Armes reiches Amerika

Kommentar

04.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:05 Uhr

Es gibt Geschichten, die mit Fanfaren beginnen. Alle bestaunen die Siege des Helden, der letztlich unter Applaus die Welt rettet. Und dann gibt es Erzählungen, die trotz ebenso verheißungsvollen Starts schnell ihren traurigen Charakter offenbaren. Eine solche ist die jüngere Vergangenheit der US-amerikanischen Politik.

20. Januar 2009: Vor dem US-Kapitol drängen sich Hunderttausende. Sie wollen Zeuge werden, wie mit Barack Obama der erste Schwarze in das Amt des US-Präsidenten eingeführt wird. Der Begriff "historisch" wird bemüht. Millionen Bürger im vermeintlich reichsten Staat der Erde dürfen sich Hoffnung auf die von Obama versprochene Krankenversicherung machen. Die kriegsmüde Nation kann das Ende der militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten spüren. Eine politische Zeitenwende bahnt sich an, die nicht nur Nordamerika, sondern die Welt verändern soll.

Doch schnell ändert sich die Szenerie. Der Schutthügel, den der unsägliche George W. Bush seinem Nachfolger hinterlassen hat, ist gigantisch. Ein ruinöser Haushalt kurz vor der Staatspleite, eine darniederliegende Wirtschaft und sich als unlösbar erweisende Konflikte lassen sich nicht weglächeln. Die Erinnerungen, wie Barack mit Ehefrau Michelle vor den Kameras tanzt, und am nächsten Morgen mit lässig gekrempelten Ärmeln den Problemen armer Kinder lauscht, verblassen. Obama ergraut in Rekordzeit vor den Augen eines enttäuschten Landes, einer desillusionierten Welt.

Heute ist die US-Bevölkerung zerrissen. Schwarze und Weiße stehen sich derart unversöhnlich gegenüber wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Streit um die allzu laxen Waffengesetze lässt die Nation nicht los. Das weltweit höchst umstrittene Internierungslager Guantanamo besteht noch immer. Und schließlich wird das politische System von einer Dauerblockade der Republikaner gelähmt, weshalb Obama seit Jahren handlungsunfähig wird. Schnell wird ihm der wenig schmeichelhafte Nimbus angeheftet, von seiner so schillernd gestarteten Präsidentschaft werde nichts bleiben. Dennoch will er möglichst wenig mit durchgepeitschten Dekreten regieren. Es widerstrebt ihm und seinem Verständnis von Demokratie. Die Folge all dieser Entwicklungen ist brutaler Stillstand.

In dieser Situation kommt die US-Wahl zur rechten Zeit - sollte man meinen. Die Amerikaner wählen ihren 45. Präsidenten. Mit Hillary Clinton und Donald Trump haben sie aber die Wahl zwischen Pest und Cholera. Es erscheint wie ein schlechter Witz, dass dieses Land niemand Besseres, oder wenigstens Seriöseres aufzubieten vermag.

Kein Zweifel: Die Demokratin Clinton ist geeigneter als der aufbrausende Immobilientycoon. Sie hat Erfahrung und weiß, wie man in Washington aufzutreten hat. Als ehemalige Außenministerin ist das diplomatische Parkett ihr liebster Untergrund. Doch genau diese Vorzüge sind ihre Schwäche. Clinton steht für alles, was in Amerika unbeliebt ist und den kleinen Leuten suspekt erscheint - angefangen bei der habgierigen Wall Street bis hin zu machthungrigen Familien, die die hochhängenden Trauben unter sich aufteilen.

Sollte Clinton Präsidentin werden, liegt das an ihrem Rivalen. Was Donald Trump für eine politische Agenda hält, würde in Europa kaum zur Satire taugen. Die Vorwürfe, er würde seit Jahren Frauen belästigen, wiegen zudem schwer - nicht nur im prüden Amerika. Und letztlich sind seine rassistischen Ansichten eines Mannes, der in einer Linie mit Persönlichkeiten wie Thomas Jefferson oder Abraham Lincoln stehen möchte, unwürdig. Diese Präsidenten setzten sich für eine offene Nation ein, die jedem eine Chance bietet. Trump hingegen will Mauern.

Was die USA eigentlich brauchen, ist das, wonach die gesamte Welt förmlich lechzt: Frieden, Sachlichkeit, einen Neuanfang. Doch dazu braucht es einen US-Präsidenten, der sich und das Gewicht seiner Nation genau dafür einsetzt - und eben diese Nation hinter sich weiß. Clinton und Trump werden dies beide nicht leisten. Sie ist zu schwach, um nicht zu sagen verbraucht. Und er ist Donald Trump. Am 20. Januar 2009 ging von Washington ein Signal aus, dass die gesamte freie Welt hoffen ließ. Es ist trotz einiger außenpolitischer Erfolge Obamas - sei es die Tötung Osama bin Ladens oder die Annäherung an Kuba - verpufft. Und Besserung ist nicht in Sicht. Eine traurige Geschichte aus dem armen reichen Amerika.