Eichstätt/Ingolstadt (DK) Der katholischen Kirche fehlt der Priesternachwuchs. Im Bistum Eichstätt fiel die Priesterweihe in diesem Jahr sogar aus. Die Laienorganisation „Wir sind Kirche“ schlägt deshalb vor, das Priesterseminar als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen.
Wie der Sprecher von „Wir sind Kirche“ in der Diözese Eichstätt, Walter Hürter, sagt, müssten dort eigentlich „über 100 Zimmer leerstehen“. Wenn diese den Asylbewerbern zur Verfügung gestellt würden, so Hürter, wäre das ganz im Sinne des Papstes.
Franziskus hatte vor ziemlich genau einem Jahr Diözesen und Pfarrgemeinden aufgerufen, Räume für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Angesichts des Elends auf der italienischen Insel Lampedusa kritisierte er damals auch die Haltung der Kirche: „Wir haben jedes brüderliche Verantwortungsgefühl verloren. Stattdessen sind wir in der heuchlerischen Pose des Priesters und des Altardieners erstarrt, wovon Jesus im Gleichnis vom guten Samariter spricht“, sagte Franziskus. „Wir sehen unseren Bruder halbtot am Straßenrand liegen, denken vielleicht, ,der Arme’, und gehen weiter.“
Die Bistumsleitung in Eichstätt ist einigermaßen überrascht über die Einschätzung von „Wir sind Kirche“. „Es wäre schön, wenn wir im Priesterseminar über 100 freie Zimmer hätten“, sagt Generalvikar Isidor Vollnhals: Das Haus sei ausgebucht. Schon seit Jahren würden dort nicht nur angehende Priester untergebracht. Das Gebäude werde von Kollegiaten des „Collegium Orientale“ – das ist eine Niederlassung der osteuropäischen Kirchen – bewohnt, außerdem von Mitarbeitern der Katholischen Universität, Gastprofessoren und Mitarbeitern des Ordinariats genutzt, heißt es in der Bistumsverwaltung. Ab dem Wintersemester werde zudem eine größere Gruppe von Priestern im Seminar einen Jahreskurs absolvieren. Dazu kämen verschiedene Veranstaltungen mit Tagesgästen. „Dafür könnten wir sogar zusätzliche Zimmer benötigen“, sagt Bistumssprecherin Daniela Bahmann.
Allerdings habe Bischof Gregor Maria Hanke, der sich gestern nicht äußern wollte, bereits vor einiger zeit die Pfarrgemeinden in seiner Diözese aufgerufen, Räume für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Inwieweit die Pfarreien diesem Aufruf gefolgt seien, können sie nicht sagen, so Bahmann. Bislang gebe es keine Rückmeldungen.
Hintergrund des Aufrufs dürfte auch sein, dass Bischof Hanke die Gemeinden nicht anweisen kann, Flüchtlingen Obdach zu gewähren. Denn die Pfarrhäuser, Gemeindezentren und Kindergärten sind Eigentum der jeweiligen Pfarreien, über die ausschließlich die jeweilige Kirchenverwaltung entscheiden darf.
In der Diözese Eichstätt sind derzeit nach Angaben der Bistumspressestelle in mehreren kirchlichen Einrichtungen und Immobilien Flüchtlinge untergebracht: unter anderem im Jugendhaus in Pfünz, in einem Schulungsheim in Denkendorf sowie in einer Wohnung in Eichstätt.
Allerdings können weder Kirchen noch Wohlfahrtsverbände wie die Caritas oder die Diakonie einfach über die Aufnahme von Flüchtlingen entscheiden: Dafür sind in Bayern die Landkreise und Kreisfreien Städte zuständig. Ihnen wird eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen zugewiesen, für die sie Unterkünfte anmieten. Darauf weist ein Experte der Caritas hin, die bayernweit Asylbewerber betreut. Unterkünfte zu finden, wird allerdings zunehmend schwieriger: So wird allein der Landkreis Eichstätt bis zum Jahresende insgesamt mehr als 650 Flüchtlinge aufnehmen müssen, zu Jahresbeginn lag die Zahl noch bei knapp 200.
„Wir sind Kirche“ verfolgt mit dem Vorstoß zur Öffnung des Priesterseminars allerdings nicht nur die Unterbringung der Flüchtlinge an sich: Wie Walter Hürter sagt, könne die Nähe zu den Flüchtlingen den angehenden Seelsorgern durchaus neue Sichtweisen im Umgang mit Menschen, die eher am Rand der Gesellschaft leben, eröffnen. Das könne sich zu einem Modellprojekt für die Kirche weltweit entwickeln.
Das Priesterseminar in Eichstätt besteht inzwischen seit 450 Jahren und ist das älteste nördlich der Alpen.
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