Ingolstadt
"Am wichtigsten sind Freundschaften"

Seit 25 Jahren leitet Eva-Maria Atzerodt einen der besten Laienchöre Deutschlands: Den Ingolstädter Jugendkammerchor

17.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:11 Uhr

Grandiose Dirigentin: Eva-Maria Atzerodt gewann mit dem Ingolstädter Jugendkammerchor mehrere nationale und internationale Preise. Arch - foto: Stadik

Ingolstadt (DK) Irgendwie schloss sich ein Kreis, als die Chorleiterin Eva-Maria Atzerodt (47) in der vergangenen Woche mit dem Schulorchester des Reuchlin-Gymnasiums in Ungarn auf Tournee war. Dort besuchte man auch den Ort Tihany mit seiner barocken Abtei. Und bei Eva-Maria Atzerodt stiegen Erinnerungen auf: Genau hier hatte ihr vor 25 Jahren der damalige Chorleiter Felix Glombitza den Dirigentenstab übergeben. Am Ende des Konzertes ergriff die damals 22-jährige Studentin zum ersten Mal bei einem öffentlichen Konzert den Taktstock und leitet den Chor bei Sergej Rachmaninows „Ave Maria“.

25 Jahre Leitung des wohl erfolgreichsten Chores der Region Ingolstadt: für Eva-Maria Atzerodt ein bedeutsames Jubiläum. Ein Moment, an dem sich ihr Leben grundlegend änderte. Denn Atzerodt erwies sich in den folgenden Jahren als große Chorleiter-Begabung, als Motor des Musiklebens in Ingolstadt. Zeitweilig leitete die Lehrerin, Stadträtin und Vorsitzende des Konzertvereins Ingolstadt in ihrer Freizeit bis zu acht Chöre. So gründete sie etwa auch die höchst erfolgreichen „Nachtigallen“ für Kinder und Jugendliche.

Am längsten verbunden ist sie jedoch dem Jugendkammerchor. Das Ensemble übernahm sie in einem Moment des ersten Höhenflugs. 1982 gegründet, blickten die jungen Musiker bereits auf etliche wichtige Wettbewerbserfolge zurück. 1990 gewann der Chor sogar den ersten Preis beim Deutschen Chorwettbewerb und den zweiten beim Europäischen Jugendchorwettbewerb. Unzählige weitere nationale und internationale Auszeichnungen folgten in den nächsten Jahren. Den wohl wichtigsten Wettbewerbserfolg, den ersten Preis, ersang sich der Chor unter Atzerodts Leitung beim weltweit berühmtesten Rundfunkwettbewerb „Let the people sing“ in Vancouver.

Wenn Eva-Maria Atzerodt über die Qualität des Chores redet, wird sie nachdenklich. Es ist für sie schwer zu ergründen, warum dieser Chor auf so außergewöhnlich hohem Niveau singt. Wie es ihm gelingen konnte, zu den besten Laienchören Deutschlands zu gehören.

Die Chorleiterin führt es auf die stete Beschäftigung mit der A-cappella-Literatur zurück. „Diese Musik zeichnet uns aus“, sagt sie. „Dadurch kann der Chor sehr auf sich selber achten.“ Dabei legt Atzerodt keineswegs nur den Schwerpunkt auf Perfektion. „Mir ist der musikalische Ausdruck am wichtigsten. Da kann die Intonation schon mal ein bisschen schwanken.“

Seit zwei Jahren leitet Eva-Maria Atzerodt auch noch den Ingolstädter Motettenchor, den sie ebenfalls von Felix Glombitza übernahm. Für Atzerodt ist dieser wesentlich größere Chor eine Art Fortsetzung des Jugendkammerchors. „Inzwischen gibt es eine wachsende Fraktion von ehemaligen Choristen des Jugendkammerchors im Motettenchor“, erzählt sie. „Die sitzen zusammen und fangen plötzlich an, wie in alten Zeiten die damaligen Highlights zu singen.“

Spannend ist der Vergleich der beiden Chöre: Der Kammerchor mit seinen 40 bis 50 Mitgliedern ist nach Ansicht von Atzerodt „flexibler und experimentierfreudiger“. Die jungen Leute liebten es, moderne Chormusik aufzuführen und dabei neue klangliche Möglichkeiten zu erkunden. Der Motettenchor habe hingegen ein anderes Selbstverständnis, trete bei Oratorien regelmäßig mit großen Orchestern auf und sei der klassischen und romantischen Literatur verpflichtet.

Vor allem aber ist der Jugendkammerchor für die meisten begeisterten Sänger eine Durchgangsstation. Kein Chormitglied des Jahres 1990 ist heute noch dabei. Und obwohl die Altersgrenze von 25 Jahren inzwischen aufgehoben wurde („herausgeschmissen wird bei uns niemand“), gibt es doch nur wenige Choristen, die deutlich älter als 30 Jahre alt sind. „Mit 40 will wohl keiner bei einem Jugendchor neben Jugendlichen, die erst 15 sind, singen“, meint die Chorleiterin.

Da würde die Chemie wahrscheinlich nicht mehr stimmen. Und gerade der innere Zusammenhalt der Choristen ist für Atzerodt entscheidend. „Das Wichtigste sind die Freundschaften, die im Chor entstehen – und dass man sich besonders in schwierigen Situationen hilft und füreinander da ist,“ erklärt sie. „Da haben viele durch die Freunde im Chor manchmal mehr Halt als durch die Familie.“

Ein Zeichen, wie gelungen das soziale Leben im Chor ist, ist wahrscheinlich die Anzahl der Ehen, die dort gestiftet wurden. „13 Eheleute haben sich im Chor kennengelernt, und sie haben inzwischen 21 Kinder“, sagt Eva-Maria Atzerodt und strahlt dabei vor Glück.