Pfaffenhofen
Als die Kinder die Bauern aus dem Land getrieben haben

Erinnerungen an die Spiele in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg

16.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr

"Himmel und Hölle" war eines der beliebtesten Kinderspiele in der Nachkriegszeit. ‹ŒIllustration: Singer

Pfaffenhofen (PK) "Kinderspiele in der Nachkriegszeit" - so hat der Pfaffenhofener Autor, Maler und Karikaturist Hermann Singer einen Beitrag überschrieben. Er berichtet über karge Jahre, in denen richtige Spielgeräte Mangelware waren, Mutters Teppichstange zum Turngerät umfunktioniert und nach Herzenslust "Räuber und Schandi" gespielt wurde.

Die Schreckensherrschaft der Nazis war zu Ende. Ein neues Leben begann wieder. Ein Leben, das weiterhin von Hunger, Not und Kälte geprägt war. Doch unbeeindruckt vom Wandel der Zeit lebten die Kinder ihren Spieltrieb weiter aus. Nur die Spiele, vor allem bei den Buben, hatten sich durch die veränderten Lebensumstände etwas geändert.

Die Jahre, in denen sie angeregt durch gezielte Propaganda der Machthaber "Soldaten" spielten, gehörten der Vergangenheit an. Eigene Spielwelten, in denen man selbst die Regeln festlegte, wurden erschaffen. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Alte Spiele aus Großmutters Zeiten lebten wieder auf. Die Kinder spielten vor der Haustüre, in den Straßen und Plätzen der Stadt. Kein Auto störte ihr Treiben. Auch kindlicher Lärm wurde damals noch anders toleriert als heute.

Es waren die Jahre, in denen es gar nichts gab. Alltagsgegenstände wurden ins Spiel mit eingebaut. Teppichklopfstangen dienten als Turngerät. Kein Baum war zu hoch, um nicht erklettert zu werden.

Mit Begeisterung trieben die Buben einen Holzreifen mit einem kurzen Stock in der Hand die Straßen rauf und runter, galant wurden dabei Passanten umrundet. Nicht jeder besaß einen Holzreifen, eine alte schlauchlose Fahrradfelge erfüllte den gleichen Zweck. "Reiftreiben" nannten sie das Spiel.

Die Mädchen spielten ihr Hüpfspiel "Himmel und Hölle". Auf Straßen und Bürgersteigen malten sie mit Kreide die Kästchen auf und hüpften mal mit einem Bein, mal beidbeinig, von der Erde bis zum Himmel und wieder zurück.

In dem damaligen kleinen Wäldchen am Ambergerweg, wo heute riesige Wohnblöcke stehen, spielten die Mädchen ihre Fangen- und Versteckspiele. "Bäumchen wechsle dich", "Blinde Kuh", "Fürchtet ihr den Schwarzen Mann" - um nur einige zu nennen.

Wer von den Älteren kennt sie nicht, diese unzähligen, lustigen Abzählreime, mit denen bestimmt wurde, wer beginnt. "Ene, mene muh und draus bist du, draus bist du noch lange nicht, sag mir erst, wie alt du bist...", "Ich und du, Müllers Kuh, Müllers Esel der bist du...". Oder: "Eine alte Frau kocht Rüben, eine alte Frau kocht Speck und du bist weg...". Die Buben spielten ihr Versteckspiel "Räuber und Schandi". Nicht selten diente ihnen dabei die Innenstadt als Kulisse. Durch die Brauerei Bortenschlager, entlang der Auenstraße, beim Jungbräu zurück zum Hauptplatz. Durch das Platzl entlang der Stadtmauer zur Kirchgasse. Ein Gelände mit vielen Winkeln und Verstecken.

Das "Sackhüpfen" war bei Buben wie Mädchen sehr beliebt. Zwei Mannschaften, die gegenseitig in einem Kartoffelsack um die Wette hüpften. Ähnliche körperliche Beweglichkeit förderte das "Seilspringen" und "Bockspringen".

Das beliebteste Spielzeug der Buben war natürlich der Ball. Doch das war ein Problem. Es gab keinen zu kaufen. Mit abgespielten Tennisbällen ohne Filz, Gummibälle ohne Luft, gefüllt mit etwas Weichem, selbst gefertigte Stoffbälle und dergleichen wurde Fußball gespielt. Auf Wiesen, in Hinterhöfen, auf Plätzen kickten diese Straßenfußballer. Auf langen geraden Straßen, die alle noch nicht asphaltiert waren, spielten sie "Bauern aus dem Land treiben". Ein Spiel zweier Mannschaften mit gegenseitigem Schusswechsel und ständig wechselndem Raumgewinn. Ein Bub, der einen Lederball besaß, hatte damals viele Freunde. Damit wurde auf der Wiese hinter der Knabenschule "Völkerball" gespielt. Zwei Mannschaften spielten gegeneinander mit dem Ziel, die Gegner mit dem Ball zu treffen, sodass sie "ausgeschaltet" werden. Auf dem großen Kirchplatz sah man die Buben bei ihrem beliebten "Maurerball". Die Kirchenmauer diente dabei zum Anwurf. Im Spätsommer, wenn das Korn auf den Feldern gemäht und die Kornmandl zur Nachreife gestellt waren, spielten darauf die Kinder "Verstecken"

Ende der 1950er Jahre kam der Reifen als "Hula Hoop" wieder zurück. Ein Geschicklichkeitsspiel, bei dem man den Reif um die Hüfte tanzen ließ. Es wurde damals zu einem echten Modespiel. Nicht nur die Kinder, auch Erwachsene, besonders die Frauen, waren mit Begeisterung dabei.

Mit dem wachsenden Wohlstand änderte sich auch wieder das Spielverhalten der Kinder. Ein Überangebot an Spielwaren aller Art, Fernsehen und Computer sowie vollgestopfte Straßen und Plätze durch den zunehmenden Autoverkehr haben das für Kinder so wichtige Improvisieren und das Ausleben der Fantasie im Freien nahezu völlig verdrängt.