Stuttgart
Arme, arme Engel

Marcel Wehns Dokumentarfilm "Ein Hells Angel unter Brüdern" hätten die Klubmitglieder selbst nicht positiver inszenieren können

25.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:44 Uhr

 

Stuttgart (DK) Die Bärte wehen, die Maschinen röhren. Harte Männer fahren auf harten Motorrädern durch die Landschaft – die Szene ist mit mystischen Country-Klängen unterlegt, die den Zuschauer von Freiheit und Abenteuer träumen lassen.

Nein, das ist nicht Easy Rider. Es ist der misslungene Versuch des Filmemachers Marcel Wehn, eine ausgewogene Dokumentation über den Stuttgarter Ableger des Rocker-Klubs „Hells Angel“ zu drehen. „Es geht nicht darum, zu sagen, das sind die Guten, das sind die Schlechten“, sagt Wehn über sein Werk. Doch durch die Auswahl setzt jeder Filmemacher Akzente. Bei Wehn weisen diese besonders deutlich in eine Richtung.

„Für die Öffentlichkeit sind Rocker erst einmal Kriminelle. Punkt.“ So lamentiert Lutz Schelhorn, Protagonist des Films und Leiter des Stuttgarter Ableger der „Hells Angel“. „Die Menschen hinter den Abzeichen sind nicht ersichtlich.“ Anschließend darf Schelhorn ausgiebig für seine Fotoarbeiten werben, es folgen Szenen, in denen ältere Männer mit dicken Bäuchen Motorrad fahren, miteinander Bier trinken oder zusammen mit ihren Familien Weihnachten feiern. Was für eine gemütliche Gruppe, möchte man sagen.

Erst spät wird die Wohlfühl-Atmosphäre ein wenig getrübt, als ein Kriminalkommissar erklärt, dass sich Schelhorn zwar in den vergangenen Jahren „überwiegend“ an die Gesetze gehalten habe, er aber ganz gewiss nicht der Klub sei. Der Klub, der einst von Kriegsveteranen in den USA gegründet wurde, verfügt laut Kriminalpolizei über jede Menge Geld, das viele Mitglieder überwiegend auf kriminelle Weise verdienen: Frauen werden zur Prostitution gezwungen, Schutzgeld wird von Bordellbesitzern erpresst, auch beim Drogen- und Waffenhandel mischen die Drahtzieher des Klubs kräftig mit.

In Wehns Film geht es nicht um die schmutzigen Geschäfte. Dort lässt sich Schelhorns Tochter ein Tattoo für ihren Daddy stechen, der Sohn redet davon, dass er hofft, auch einmal nur halb so toll wie sein Vater zu werden. Minuten fühlen sich an wie Stunden, als Schelhorns Eltern über die schwere Zeit berichten, in der ihr Sohn im Gefängnis saß.

Filmemacher Wehn legt Wert darauf, in seiner Dokumentation nicht ein Bild aller „Hells Angel“ wiedergegeben zu haben. So richtig ersichtlich wird dieser Anspruch aber nicht, wenn Protagonist Schelhorn immer wieder das Wesen des Klubs erklären darf und beteuert, dass es zwar einzelne Personen gibt, die sich nicht korrekt verhalten, dass diese aber nicht die Mehrzahl der Klubmitglieder ausmachen.

Ist es nicht eher umgekehrt? Diese Frage lässt der Film unbeantwortet und gibt stattdessen Klubmitglied und Todesschütze Kalli den Raum, ausführlich seine Version einer Tat zu schildern, bei der ein Polizist ums Leben kam. Man habe versucht, seine Tür aufzubrechen, „klar hab ich geschossen als Sportschütze“. Der durchaus umstrittene Freispruch kam erst in zweiter Instanz, trotzdem darf Kalli vor der Kamera klagen, dass ihm der Weg, mit der Familie des Toten zu sprechen, „leider nicht eröffnet wurde“.

Selten hat der Film enthüllende Momente, die wirklich tief blicken lassen: Etwa, wenn ein Klubmitglied erklärt, dass „einer, der auf die Gesetze scheißt, nicht gleich ein Terrorist ist“. Auch der Widerspruch in der Biografie Schelhorns, der zwar sein ganzes Leben das Spießbürgertum bekämpft haben will und selbst in einer Gegend wohnt, in der niemand vor Einbrechern Angst haben muss, wird gut herausgearbeitet.

Die beste, viel zu kurze Szene des Films, zeigt die Realität zur Abwechslung einmal unverfremdet. Es geht um die Frage, warum ein verurteilter Vergewaltiger immer noch Mitglied des Klubs ist. „Aus gesellschaftlicher Sicht hat er es begangen“, sagt Schelhorn. „Aber wir machen uns selbst ein Bild.“ Dies erfolge nach eigener Beweislage, schließlich bekomme er, Schelhorn, „zwangsläufig“ mit, wenn einer seiner Kumpels bei einer solchen Sache lüge. Ob er die Frau befragt habe, will Regisseur Wehn wissen. Schelhorn wirkt in diesem Moment zum ersten Mal überrascht. Nein, sagt er, mit der Frau werde nicht gesprochen.

Überhaupt, die Frauen. Dass in Schelhorns Film so oft Mutter und Tochter zu Wort kommen, beschönigt eine Tatsache, die man so nur erkennt, wenn man genauer hinschaut: In dem Klub haben Frauen nichts zu sagen, sie treten höchstens als barbusige Tänzerinnen zur Jubiläumsfeier in Erscheinung. Leider lässt Wehn die Frage aus, warum Frauen bespielsweise keine Mitglieder bei dem Klub werden dürfen.

Wehn fragt sich vielmehr, weshalb nur acht von 80 Kinos in Deutschland seinen Film zeigen, für den er die Rocker fünf Jahre lang begleitete. Der Filmemacher vermutet dahinter – in der Argumentation seinem Protagonisten Schelhorn nicht unähnlich – eine Art Rezension. „Das ist fatal. Man lässt es nicht zu, ein anderes Bild zur Diskussion zu stellen“, sagt er. Dass diese Entscheidung damit zu tun haben könnte, dass sein Film über lange Strecken wie ein Geburtstagsgeschenk an Lutz Schelhorn und seinen Rocker-Klub wirkt, kommt ihm nicht in den Sinn.

 

Der Dokumentarfilm „Ein Hells Angel unter Brüdern“ läuft heute, morgen und übermorgen ab 15.30 Uhr im Augsburger Kino „Savoy“.