Ingolstadt
Anlaufstelle für fast 6000 Bürger

Das Jobcenter Ingolstadt bewilligt Leistungen in Höhe von 3,4 Millionen Euro - jeden Monat

13.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:11 Uhr
Von der Heizung bis zur Nachhilfe: Das Jobcenter ist bei Leistungsempfängern für viele Bereiche des Lebens zuständig. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) "Für Hartz IV wird eine neue Behörde aus dem Boden gestampft", lautete vor 15 Jahren eine Überschrift im DK.

Und nicht nur die damalige Bürgermeisterin Brigitte Fuchs hatte seinerzeit wohl noch nicht so recht den Durchblick, was denn das zu gründende Amt mit dem englischen Namen Jobcenter eigentlich genau machen soll. Im Unterschied zu vielen anderen gab Brigitte Fuchs - typisch für sie - es bei der ersten öffentlichen Vorstellung im Sozialausschuss aber auch zu.

Mittlerweile ist das Jobcenter eine feste Größe in der Stadt. "Auch in Deutschlands Großstadt mit der niedrigsten Arbeitslosenquote erbringt das Jobcenter zahlreiche Leistungen für die Arbeitsuchenden", sagt Leiter Isfried Fischer. Es sichert Monat für Monat den Lebensunterhalt von fast 6000 Ingolstädtern in rund 3250 Haushalten. Laut Fischer bewilligen die gut 100 Mitarbeiter monatlich für rund 3,4 Millionen Euro Leistungen, bis auf einen Teil der Kosten für Unterkünfte steuerfinanziert. Zu den bekannten Leistungen des Jobcenters wie Arbeitslosengeld II und den Leistungen für Unterkunft und Heizung kommen noch Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung, Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder und Jugendliche und die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit hinzu.

Rund 1200 Leistungsbescheide sind hierfür monatlich zu bearbeiten. An einem durchschnittlichen Arbeitstag suchen laut Fischer 100 Bürgerinnen und Bürger den Servicebereich des Jobcenters auf - plus ein Vielfaches an Anliegen per Mail, Telefon oder Brief.

So vielfältig die Art der Leistungsbezieher des Jobcenters, so verwirrend ist dies oft für Außenstehende. Nur ein Teil der Leistungsberechtigten ist arbeitslos (1206 Personen), und auch davon weniger als die Hälfte langzeitarbeitslos, also länger als ein Jahr ohne Arbeit (552 Personen). Fast ebenso viele Leistungsberechtigte, nämlich 1174, sind erwerbstätig und bekommen ergänzend beziehungsweise aufstockend zu ihrem Lohn Arbeitslosengeld II. Der überwiegende Teil der Arbeitnehmer (674) ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 376 Erziehende betreuen ein oder mehrere Kinder im Alter unter drei Jahren und erhalten deshalb Leistungen des Jobcenters, ohne aktuell Arbeit suchen zu müssen. Auch nicht als arbeitslos gelten die durchschnittlich 280 monatlichen Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und die derzeit rund 260 Teilnehmer an Integrationskursen oder berufsbezogenen Sprachkursen.

Hinter den scheinbar stabilen Zahlen verbirgt sich viel Bewegung - so gelangten in den vergangenen Jahren im Durchschnitt monatlich über 100 Integrationen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder Ausbildung. Die Zahl der Personen, die monatlich neu Leistungen des Jobcenters in Anspruch nehmen oder diese nicht mehr benötigen liegt mit je rund 300 sogar noch höher.

Auch wenn laut Fischer mit 3353 Personen die Mehrzahl der Leistungsberechtigten deutsche Staatsangehörige sind, leiste das Jobcenter einen wichtigen Beitrag zur Integration von Menschen mit Migrationserfahrung. Die fünf häufigsten ausländischen Staatsangehörigkeiten sind derzeit Syrien (553 Personen), die Türkei (413), Griechenland (217), Afghanistan (204) und Eritrea (133). Hinzu kommen rund 1000 Leistungsberechtigte aus anderen Staaten.

