Atempause

Kommentar

10.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:22 Uhr

Spanien und Europa haben eine Atempause bekommen. Carles Puigdemont ist nicht zum Äußersten gegangen. Der Präsident Kataloniens hat gestern Abend in seiner mit Spannung erwarteten Rede vor dem Parlament in Barcelona auf die befürchtete Ausrufung der Unabhängigkeit verzichtet.

Ob ihn die Demonstrationen der Gegner dieses weitreichenden Schritts am Wochenende zum Innehalten veranlasst hat oder die massive Präsenz der spanischen Sicherheitskräfte, die die Zentralregierung in Madrid nach Barcelona beordert hat, die Aussicht, abgesetzt und womöglich festgenommen zu werden, oder der schwindende Rückhalt in seinen Reihen - man weiß es nicht. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat jedenfalls keinen Zweifel daran gelassen, dass er es ernst meint. Dass er die Abspaltung mit "harter Hand" verhindern wird.

In der Einleitung seiner Rede schlug Puigdemont zwar versöhnliche Töne an, in der Sache jedoch ist er unnachgiebig. Er glaubt weiter, seine Legitimation aus einem Referendum ziehen zu können, das verfassungswidrig war und demokratischen Standards nicht im Ansatz gerecht geworden ist. Was auch an der Blockade aus Madrid und dem brutalen Einschreiten der Guardia Civil lag, gewiss. Das aber ändert nichts an dem Ergebnis: Ein undemokratischer und (völker-)rechtswidriger Akt kann keine Basis sein für einen so weitreichenden, ja selbstmörderischen Schritt, der nicht nur das kleine Katalonien politisch und wirtschaftlich ins Chaos stürzen würde. Puigdemont und seine Getreuen leben in einer Scheinwelt.

Dass er zunächst darauf verzichtet hat, zum Äußersten zu gehen, eröffnet nun ein neues Zeitfenster, das klug genutzt werden muss. Auch von der Zentralregierung in Madrid. Es ist verständlich, dass sich Brüssel bislang nicht auf eine Vermittlerrolle eingelassen hat, um die Separatisten nicht aufzuwerten, aber auch um Mariano Rajoy nicht in den Rücken zu fallen.

Eine Unabhängigkeit hätte jedoch auch schwerwiegende Folgen für die gesamte Europäische Union. Es ist deshalb zu begrüßen, dass Ratspräsident Donald Tusk gestern an Puigdemont appelliert hat, die Verfassung zu achten. Nun sollte die EU in den sauren Apfel beißen und sich mit Nachdruck als Mediator aufdrängen. Ja, aufdrängen. Denn schlimmstenfalls droht im EU-Mitgliedsland Spanien ein Bürgerkrieg. Und das geht uns alle an.