Ingolstadt
Allein ist nicht steigerbar

Komisch und berührend: Leni Brem inszeniert Lida Winiewicz' "Paradiso" im Ingolstädter Altstadttheater

25.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:00 Uhr

Ziemlich beste Freundinnen: Kathrin Becker (links) und Manuela Brugger als Martha und Vicky in "Paradiso". - Foto: Voigt

Ingolstadt (DK) "Paradiso" heißt das nahgelegene Altenheim. Dorthin will Martha auf keinen Fall. Die 81-jährige pensionierte Schuldirektorin zieht die alleinige Gesellschaft ihrer Bücher in ihrer viel zu großen Wohnung vor. Wenn ihr nach Gesprächen ist, geht sie in den Park und redet mit den Enten. Dort lernt sie eines Tages auch Vicky kennen. Vicky ist etwa 30 Jahre jünger, von Beruf Krankenschwester, aber gerade arbeitslos geworden. Deshalb schlägt sie sich mit dem Verkauf von Sterbeversicherungen durch: "Alles inklusive: Todesanzeigen, Porto, Aufbahrung, Bestattung, Kränze, Musik - und drei Jahre Grabpflege gratis!"

Bei Martha hat sie damit keinen Erfolg. Aber die beiden kommen auf der Parkbank (Ausstattung: Christina Huener) ins Gespräch. Und obwohl es zu Beginn ganz und gar nicht danach aussieht, ist das der Beginn einer Beziehung, die schon bald über die berufliche hinausgeht. Vicky wird Marthas Pflegerin, Masseurin, Köchin, Gesellschafterin, Schülerin, Reiseleiterin - und bald auch Freundin.

"Paradiso" heißt das Stück von Lida Winiewicz für zwei starke Schauspielerinnen, das am Donnerstagabend unter der Regie von Leni Brem im Ingolstädter Altstadttheater Premiere feierte. In Kathrin Becker und Manuela Brugger, die sich bereits am Stadttheater in den verschiedensten Rollen empfahlen, hat sie die perfekte Besetzung gefunden. Denn Martha, die ehemalige Frau Schuldirektor, ist eine strenge, dominante, kluge, bisweilen selbstgerechte und vor allem eigenwillige Frau, die aber auch sehr einsam und verletzlich ist und vielleicht gar nicht merkte, dass sie ihren Lebenshunger lange Zeit nur betäubt hat. Und Kathrin Becker spielt diese kleine, zarte, zähe Frau mit großer Kraft und Intensität, mit Präzision und überraschender Komik. In Manuela Brugger als Vicky hat sie eine kongeniale Partnerin gefunden. Diese Vicky ist nämlich zunächst nicht leicht zu durchschauen. Wie dreist sie auf Martha zugeht ("Haben Sie schon ein Grab"), was sie alles von ihr weiß ("Unsere Straße ist ein Dorf, Frau Direktor!"), könnte man auch den Verdacht haben, sie hätte es auf ihr Geld abgesehen ("Ich werd' sowieso alles erben. Ich sag's Ihnen lieber gleich. Nicht, dass es dann heißt, ich hab mich bei Ihnen eingeschlichen!"). Aber Vicky ist aufrichtig, gradlinig, den Menschen zugewandt, emotional, lebendig, liebt trockenen Humor und merkwürdige Strickwaren und hat den Mut, Neues auszuprobieren. Manuela Brugger spielt sich durch all diese Facetten so sensibel wie souverän. Und im Miteinander der beiden Schauspielerinnen entstehen anrührende Momente - wenn beide Frauen ihre Verwundungen preisgeben - und solche absurdester Komik. Spannend zu beobachten ist auch, wie sich das Machtverhältnis mehr und mehr verschiebt, wie die Abhängigkeiten wechseln und die Beziehung immer neu definiert wird.

Regisseurin Leni Brem führt die beiden mit großer Sicherheit auf dieser Gratwanderung, achtet auf Tempo und Rhythmus, bedient das Schwarzhumorige, vermeidet Klischee und Sentiment. Weil sie die Figuren in dieser Komödie mit Tiefgang ernst nimmt, schafft sie das, was gutes Theater auszeichnet - das Publikum zum Nachdenken zu bringen. Über das, was ist. Was bleibt. Über Chancen und Mut. Wenn man sich dazu noch 100 Minuten gut unterhalten fühlt - was will man mehr?

Weitere Vorstellungen im Altstadttheater: 1., 11., 16. Dezember, 6., 19., 20. Januar 2017. Karten gibt es in allen DK-Geschäftsstellen.