Angeklagte leugnet Bluttat

22.01.2009 | Stand 03.12.2020, 5:15 Uhr

Nürnberg/Roth (HK) Im Saal 228 des Landgerichts Nürnberg-Fürth lauern drei Kamerateams und zwei Fotografen auf die Angeklagte. Die psychisch schwer kranke Frau hält sich auf dem Weg vom Aufzug zu ihrem Polstersessel vor dem Richtertisch eine Zeitung ganz nah vors Gesicht. Einige Minuten bleibt die Angeklagte reglos auf ihrem Stuhl sitzen, bis endlich der Vorsitzende Richter Richard Caspar den Saal betritt und ein Gerichtsdiener die Fotografen rausschickt: "Bitte die Aufnahmen einstellen."

Jetzt legt die Angeklagte die Zeitung vor sich auf den Tisch. Sie will eigentlich nichts sagen, verweist auf ihren Pflichtverteidiger Wolfgang Reich. "Mein Anwalt sagt für mich aus", übersetzt die Dolmetscherin. Der fordert das Gericht auf, trotzdem Fragen zu stellen, alles andere gebe den Eindruck von der Angeklagten nicht richtig wieder. Die Angeklagte bestreite die Tat nicht in klassischem Sinne, "ihre lichten Momente sind aber eher selten." Sie sei unzurechnungsfähig. Außerdem gebe es kein Motiv.

Staatsanwalt Peter Adelhardt wirft der Angeklagten vor, am 18. Januar 2008 im AWO-Heim in der Ludwig-Thoma-Straße in Roth eine 43-jährige Krankenschwester im Streit mit einem Obstmesser erstochen zu haben. Das Opfer sei arglos gewesen, daher erfülle der Stich in die Brust, der die Körperschlagader durchtrennte, das Merkmal des Mordes. Adelhardt geht aber von verminderter Steuerungsfähigkeit aus.

Zwei Heimbewohner sagen aus, sie hätten die Angeklagte kurz vor der Tat im Stationszimmer gesehen. Das Opfer sei dort alleine gewesen, sagt ein 57-jähriger Mann, der schlecht hört, sehr ausschweifend und oft wirr erzählt. Kurz darauf habe er die Angeklagte weglaufen sehen. Als er ins Stationszimmer gegangen sei habe er das Opfer mit dem Messer in der Brust gesehen. "Spinnst du" soll die Schwester gesagt haben, dann sei sie umgefallen. Er sei sofort gegangen, so der 57-Jährige. "Es war kein anderer Mensch in der Nähe." Die Schilderung der Tat wühlt ihn sichtlich auf.

Ein 35-jähriger Heimbewohner erinnert sich an eine andere Szene. Die ermordete Schwester sei im Zimmer gestanden, ihr gegenüber die Angeklagte. Die Schwester habe zweimal nach ihrer Kollegin im Nebenzimmer gerufen und habe die Arme vor der Brust verschränkt gehabt. Er sei dann ins Raucherzimmer gegangen, kurze Zeit später sei die Schwester tot gewesen.

Die Kollegin der Ermordeten, die zehn Meter entfernt im Arztzimmer einen Bewohner betreute, hat erst den Ausruf "Spinnst du!" gehört und dann ihren eigenen Namen. Dann sei sie losgelaufen. Auf halben Weg sei ihr ein Heimbewohner entgegen gekommen und habe gerufen "Da ist was!". Da habe sie ihre Kollegin entdeckt, die nicht mehr ansprechbar war.

Die Aussagen widersprechen sich aber zum Teil. Ein Zeuge will gesehen haben, dass die Angeklagte einen Schlafanzug trug, ein anderer erinnert sich an dunkle Straßenkleidung, die Kollegin des Opfers spricht von einer ockerfarbenen Jacke.

Auf der Tatwaffe, einem Obstmesser mit 7,7 Zentimeter langer Klinge, waren zwar DNA-Spuren der Angeklagten, aber auch einer Mitbewohnerin, der das Messer gehört, gefunden worden. Wo die sich zur Tatzeit aufhielt, ist ungeklärt. Sie wurde neben der Leiche gesehen, hätte aber eigentlich einen Essenswagen aus dem Keller holen sollen. Außerdem hatte sie am Mordtag Streit mit dem Opfer.

Die Angeklagte bestreitet die Tat. Sie hat eine andere Erinnerung. Sie habe weder Streit gehabt mit dem Opfer, noch habe sie neben der Toten gestanden, sie habe die 43-Jährige nicht einmal gesehen an diesem Tag. Die meisten Fragen beantwortet sie nur mit Ja oder Nein. Sie habe im Speisesaal zu Abend gegessen und sei erst zum Stationszimmer gelaufen, als sie Geschrei gehört habe. Als der Richter das Obstmesser auf den Tisch legt und fragt, ob sie es erkenne, halten die Zuschauer den Atem an, die Angeklagte schüttelt aber nur den Kopf.