 

DER EINFLUSS DER STADT

104 von 401 Jobcentern bundesweit und 10 von 90 in Bayern sind kommunale Jobcenter, darunter auch das  der Stadt Ingolstadt. Kommunale Jobcenter werden allein durch die jeweilige kreisfreie Stadt oder den Landkreis betrieben. Aufgrund der sehr speziellen Situation am Ingolstädter Arbeitsmarkt (Audi) hatte  sich vor knapp zehn Jahren die Stadt für diese Option entschieden.
Über die Arbeitsmarktpolitik des Jobcenters Ingolstadt wird daher vor Ort entschieden – gesteuert und kontrolliert durch den Stadtrat. Und das hat ganz konkrete Auswirkungen. Als Beispiel nennt Fischer das Arbeitsmarktprogramm, das das Jobcenter zu Beginn jedes Jahres dem Stadtrat vorlegt und eine Reihe von Vorschlägen umfasst. Deshalb gibt es etwa in Ingolstadt nach wie vor einen relativ hohen Anteil an geförderter Beschäftigung – deutlich mehr als in anderen Städten.
Die  Bürger erhalten alle Leistungen des SGB II (Sozialgesetzbuch II) – auch die Leistungen für Bildung und Teilhabe und die kommunalen Eingliederungsleistungen, also  etwa Kinderbetreuung oder Schuldnerberatung – aus einer Hand im Jobcenter.  Telefonisch sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters laut Fischer direkt erreichbar – ohne den Umweg über ein Callcenter. Ein eigenes Arbeitgeberteam des Jobcenters stelle die Schnittstelle zwischen den leistungsberechtigten Ingolstädtern und den Arbeitgebern der Region dar. Die Organisation des Jobcenters werde den Bedürfnissen der Menschen  vor Ort angepasst. Neben den von Anfang an vorhandenen Spezialisten für die Arbeitsvermittlung Jugendlicher und junger Erwachsener gibt es mittlerweile spezielle Teams oder Expertinnen für die Integration Älterer, Alleinerziehender, Geflüchteter oder Schwerbehinderter.
Die Leistungen des Jobcenters sind eng verzahnt mit weiteren Dienstleistungen der Stadtverwaltung. So gilt laut Fischer zum Beispiel das seit Jahren bestehende Kooperationsprojekt des Jobcenters mit der Volkshochschule Ingolstadt zur Organisation eines schulnahen Lernförderangebotes als überregionales „Best Practice“-Beispiel. Kombinierte Förderangebote von Jobcenter und dem Amt für Jugend und Familie lassen sich auf kurzem Wege realisieren – beide Bereiche sind im Sozialen Rathaus unter einem Dach untergebracht.

 

Vorteile für Familien

Familien mit Kindern haben viel häufiger Anspruch auf  Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes aus SGB II als oft angenommen. Neben der Familiengröße  hängt dies laut Fischer vor allem von der Höhe des Einkommens und der Miete ab. „Arbeitslosigkeit ist  trotz der Bezeichnung Arbeitslosengeld II gerade keine Leistungsvoraussetzung“, so der Leiter des Jobcenters.
Ein Paar mit zwei Kindern hat in Ingolstadt beispielsweise bei einem Bruttoeinkommen von 3000 Euro und Kosten für Miete und Heizung ab 1000 Euro wahrscheinlich einen Leistungsanspruch. Bei einem Bruttoeinkommen von 2600 Euro ist dies bei einer Warmmiete ab 770 Euro der Fall. Für Alleinerziehende mit zwei Kindern, die keinen Unterhalt bekommen, rentiert sich voraussichtlich ein Antrag bei einem Bruttoeinkommen von 1800 Euro bei einer Warmmiete von mehr als 660 Euro; bei einem Bruttoeinkommen von 1500 Euro schon ab Kosten für die Wohnung von mehr als 475 Euro. Sind die Kinder schon etwas älter, bestehen voraussichtlich auch bei etwas höheren Einkommen (oder etwas günstigeren Wohnungen) Ansprüche.
Gerade bei einem geringen ergänzenden Anspruch auf Arbeitslosengeld II, also wenn es nur um 20 oder 30 Euro geht,  sollten Familien dennoch Leistungen beantragen, rät Fischer.  Bei zwei Kindern im schulpflichtigen Alter verzichtet die Familie nämlich zusätzlich zum Arbeitslosengeld II auch auf insgesamt 300 Euro Schulbeihilfe und 360 Euro jährliches Teilhabebudget sowie auf die Übernahme der Kosten für Klassenfahrten, Schulausflüge, erforderliche Nachhilfe und Mittagessen, falls ein solches in schulischer Verantwortung angeboten wird, sowie die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht. Laut Fischer laufen aktuell Nachhilfeprojekte an 30 Schulen in Ingolstadt mit 180 Schülern.  Der Erfolg, der freilich hier mehrere Väter hat:  Die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss ist seit 2011 sinkend.

Bernhard Pehl