Eichstätt
"Alle versuchten, sie zu deflorieren"

Zum Wintervortrag von Daniela Hacke aus München über Geschlechterrollen in Venedig

03.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:42 Uhr

Eichstätt (buk) Immer wieder ist die Rede davon, dass in der Adelsrepublik Venedig die Freiheit für den Adel herrschte. Doch nicht für alle Adligen – sondern nur für die Männer. Das zeigte der zwölfte und damit bereits vorletzte Wintervortrag von Daniela Hacke aus München, dem die Historikerin den Titel „Zwischen Mythos, Macht und literarischer Fiktion: Topographien der Geschlechter im Venedig der Frühen Neuzeit“ gegeben hatte.

Erneut fand sich dazu ein ansehnliches Publikum im Kapuzinerhörsaal ein.

In der Frühen Neuzeit wurde Venedig als eine Frau imaginiert, wie die Historikerin ausführte: So habe etwa Goethe in Vorfreude auf den Besuch Venedig als „Herrscherin der Adria“ etikettiert, sie aber auch als Verführerin personifiziert. In der Selbstdarstellung Venedigs spielten drei Frauenfiguren eine Rolle: Justitia, die Jungfrau Maria und auch Venus. Justitia verweise auf die gerechte Herrschaft des Adels, Venus sei wie Venedig „aus dem Meer geboren“, und Maria sei eine Patronin der Stadt, weil diese am 25. März 421, also am Tag von „Mariae Verkündigung“ gegründet worden sein soll.

Die Allegorie der Justitia finde sich, ausgestattet mit Schwert und Schriftrolle, dargestellt auf der Westseite des Dogenpalastes, dort, wo auch Recht gesprochen wurde; sie thront auf dem höchsten Wellenkamm der adriatischen See. Dass man Venedig zugleich mit Maria und Venus in Verbindung bringe, scheint heute ein Widerspruch. Doch hätten schon frühe Geschichtsschreiber etymologische Parallelen zwischen den Namen der Stadt und der Liebesgöttin gesehen. Ebenso wurde Venedig aber auch als „jungfräuliche Stadt“ assoziiert, was die Verbindung mit der Gottesmutter Maria nahelegt. Diese Identifikation verfestigte sich im 16. und 17. Jahrhundert, denn wie Maria sich ihre Jungfräulichkeit bewahrt habe, so habe sich auch Venedig gegen Angriffe von außen geschützt, ohne eine Stadtmauer zu besitzen; der Schutz bestand „allein durch die Mauern ihrer Keuschheit“. Dazu steuerte die Referentin auch ein ausführliches Zitat des englischen Reiseschriftstellers Thomas Coryate (1577-1617) bei, dessen Charakterisierung Venedigs „zur Sexualisierung der Stadt“ beigetragen habe; er schrieb 1611: „Diese edle Stadt hat wie eine reine Jungfrau und eine unbeschmutzte Maid ihre Jungfräulichkeit 1212 Jahre unberührt bewahrt, obwohl Imperatoren, Könige, Prinzen und mächtige Potentaten, angezogen von ihrer herrlichen Schönheit, versuchten, sie zu deflorieren, aber jeder wurde zurückgestoßen.“

Derartige Zitate und Sichten des Mythos konfrontierte Daniela Hacke dann mit der historischen Realität. Hier sei die Ehre der Frau stets verbunden gewesen mit dem Schutz des Mannes. Wie der Doge die Herrschaft über die Stadt besaß, so hatte sie der „Pater Familias“ über die Gattin inne. Während die Männer „ihre Gelüste frei befriedigen konnten“ und sie auch außerhalb der Ehe auslebten, waren die adligen Damen geradezu an das Haus gefesselt und eingekerkert, allein mit dem Ziel, Kinder zu gebären. Auch kam es später zu erzwungenen Klostereintritten der Patrizierinnen, wo sie dann in abgeschlossenen Räumen mit wenigen Fenstern und „oft zugemauerten Türen“ ihr restliches Leben zu verbringen hatten.