"Ich wollte schon immer gern"
Alpengipfel zum Greifen nah

28.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:21 Uhr
Tina Blum
Im Cockpit: Pilot Wolfgang Hora und Tina Blum machen sich bereit zum Abflug (oben). Konzentriert steuerte Hora den roten Flieger am Alpenrand entlang ins Allgäu. −Foto: Hammer/Blum

Die DK-Volontärin Tina Blum will hoch hinaus. Mit dem Hobby-Piloten Wolfgang Hora aus Ingolstadt fliegt sie trotz anfänglicher Nervosität von Manching nach Kempten. Mit einem Motorflieger geht es unterhalb der Wolkengrenzen in drei Stunden quer über die Region und am Alpenrand entlang bis ins Allgäu und wieder zurück.

Manching/Kempten (DK) Mit einem kleinen Motorflugzeug dem Himmel entgegen fliegen, sehen, wie die Welt unter einem immer kleiner wird - das wollte ich schon immer mal erleben. Umso größer ist die Freude, als es wirklich klappt. Mit Hobby-Pilot Wolfgang Hora aus Ingolstadt und einer Bölkow Monsun BO-209, die Hora gemietet hat, soll ich also fliegen. Mehr weiß ich bis zu unserem ersten Aufeinandertreffen nicht.

"Ich bin ein Spätzünder, habe erst mit 50 meinen Segelflugschein gemacht", sagt Wolfgang Hora, als ich zu ihm ins Auto steige und wir gemeinsam zum Flugplatz nach Manching fahren. Zur Pensionierung habe er dann noch den Motorflugschein draufgesetzt. Worauf hast du dich da nur eingelassen? - Diese Frage geht mir unweigerlich durch den Kopf, aber wer nicht wagt, der erlebt halt auch nichts. Und jetzt ist es sowieso schon zu spät für einen Rückzieher.

Voller Begeisterung erzählt der ehemalige Lehrer an der BOS Ingolstadt von der Größe des Flugplatzes in Manching. Der Militärflughafen mit ziviler Nutzung ist unterteilt in zwei Bereiche. Im Süden befindet sich die Military Aircraft der Airbus Defence and Space (einer Division der Airbus Group). Hier werden Flugtests ausgeführt. Tabuzone für den Durchschnittsbürger. Im Norden des Fliegerhorsts ist das zivile Terminal der IMA, der Ingolstadt Manching Airport GmbH, die hauptsächlich von Audi-Dienstreisenden und Privatpiloten genutzt wird. Von dort aus geht es auch für uns in luftige Höhen.

"Ich würde mit Dir gerne nach Kempten fliegen", sagt Hora. Sofern ich damit einverstanden sei. Super, ins Allgäu wollte ich schon immer mal. Doch vorher müssen noch einige Formalien erledigt werden. Anmeldung, Bordbuch, Passagieranzahl. Ich muss in der Zwischenzeit warten, was meine Nervosität nicht verringert. Dann geht es raus auf den Flugplatz. Im Hangar stehen drei Motorflieger von unterschiedlicher Größe. "Unsere Maschine dreht gerade noch eine Testrunde, das ist Pflicht", erklärt Hora. In der Zwischenzeit beschreibt er die heutige Route: "Wir fliegen über den Ammersee und Füssen bis nach Kempten. Auf dem Rückweg nehmen wir den direkten Weg über Augsburg." Bis zum Ammersee blieben wir auf einer Reisehöhe von etwa 600 bis 700 Metern, danach ginge es auf bis zu 1000 Meter hoch, so Hora.

Dann hört man es schon: Das immer näherkommende, lauter werdende Rattern des Propellers. Der rote Flieger kommt um die Ecke gefahren, und ich denke mir wieder: Du steigst da jetzt ein. Alles wird gut. Die Piloten machen die Übergabe, und schon sind wir bereit zum Einsteigen. Noch schnell die Pilotensonnenbrille aufgesetzt. Passt. Über die Flügel klettere ich in die Kanzel. Mein Fiat Punto ist geräumiger. Zwischen meinen Beinen befindet sich ein Steuerknüppel und im Fußraum zwei Pedale. Das könnte durchaus spannend werden.

"Wir fahren jetzt erst einmal zum Tanken. Der Sprit würde zwar noch reichen, aber sicher ist sicher", sagt Wolfgang Hora. Das klingt beruhigend. Also angeschnallt und Motor gestartet. Der Propeller ist so laut, dass man sich nur über Kopfhörer und ein Mikrofon unterhalten kann. Plötzlich ein Rauschen: "Privatwings bittet um Starterlaubnis." Über die klobigen Kopfhörer kann man den gesamten Flugfunk des jeweils eingewählten Towers verfolgen.

