abende im Biergarten. Trotzdem schaue ich gern mal über den Tellerrand und hier speziell nach Frankreich, seit Jahrzehnten unser bevorzugtes Reiseland.

Warum ausgerechnet Frankreich?
Beinßen: Uns gefällt die französische Lebensart, die französische Küche und natürlich der Wein, den man nach ausgiebiger Probe direkt beim Winzer kauft.

Und wie sind Sie darauf gekommen, Ihren französischen Kommissar Keller ausgerechnet auf ein Hausboot zu verfrachten?

Beinßen: Dafür gibt es gleich zwei gute Gründe: Einmal, weil wir selbst sehr gern mit dem Hausboot unterwegs sind. Ich glaube, es gibt keine Form des Reisens, die mehr entschleunigt und dazu einlädt, die Seele baumeln zu lassen.
Erzählen Sie mehr. . .
Beinßen: Einfach schön, sich gemächlich von Kanalschleuse zu Kanalschleuse treiben zu lassen, zwischendurch auf dem Sonnendeck zu dösen und sich abends einen Liegeplatz irgendwo in freier Natur zu suchen. Bestenfalls mit einem kleinen Dorf in der Nähe, wo man sich morgens frische Baguettes holen kann.

Und der andere Grund?
Beinßen: Das Hausboot gibt meinem Detektiv Konrad Keller die Möglichkeit, nicht nur in einer Region Frankreichs zu ermitteln, sondern überall dort, wo es schiffbare Wasserstraßen gibt.

Also fast überall in Frankreich?
Beinßen: Ja, es gibt unzählige Kanäle und Flussabschnitte, die mit Hausbooten befahren werden können, egal ob in der Bretagne oder nahe der Côte d'Azur. Diese schmalen Wasserstraßen sind uralt, etwa so wie der Ludwigskanal in Franken, aber weiter funktionsfähig. Alle paar Kilometer stößt man auf eine Schleuse, von denen viele noch per Hand bedient werden. Wenn man vorankommen will, sollte man den Schiffsdiesel nicht zu spät anlassen, denn um zwölf macht der Schleusenwärter Mittagspause - dann heißt es geduldig warten. Das ist aber gerade das Schöne am Hausbootfahren: Spätestens am zweiten Tag hat man den Alltagsstress abgelegt, akzeptiert den Müßiggang des Schleusenpersonals und setzt andere Prioritäten als möglichst viele Kilometer zu schaffen.

Verleidet Ihnen das Schreiben von Mordgeschichten an Bord nicht das Reisevergnügen?
Beinßen: Überhaupt nicht! Die Ruhe und Gemütlichkeit fördern die Kreativität sogar. Zuhause kommen mir die besten Ideen beim Joggen oder Wandern. Das funktioniert an Deck, wenn die Landschaft an einem vorbeigleitet, mindestens genauso gut. Und das Schreiben am Notebook in der Kajüte, während das Schiff sanft schaukelt, ist einfach wunderbar. Manchmal gibt es selbst bei Hausboottouren einen Nervenkitzel. Ich werde nie vergessen, wie ich einmal früh morgens zum Essenholen in einen kleinen Ort nahe der Anlegestelle gegangen bin und beim Zurückkommen tiefrote Rinnsale an der Bordwand entdeckte. Was war passiert? Etwa ein Mord? Glücklicherweise nicht. Am Vorabend hatten wir an Deck Wein aus einem Kanister getrunken, und beim Einschenken war einiges daneben gegangen. Kein Blut also, sondern leckerer Côtes du Rhône (lacht).

Plötzlich selbst als "Capitaine" das Steuerrad übernehmen zu müssen, ist trotzdem sicher furchtbar gefährlich?
Beinßen: Nein, gar nicht. Die Boote erreichen höchstens die Geschwindigkeit eines gemächlichen Radfahrers und lassen sich relativ gut manövrieren. In Frankreich braucht man nicht mal einen Führerschein, um sich einen solchen Kahn zu leihen. Kurze Einweisung durch den Verleiher, und schon kann es losgehen. Trotzdem sollte man das Handbuch durchblättern, denn auch auf Wasserstraßen gibt es Verkehrsregeln, die man einhalten muss. Die Bootswände sind mit dutzenden Fendern geschützt. Das ist auch nötig, denn manch ein Freizeitkapitän stößt schon mal gegen eine Schleusenwand.

