München
Architektonische Alpträume

Carlos Garaicoa entlarvt die Krisen der Welt Eine Ausstellung in der Münchner Villa Stuck

29.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:22 Uhr

Der kubanische Künstler Carlos Garaicoa beschäftigt sich mit dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandel als Folge der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Hier sieht man sein Modell für "Das Babel des Wissens". - Foto: Garaicoa/Galleria Continua

München (DK) Die Architektur ist ein Spiegel von wirtschaftlichen Auf- und Abschwüngen, von Machtverhältnissen und von Ohnmacht, von Kontrolle und Utopie. All dies spiegelt sich in einem Stadtbild, in einem Wohn-Quartier, in einem Bauwerk - und auch in der Kunst von Carlos Garaicoa.

Ihm widmet die Villa Stuck erstmals eine umfassende Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum. Vieldeutiger Titel der Schau: "Unvollendete Ordnung".

Der 1967 geborene Kubaner Garaicoa studierte Architektur und machte 1994 einen Abschluss an der Hochschule für Bildende Kunst in Havanna. Mittlerweile pendelt er zwischen den Welten, indem er einerseits in seiner Heimat und damit im niedergehenden Sozialismus lebt und arbeitet, und andererseits in Madrid, einer Millionenstadt mit erheblichen Problemen durch Terrorismus und Wirtschaftskrise. Nicht zuletzt ist der Künstler unterwegs in kulturellen Zentren und beteiligte sich unter anderem an der documenta XI auf Einladung von Okwui Enwezor und an den Biennalen in Venedig 2005 und 2009.

In München bespielt der Künstler das Erdgeschoss des Atelier-Hauses von Franz Stuck mit Objekten, die Bezug nehmen auf Kuba. Dort hat man in den 1920er Jahren Werbung als Bilder aus glasierten, bemalten Kacheln an Hauswänden angebracht - zum Beispiel für eine Arznei gegen Durchfall. Der Mutter, die sich über das erkrankte Kind und einen Nachttopf beugt, wurde eine Medizin für 40 Centimos empfohlen. Garaicoa hat Werbeflächen wie diese in Originalgröße als Foto reproduziert und als Kachel-Wand nachgebildet - allerdings mit entscheidenden Veränderungen in den Schrift-Zeilen: Die kostenlose Medizin wirkt jetzt gegen den "Immobilien-Durchfall", wirbt für den Bau-Boom und enthüllt damit jene Immobilien-Blase, die Europa in die Krise stürzte. Den Titel der Schau, "Unvollendete Ordnung", setzt der Künstler auf eine vielfältige Art um. So zeigt er, aufgereiht in Vitrinen, die "Kronjuwelen", nämlich Gebäude wie das Pentagon, Guantanamo und die Stasi-Zentrale als Miniaturnachbildungen in Silber, kostbar ausgeleuchtet wie Preziosen. Oder er zeigt die Ansichten von europäischen Städten im Postkartenformat, und vor den Banken-Hochhäusern und Wohnsiedlungen stapelt er Münzen zu kleinen Türmen auf. Und in der obersten Etage von Stucks Atelier zeigt er Stadtlandschaften, die kleinteilig und regelmäßig wie Ornamente angelegt sind und einen Bildungs-Turm, in dem jeder Student sich quasi in Isolierhaft bildet, ohne jeglichen sozialen Kontakt.

Es sind Abgründe, die sich auftun, vertieft man sich in diese architektonischen Visionen. Treffendste Darstellung ist eine komplizierte Achterbahn über drei Ebenen, die Garaicoa als Holz-Modell gebaut hat, untermalt mit dem Video eines solchen Jahrmarkt-Vergnügens - nur dass die Fahrt in dieser Endlos-Schleife des Künstlers ein Alptraum wäre.

Die Ausstellung war bereits in Madrid und Oslo zu sehen und wurde nun von Michael Buhrs in die Villa Stuck geholt - Kurator ist der Spanier Agustin Pérez Rubio. Der Katalog vermittelt das Werk des Künstlers auf Spanisch und Englisch.

Villa Stuck, bis 4. September, geöffnet täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, am ersten Freitag im Monat bis 22 Uhr.