Washington
Amerikas entzauberter Magier

Früherer Fed-Chef Alan Greenspan wird an diesem Sonntag 90 Jahre alt

04.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:07 Uhr

Washington (AFP) Fast zwei Jahrzehnte prägte Alan Greenspan als Chef der US-Zentralbank Federal Reserve die Geldpolitik der größten Volkswirtschaft der Welt. Doch der Glanz des Star-Bankers, der an diesem Sonntag 90 Jahre alt wird, ist matt geworden.

In seiner Amtszeit erlebten die Vereinigten Staaten eine ihrer längsten Boom-Phasen, Bewunderer verehrten ihn als "Magier". Kritiker werfen ihm vor, mit seiner Niedrigzinspolitik der Finanzkrise den Boden bereitet zu haben. Anleger hingen einst an Greenspans Lippen. Seine Äußerungen hatten so viel Gewicht, dass sie die globalen Finanzmärkte durcheinanderwirbeln konnten. Als Greenspan in einer Rede im Dezember 1996 den Märkten wegen der hohen Aktienkurse eine "irrationale Überschwänglichkeit" bescheinigte, löste er einen weltweiten Ausverkauf an den Börsen aus.

Dabei ist der hagere Mann mit der dicken Hornbrille nicht immer leicht zu verstehen, bisweilen vernuschelt er seine Worte bis zur Unverständlichkeit. Greenspans Biograf Bob Woodward berichtete, der Notenbank-Chef habe seiner zweiten Frau, der Fernsehreporterin Andrea Mitchell, den Heiratsantrag zwei Mal machen müssen - das erste Mal habe sie ihn nicht verstanden.

Greenspan wurde drei Jahre vor dem großen Börsencrash von 1929 geboren und wuchs in New York auf. Schon früh zeigten sich seine zwei großen Talente: die Mathematik und die Musik. Nach der Highschool besuchte Greenspan das renommierte Musikkonservatorium Juilliard, ein Jahr lang spielte er Saxofon und Klarinette in einer Swing-Band. Doch am Ende zog es ihn von den Noten zu den Zahlen zurück.

Greenspan studierte Wirtschaft an der New York University. Seine anschließende Promotion an der Eliteuni Columbia brach er 1953 ab, um eine Finanzberatungsfirma zu gründen. Später arbeitete er für die US-Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford, bevor ihn Ronald Reagan 1987 an die Spitze der Fed holte. Zwei Monate nach seinem Amtsantritt meisterte er die erste Bewährungsprobe, den "Schwarzen Montag" am 19. Oktober 1987: Nach dem Börsencrash beruhigte Greenspan die Märkte, indem er frisches Geld in das Finanzsystem pumpte. Immer wieder reagierte der Notenbankchef mit dieser Methode auf eine drohende Panik an den Börsen. Auch die Finanzmarktkrisen in Asien und Russland Ende der 90er Jahre beantwortete er mit deutlichen Zinssenkungen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 drückte Greenspan den Leitzins weiter, um Wirtschaft und Börsen in den USA zu stützen.

Mit seiner lockeren Geldpolitik entfachte er nach der Rezession der frühen 90er Jahre einen lang anhaltenden Konjunkturboom und widerlegte die Befürchtung vieler Ökonomen, dass zu schnelles Wachstum zu Inflation führe. Eine Zeit lang sah es so aus, als habe Greenspan ein Wundermittel für endloses Wirtschaftswachstum gefunden. Von staatlicher Regulierung der Märkte hielt Greenspan wenig. Stattdessen vertraute er darauf, dass den Finanzmärkten eine instinktive Vernunft innewohne, die sie vor Fehlentwicklungen schütze.

Die Ära Greenspan bei der Fed endete im Januar 2006. Der neue Notenbankchef Ben Bernanke musste dann schmerzlich erleben, dass die scheinbar magische Zinspolitik seines Vorgängers nicht ohne Nebenwirkungen war. Das billige Geld hatte eine gefährliche Blase auf dem Immobilienmarkt ausgelöst.

Banken vergaben Darlehen an Hauskäufer, ohne deren Kreditwürdigkeit genau zu prüfen. Millionen Verbraucher in den USA nahmen Geld auf, das sie nie würden zurückzahlen können. Die Finanzbranche verpackte die faulen Kredite derweil in undurchsichtigen Wertpapieren.

Als das Kartenhaus 2008 zusammenfiel, stand das globale Finanzsystem am Rande des Kollaps und die Weltwirtschaft rauschte in eine Rezession. Greenspan bestreitet eine Mitverantwortung für die Krise. "Ich habe viele Fehler gemacht in den achtzehneinhalb Jahren, die ich bei der Fed war", sagte er in einem Interview im Frühjahr 2014 auf die Frage nach seiner lockeren Geldpolitik. "Ich denke nicht, dass das einer war."