Für Ihren neuesten Fall sind Sie durch das Burgund geschippert und schreiben wieder von allerlei Köstlichkeiten wie Dijon-Senf und Boef-Bourguignon. Gibt es bei Ihnen an Bord wirklich immer so viele Leckereien zum Essen?
Beinßen: Ehrlich gesagt nein. Das wäre uns zu aufwendig. Unser Standardgericht an Deck sind Spaghetti Bolognese. Wenn wir aber in einer Stadt anlegen, bleibt die Bordküche kalt und wir suchen uns ein nettes Lokal, um die regionale Küche zu testen. Gerade das Burgund hat da ja sehr viel zu bieten. Die im Buch genannten Gerichte und Rezepte haben wir natürlich ausprobiert - ein sehr angenehmer Teil der Recherche.

Eine tragende Rolle spielt auch eine junge Französin mit blonden Haaren und blauen Jeansshorts. Gibt es solche Fluss-Tramperinnen an den Kanal-Schleusen wirklich oder alles nur Esprit und Fantasie?
Beinßen: Tramperin Odile entspringt meiner Fantasie. Ich stand nämlich vor der Frage, wie ich Hausbootfahrer Keller und die junge Odile zusammenführe. Konrad Keller bereist die Kanäle Frankreichs seit dem Tod seiner Frau allein, in den Schleusen braucht man aber mehr als nur zwei Hände: Jemand muss das Steuer bedienen, jemand anderer Taue über die Polder werfen, um das Schiff zu sichern. Da kommt "Tramperin" Odile ins Spiel, die Keller beim Schleusen hilft und anschließend darum bittet, ein Stück mitgenommen zu werden. Konrad Keller, ehemals Hauptkommissar in Nürnberg, war mit seiner Frau Helga übrigens schon vor seiner Pensionierung mit dem Boot unterwegs. Nun führt er diese Leidenschaft allein oder streckenweise in Begleitung eines seiner erwachsenen Kinder fort.

Wo und wann kommen Ihnen an Bord die besten Einfälle - haben Sie einen Lieblingsplatz auf den Kanalbooten?
Beinßen: Manche Ideen fallen vom Himmel, wenn ich am Steuer stehe und die Landschaft an mir vorbeiziehen lasse: Wälder und Felder, schroffe Felsen und liebliche Blumenwiesen, verschlafene Dörfer und lebendige Städte. Andere Einfälle kommen mir beim Apéritif an Deck mit Blick auf die untergehende Sonne, die sich auf dem Wasser spiegelt.

Zum Abschluss müssen Sie uns noch verraten, was das mit dem Pseudonym auf sich hat. Kaufen die Leute einfach mehr Franzosen-Krimis von Autoren mit französisch klingendem Namen, oder wie?
Beinßen: Ja, so einfach ist das! Die meisten hierzulande erscheinenden Frankreichkrimis stammen aus den Federn deutscher Autoren, die unter Pseudonym schreiben. Bei mir sind es sogar zwei: Als Jean Jacques Laurent verfasse ich seit einigen Jahren Elsass-Krimis und nun als Jules Besson die Hausboot-Reihe mit bisher zwei Bänden. Das ist manchmal etwas verwirrend - aber es macht großen Spaß, sich eine neue Identität ausdenken zu dürfen.

Ganz zum Schluss die unausweichliche Corona-Frage: Muss Ihre nächste Kanalfahrt wegen der Pandemie ins Wasser fallen oder haben Sie den nächsten Kahn schon gechartert?
Beinßen: Auf dem Hausboot ist man als Familie oder mit einem befreundeten Paar unter sich, eine bessere Isolation gibt es fast nicht. Im Corona-Sommer 2020 war das Hausbootfahren in Teilen Frankreichs möglich, und ich bin zuversichtlich, dass es auch dieses Jahr so sein wird. Die Branche erlebt - genau wie das Campen - gerade einen regelrechten Boom. Wer sich aufs Hausbootfahren einstimmen möchte, hat mit meinen Romanen eine gute Vorlage, denke ich. Ahoi!

HK

Das Gespräch führteNikolas Pelke