München
Amouröses Puppenspiel

Nikolaus Habjan inszeniert "Der Streit" von Marivaux als hübsches Rokokopläsier im Münchner Cuvilliéstheater

14.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:57 Uhr

Versuchsanordnung zur Untreue der Geschlechter: Szene mit (von links) Manuela Linshalm, Arthur Klemt (Azor), Mathilde Bundschuh und Oliver Nägele (Eglé) im Münchner Cuvilliéstheater. Die Regie führte Nikolaus Habjan. - Foto: Dashuber

München (DK) Das muss man mögen, wenn Schauspieler nicht die von den Theaterautoren geschaffenen Figuren mit ihrer Darstellungskunst gestalten und veredeln, sondern hinter den Puppen versteckt die Texte rezitieren und dazu mit ihren Händen die Köpfe und Gliedmaßen der geschnitzten und modellierten Marionetten bewegen.

Der Wiener Allroundkünstler Nikolaus Habjan ist Meister dieses Faches, der mit seinen von ihm gefertigten Klappmaulpuppen einen ebenso kindlich-reizenden wie intellektuellen Zugang zu Klassikern der Weltliteratur immer wieder sucht und auch findet.

Nach einer hinreißenden Version von Cal Maria von Webers "Oberon" bei den letztjährigen Münchner Opernfestspielen modellierte und inszenierte Habjahn nun im Cuvilliéstheater eine spielerisch verträumte Interpretation des Rokoko-Lustspiels "Der Streit" vom Jahre 1744 des französischen Aufklärers Pierre Carlet de Marivaux. Eine erotische Petitesse als hübsche Puppentheater-Show.

Die in der ach so galanten Zeit als höfische Unterhaltung in den fürstlichen und königlichen Salons zwischen Versailles und Wien wohl so häufig gestellte Frage, wer denn die Untreue in die Welt gebracht habe, das männliche oder das weibliche Geschlecht, versucht Marivaux in diesem Theaterstück diplomatisch zu lösen: Männlein und Weiblein haben von Natur aus zu gleichen Teilen das Untreue-Gen von Adam und Eva vererbt bekommen. Klar, dass diese Erkenntnis die zu falschen Liebesschwüren und erotischen Eskapaden neigenden Kavaliere und Mätressen in all den Rokoko-Boudoirs ganz gewaltig beruhigte.

Freilich nicht in einem feudalen Kabinett, sondern in einem sterilen Anatomiehörsaal (Bühnenbild: Jakob Brossmann und Denise Heschl) lässt Habjan die Protagonisten in Marivaux' Parabel wie Anschauungsmaterial für Medizinstudenten zunächst sezieren, dann ihre Köpfe, Oberkörper und Hände zusammenflicken und üppig einkleiden, bevor sie ihre Libido voll ausleben dürfen: Eglé, Azor, Adine und Mesrin sind die Versuchsobjekte, die von dem Prinzen ohne Namen und der aristokratischen Mademoiselle Hermiane für das Treue-Experiment auserkoren wurden. Vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Jungs, werden getrennt aufgezogen. Der einzige Kontakt zur Außenwelt besteht für sie ausschließlich in ihren Erzieherinnen Mesrou und Carise. Erst nach der Pubertät dürfen die zu jungen Erwachsenen Herangereiften sich gegenseitig kennenlernen, um - wie vom Prinzen und seiner Hermiane gewünscht - herauszufinden, ob nun die weibliche oder die männliche Untreue dominiert.

Langsam nähern sich die Probanden an, zunächst scheu, zögerlich und zaudernd. Liebe auf den ersten und den zweiten Blick. Schließlich werden die Flirts immer heißer, die Amouren leidenschaftlicher, die wechselnden Paarbeziehungen, gleichgeschlechtliche inklusive, immer intensiver, bis Eifersucht, Desillusionierung und der titelgebende Streit um die Vorherrschaft in diesem Versuchslabor die Oberhand gewinnen. Das ganze Programm zwischen Liebe, Sex und Resignation. Und welches Geschlecht ist nun von Natur aus untreu? Natürlich beide, was zu beweisen war.

Mathilde Bundschuh, Manuela Linshalm, Arthur Klemt, der famose Oliver Nägele und der Klappmaulpuppen-Tüftler Nikolaus Habjan selbst leihen den Figuren nicht nur ihre Stimmen, sondern lassen sie auch mit funkelnden Augen wild gestikulieren, als Zicken oder Schnösel agieren und natürlich als unsterblich Verliebte mit Händen, Köpfen und Armen jubeln und leiden. Eine ästhetisch feine und ungemein reizende Aufführung für alle Liebhaber des amourösen Puppenspiels.

Die nächsten Aufführungen sind Montag und am 16. Januar sowie vom 6. bis 9. Februar im Münchner Cuvilliéstheater. Kartentelefon: (0 89) 21 85 19 40.