In der Mitte des Cockpits ist ein iPhone befestigt, das Wolfgang Hora einschaltet. "Unser Navigationssystem", sagt er. Blaue Linien sind auf der Karte eingezeichnet. "Das sind die Lufträume des Münchner Flughafens. Die mögen es nicht so, wenn Privatpiloten dort unterwegs sind." Ich kann mir vorstellen warum. Bei einem Flughafen der Größe und der Menge an Flugzeugen ganz anderer Größenordnung, die sich dort bewegen, mache ich gerne einen Bogen um die Landeshauptstadt.

Doch erst mal rollen wir zur Tankstelle. Eingelassen wird das Benzin in die Flügel, wo sich die Tanks befinden. Hora muss auf beiden Seiten gleich viel Kraftstoff einfüllen. Auch während der Flugs müsse er etwa alle halbe Stunde den Tank umschalten, damit die Maschine in der Luft im Gleichgewicht bleibt. Dann geht es auch schon Richtung Startbahn. "Echo Bravo hier, zwei Passagiere an Bord, bitte um Starterlaubnis", gibt Hora über Funk an den Tower durch. "-EB" sind die letzten beiden Buchstaben, die den Namen des Flugzeugs bilden. Im Fliegeralphabet werden diese zur Identifikation durchgegeben, damit jeder Funkteilnehmer weiß, wer gemeint ist und an wen die Anweisung rausgeht.

"Einen schönen Nachmittag", wünscht die Stimme aus dem Kopfhörer und teilt die Startposition zu. Kaum dort angekommen, zieht Hora an einem der Hebel in der Mitte des Cockpits und die rote Monsun wird schneller - und fliegt. Erstaunlich sanft. Meter für Meter steigen wir empor. Die zu überblickende Landschaft wird immer größer, die Häuser, die vorbeifahrenden Autos immer kleiner. Wolfgang Hora fliegt eine lange Kurve nach Westen. Der linke Flügel neigt sich gen Boden. Gott sei Dank sitze ich auf der rechten Seite. Je nach Wind geht es mit etwa 200 Stundenkilometern durch die Luft.

Nach etwa 30 Minuten taucht der Ammersee am Horizont auf und glitzert in der spätsommerlichen Sonne. Über dem See dreht Hora eine große Rechtskurve, damit ich die volle Panoramasicht bekomme. Erst suche ich nach etwas, an dem ich mich festkrallen kann. Doch dann klebe ich mit meiner Nase an der Scheibe, wie ein Kind am Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts. Alle Sorgen und Probleme des Alltags sind hier vergessen. Über Füssen und Schloss Neuschwanstein fliegt Kapitän Hora entlang der Alpen auf Kempten zu. Es scheint, als könnte man die Gipfel berühren. Dass wir uns im Landeanflug befinden, bemerke ich erst, als ich das Mobiliar der umliegenden Häuser durch die Fenster erkennen kann. Die Landefläche - typisch Allgäu - eine saftig-grüne Wiese.

Der idyllisch im Tal gelegene Kemptener Flugplatz hat nichts mit dem in Manching gemein. Eine Wiese, ein Lokal mit großer Sonnenterrasse und ein Tower, kleiner als jeder Dorfkirchturm. Bei einem Eiskaffee erzählt Wolfgang Hora, dass seine Familie nicht "so flugverrückt" sei wie er. "Mit meinem Sohn führe ich immer wieder diese Ökodebatte." "Flug-Shaming" ist in diesem Augenblick für mich kein Thema. So etwas macht man ja nicht jeden Tag.

Nach einer Dreiviertelstunde mit Allgäuer Boden unter den Füßen geht es zurück in den Flieger und der tiefstehenden Nachmittagssonne entgegen - auf direktem Weg über Landsberg am Lech und Augsburg zurück nach Manching. Kein Alpenpanorama, dafür sieht man die zum Teil noch bestellten Felder und die volle Stärke der bayerischen Landwirtschaft. "Halt mal", sagt Hora und kramt eine Flugkarte hervor. Ich nehme den Steuerknüppel und schiebe ihn nur einen Zentimeter zu weit nach vorne - schon neigt sich der Flieger nach unten. Ich schreie, Hora lacht. Alles wird gut. Ich übergebe das Steuer dann doch lieber wieder an den Profi.

Schon tauchen am Horizont die rot-weiß-gestreiften Türme des Kraftwerks Irsching auf, der Rundflug neigt sich dem Ende. Langsam sinkt die rote Bölkow Monsun und setzt auf die Landebahn in Manching auf. Geschafft. "Du hast Glück, einer will heute noch fliegen, also müssen wir nicht putzen", sagt Wolfgang. Wir holen unsere Handys raus. Ein kurzer Anruf bei den Lieben zu Hause ist Pflicht - auch bei Wolfgang Hora. Gut gelandet.
 

Tina Blum