Thalmässing
"Alles hat seine Zeit"

Der gebürtige Thalmässinger Günther Kraus hat ein Buch über "Ein Leben in Franken" geschrieben

13.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:51 Uhr

Thalmässing (ub) Der inzwischen verstorbene Professor Hermann Glaser und Johann Schrenk aus Röttenbach haben eine Buchreihe gestartet, die sie "Buchfranken - Bücher über und aus Franken" nennen.

Inzwischen sind 16 Bände plus zwei Sonderbände erschienen. Als 17. Band legt nun Günther Kraus, geboren in Thalmässing, eine Art Lebensrückschau vor. Ihr Titel: "Alles hat seine Zeit. Ein Leben in Franken. "

Der Vater ist im Krieg geblieben. So wächst der kleine Günther mit seiner sechs Jahre älteren Schwester bei der Mutter in Thalmässing auf. Seine Mutter beschreibt er als "eine starke Frau", die als Hausmeisterin der Volksschule den Lebensunterhalt verdient. Die Familie wohnt im Schulhaus und der kleine Günther will selbst mal Lehrer werden. Die Küche wird zum Lehrerzimmer umfunktioniert und viele Lehrer kommen herein, weil sie wissen, dass "Mutter Kraus" über hervorragende Kochkünste verfügt.

1954 besucht er als Zehnjähriger die vierte Klasse. Das Wirtschaftswunder macht sich derweil auch in Kraus' Heimatort bemerkbar: Die ersten Fernseher erobern die Wohnzimmer, man reißt alte Häuser ab und ersetzt sie durch gesichtslose Neubauten. Die jüdische Vergangenheit des Ortes wird totgeschwiegen, die Synagoge wird zur Turnhalle umfunktioniert, die Mikwe - das jüdische rituelle Bad in der Nähe der Synagoge - wird zugeschüttet.

Günther Kraus beschreibt Sitten und Bräuche im Jahreslauf, beklagt die heute meist sinnentleerten Bräuche und kommt zu der Erkenntnis: "Ohne in falsche Nostalgie zu versinken, kann ich sagen, der mangelnde Überfluss nach dem Krieg hat es uns leichter gemacht, Freude zu empfinden und Freude zu geben. "

Das kulturelle Leben im Ort in den 1950er- und 60er-Jahren ist bescheiden: Tierschau im Schulhof, kleiner Wanderzirkus, Kino im Wirtshaus, Lichtbildervorträge, die das spätere Interesse des Autors an der Antike wecken. Theateraufführungen der Vereine und der katholischen Jugend und Klassenfahrten mit dem Omnibus sorgen für Abwechslung.

Ab September 1957 fährt er jeden Morgen mit der Gredl-Bahn nach Hilpoltstein und besucht die Realschule, ein halbes Jahr lang. Sein Interesse an Literatur wächst. Günther wechselt an das Deutsche Gymnasium in Schwabach, kommt am Ende zu der ernüchternden Erkenntnis: "Auf die individuellen Fähigkeiten und Interessen der jungen Menschen wurde kaum geachtet. " 1965 macht er Abitur.

Überraschend erfährt die Familie, dass der im Krieg vermisste Vater bei Aschaffenburg begraben worden ist. Günther setzt sich intensiv mit dem Thema Judentum auseinander. Er entscheidet sich für das Studium der Geschichte und Sozialkunde. In Geschichte macht er seinen Doktor. Danach landet er bei den "Englischen Fräulein" in Nürnberg, wo er Deutsch und Geschichte unterrichtet. Dass er einmal sein Berufsleben an einer katholischen Klosterschule verbringen würde, hätte er sich als Protestant nie träumen lassen. Welthistorische Ereignisse wie den Ungarnaufstand 1956, die Drohung Chruschtschows, West-Berlin zur freien Stadt zu erklären, den Mauerbau am 13. August 1961, die Kuba-Krise 1962, die Ermordung John F. Kennedys am 22. November 1963, die Mondlandung der Amerikaner am 20. Juli 1969 und die Zeit der 68er erlebt er bewusst mit. Immer mehr wendet er sich der SPD zu, bleibt aber parteilos.

1974 hat er sein Staatsexamen in der Tasche und lässt sich zum Studienreferendar ausbilden, 1976 unterrichtet er wieder in den Klassen des Instituts der Englischen Fräulein in Nürnberg, das seit 1966 Maria-Ward-Schule heißt - und zwar für genau 30 Jahre. Er bietet literarische Seminare für Erwachsene an, veranstaltet Dichterlesungen und schwärmt: "Literatur - ein weites Feld! Glücklich der, der zu ihr gefunden hat. Ich bin glücklich! "

Jedes Jahr fährt er mit einer Klasse oder Erwachsenen nach Rom - eine Stadt, die ihn nicht mehr loslässt. Als Fremdenführer ist er aber auch in vielen anderen Gegenden unterwegs. Seit 50 Jahren lebt er inzwischen in Nürnberg und liebt diese Stadt. "Mein ganzes Leben hat sich in dem Dreieck Thalmässing, Erlangen und Nürnberg abgespielt", zieht er Bilanz. "Ich bin gewissermaßen nicht aus Mittelfranken - abgesehen von Urlaubsreisen - hinausgekommen. "

In einem Nachwort schreibt Charlotte Bühl-Gramer, Historikerin und Inhaberin des Lehrstuhls für Didaktik der Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg: ",Alles hat seine Zeit' ist nicht das Buch eines Künstlers, Dichters oder Schriftstellers, es ist eine facettenreiche Schilderung einer persönlichen Lebens- und Erfahrungsgeschichte aus Mittelfranken. Der Rückblick geschehe ruhig, ohne Zorn, ohne verklärende Nostalgie oder fränkische Heimattümelei. " Wer gerne Biografien über Menschen aus der Nachkriegsgeneration liest, ist mit diesem Buch bestens bedient.

Günther Kraus: Alles hat seine Zeit. Ein Leben in Franken. Schrenk-Verlag Röttenbach, 2018, 129 Seiten, Band 17 der Reihe "Buchfranken - Bücher über und aus Franken", ISBN: 978-3-924270-27-8, 14,90 Euro.