München
Alles ein riesengroßer Misthaufen

David Bösch entstaubt Smetanas "Verkaufte Braut" an der Bayerischen Staatsoper in München

23.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:29 Uhr
Stürmisch gefeiert wurden am Samstagabend im Münchner Nationaltheater nicht nur die Sänger. Einen Sonderapplaus gab es für das Schwein Willi, Gefährte des "Dorfdeppen" Wenzel, das laut Programmzettel sein Hausdebüt gab. −Foto: Hösl

München (DK) Auf dem Dorfplatz und im Wirtshaus spielt Bed?

ich Smetanas Nationaloper "Die verkaufte Braut", auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper dampft ein riesengroßer Misthaufen. Dazu gibt es ein paar Bierbänke, Bier in rauen Mengen, eine ungepflegte Toilette mit Pin-up-Poster - und wenn Letztere belegt ist, wird mitten in den Misthaufen gepinkelt. Auch Armdrücken, Pöbeln und ein paar Handgreiflichkeiten gehören dazu, während als Kommentar der berühmte "Furiant" über die Bühne fegt.

Derb und primitiv? Nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten erkennt man sehr genau Bierfeste irgendwo in einem abgelegenen Dorf wieder, das schwer als idyllisch zu bezeichnen ist. Dort, wo Marie halt nicht in hübscher Tracht Männerherzen erobert, sondern mit Gummistiefeln sehr beherzt selbst Traktor fährt und ihrem Hans die Fahrradreifen aufschlitzt, wenn sie sich betrogen fühlt. Dort, wo der Stotterer Wenzel verspottet wird und sich in die bunte Welt eines Wanderzirkus' flüchtet, die mehr Magie verspricht als die dörfliche Einsamkeit. Dort, wo man auf einen Heiratsvermittler Kezal (Werbespruch: "Bräute und Versicherungen") im weißen Anzug über aufgeknöpftem Hemd nur allzu gerne hereinfällt. Und ihm ebenso herzhaft einen Mistkübel über den Kopf kippt, wenn seine Sache schief geht.

Regisseur David Bösch und sein Bühnen-/Kostümteam Patrick Bannwart und Falko Herold haben für ihre Münchner Neuinszenierung die tschechische Nationaloper schlechthin kräftig entstaubt - und das nicht nur, weil sie in der populären deutschen Fassung gespielt wird. Bösch ist kein Provokateur um der Provokation willen, er schaut einfach gerne genau hin und auch mal unter die Oberfläche. Denn dort, wo das Dorf seinen Mist ablädt und Probleme aus Gewohnheit in Gerstensaft ertränkt, gedeihen dennoch Liebe und Hoffnung. Ganz verletzlich und immer am Rande des Abgrunds. Denn die dörfliche Enge ist erdrückend, die Grundstimmung melancholisch. Auch wenn man über Maries zweifarbiges Sockenpaar und das hübsche Bühnenschwein Willi herzhaft lachen darf.

Gerade in dieser so schonungslosen Szenerie gelingt Bösch das Kunststück liebevoller Personencharakterisierungen. Da ist Marie, die sich durchzusetzen weiß, die aber auch in verzweifelte Schockstarre gerät, als sie vom Geliebten vermeintlich verkauft wird. Die blutjunge Selene Zanetti spielt das grandios - und singt sich zugleich die Seele aus dem Leib. Besonders berührend gelingt dabei die Arie "Allein, endlich allein", in der sie ihren großen, tragfähigen Sopran auch in feinstem Piano verströmt. Anfänglich ein wenig vorsichtig singt sich auch Pavol Breslik in den melodienreichen Hans ein und verkörpert den jungen Mann, den vermeintlich "Fremden" (eigentlich der erste Sohn des reichen Grundbesitzers) als schlauen, ebenso leidenschaftlichen wie zurückhaltenden Partner Maries. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke gibt den stotternden, unsicheren Wenzel stimmlich wie darstellerisch nicht nur als Hanswurst, sondern mit Format und tiefem Gefühl. Freilich: Günther Groissböck, Bayreuths Wotan 2020, zieht die meiste Aufmerksamkeit auf sich und darf hier als Heiratsvermittler Kezal sein komödiantisches Talent voll und ganz ausspielen, mit dem er stets hundertprozentig glaubwürdig in jede seiner Partien schlüpft. Sein Kezal ist ein Typ, der seine Großmutter verkauft - aufgeblasen, selbstverliebt und ständig am Handy. Der große Baß Groissböcks freilich kann im lockeren Parlando der Partie nicht so strömen wie sonst.

Besondere Freude bereitet nicht zuletzt, was aus dem Orchestergraben kommt: Tomá? Hanu? lässt mit dem Bayerischen Staatsorchester vor allem in Ouvertüre und Furiant aufhorchen. Hier wirft er den "Motor" an, legt zügig an Tempo zu, hebt brillant einzelne Stimmgruppen heraus, zieht nochmals an - und lässt schließlich ein Funkenfeuerwerk sprühen, während er sich als Sänger-Begleiter eher unterstützend zurückhält. Münchens neue "Verkaufte Braut" ist vergnüglich und nachdenklich, komödiantisch und ernsthaft zugleich und wie gemacht für alle, die froh sind, einer tschechischen Trachten-Show entkommen zu sein.

ZUM STÜCK
Theater:
Bayerische Staatsoper München
Regie:
David Bösch
Musikalische Leitung:
Tomá? Hanu?
Läuft bis:
22. Juli 2019
Kartentelefon:
(089) 21 85 19 03

Barbara Angerer-Winterstetter