München
"Aber wehe, Sie legen mich aufs Kreuz!"

Der britische Kinostar Michael Caine über seine "böse Seite", seine Beziehung zu Frauen und seinen neuen Film "Mr. Morgan’s Last Love"

21.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:45 Uhr

München (DK) Die britische Kinolegende Michael Caine spielt nach langer Zeit wieder einen Hauptrolle. In dem melancholisch-humorvollen Drama „Mr. Morgan’s Last Love“, das heute ins Kino kommt, ist er ein Witwer, der durch die Begegnung mit einer jungen Frau noch einmal Lebenslust verspürt. Mit seinen 80 Jahren ist Michael Caine immer noch eine stattliche Erscheinung. Während sich seine ehemaligen Mitstreiter, wie Sean Connery oder Peter O’Toole, längst aufs Altenteil zurückgezogen haben, gibt es für ihn nichts Schöneres, als in mindestens ein, zwei Filmen pro Jahr mitzuwirken. Im Interview in München mit unserem Mitarbeiter Ulrich Lössl zeichnet sich der zweimalige Oscar-Preisträger („Hannah und ihre Schwestern“, „Gottes Werk und Teufels Beitrag“) durch eine feine Mischung aus Bescheidenheit und britischen Humor aus.

Als junger Schauspieler waren Sie gut zehn Jahre lang arm und erfolglos. Was gab Ihnen die Kraft, diese Durststrecke zu überstehen?

Michael Caine: Was sollte ich denn auch sonst machen? Mich – wie mein Vater – in einer Fischgroßmarkthalle krummarbeiten? Nie im Leben! Und wir waren zwar arm, aber ich habe nie in meinem Leben wirklich gehungert oder gefroren. In meiner Familie gab es auch immer sehr viel Liebe und Geborgenheit. Und meine Mutter hat mir oft genug auch noch ihr bisschen Erspartes zugesteckt, damit ich über die Runden komme.

 

Sie kommen aus der Londoner Arbeiterklasse . . .

Caine: . . . und ich habe es bis nach Hollywood geschafft. Das war ein sehr steiniger Weg. Es gab damals, im England der 50er Jahre, genau zwei Möglichkeiten dem Arbeitergetto zu entkommen: als Sportler oder als Schauspieler. Und Schauspieler wurden damals von den meisten sehr abfällig als „Weicheier“ beschimpft. Als ich meinem Vater sagte, dass ich es mit der Schauspielerei versuchen wollte, fragte er mich: „Bist du schwul“ (Lacht) Was natürlich ein Witz war. Wo ich doch eigentlich nur Schauspieler geworden bin, um bei Frauen einen Stich zu bekommen.

 

Was Ihnen dann ja auch gut gelungen ist. Der Playboy-Rolle, die Sie in Ihrem ersten Kinohit „Alfie“ spielten, sollen Sie ja auch im wirklichen Leben mehr als gerecht geworden sein.

Caine: Zum einen: Ich habe es sehr schnell gehasst, dass man mich überall auf der Welt mit diesem doch ziemlich herzlosen Playboy gleichgesetzt hat. Anderseits will ich nicht verschweigen, dass ich mein ganzes Leben lang – bevor ich meiner zweiten Ehefrau Shakira begegnet bin – mit schönen Frauen an meiner Seite verbrachte. Ich habe sie geküsst und mit ihnen in allen Betten der Welt Liebe gemacht. Es war für mich also sonnenklar, dass es schon eine ganz besondere Frau sein musste, zu der ich nach jedem Dreh mit fliegenden Fahnen heimgekommen bin. Mittlerweile sind wir mehr als 40 Jahre glücklich verheiratet.

 

In Ihrem neuen Film „Mr. Morgan’s Last Love“ nennen Sie Ihrer jungen Freundin Pauline zehn Gründe, warum Sie sie lieben: Erinnern Sie sich noch, was Sie Ihrer Frau damals sagten?

Caine: Oh, ich sage ihr täglich noch viele Dinge – die allerdings nur für ihre Ohren bestimmt sind. An Shakira bewundere ich aber ganz besonders, dass sie keinen bösen Knochen im Leib hat. Ich bin in meinem Leben nur sehr wenigen Menschen begegnet, bei denen das so war. Auch ich habe zum Beispiel eine böse Seite, das können Sie mir glauben. Shakira aber nicht. Sie ist nie unfreundlich oder gar böse oder nachtragend. Sie nimmt das Leben mit bewundernswerter Gleichmut und Würde.

 

Was ist Ihre „böse Seite“ denn genau?

Caine: Ich bin der netteste, freundlichste, sanfteste und witzigste Mensch, dem Sie je wünschen können zu begegnen. Aber wehe, Sie legen mich aufs Kreuz! Dann geht bei mir das Visier runter und es ist aus. Bei mir kriegt niemand eine zweite Chance!

 

Es gibt sehr wenige Schauspieler, die sich so lange und so gut im Filmbusiness behaupten konnten. Ist das mehr Glück oder mehr Können?

Caine: Mehr Glück, wenn ich ehrlich bin. Und ein bisschen Talent. Ich verdanke das, was ich kann, zum großen Teil meiner 13-jährigen Erfahrung als Bühnenschauspieler. Wenn man auf der Bühne einen witzigen Satz sagt, dann reagieren die Zuschauer spontan darauf und lachen. Sagt man einen witzigen Satz vor laufender Kamera herrscht am Set Totenstille. Wenn einer lacht, wird er sofort gefeuert, weil er den Take ruiniert hat. Dieses Comedy-Timing ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Und das ist eminent wichtig beim Film.

 

Und wie gehen Sie mit jungen Kollegen um, die beim Drehen vor der Kino-Legende Michael Caine total eingeschüchtert sind?

Caine: Ich versuche, ihnen vor allem die Nervosität zu nehmen. Und wenn sie mal einen Textzeile vergessen, dann machen wir es einfach noch einmal. Und dann vergesse ich meinen Text – und dann sind wir schnell auf derselben Stufe. Beim dritten Mal klappt es dann bestimmt. Nur keinen Stress. Viele Schauspieler lieben es, unter Druck zu arbeiten. Für mich ist das nichts. Ich bin ein „Stanislawski-Schauspieler“. Und der große Schauspielerlehrer sagte immer: „Die Proben sind die eigentliche Arbeit. Die Performance ist die Entspannung.“

 

Als Sie mit Sir Laurence Olivier das Zwei-Personen-Stück „Mord mit kleinen Fehlern“ drehten, war wohl nicht viel Entspannung am Set, oder?

Caine: Stimmt. Ich war damals ziemlich angespannt. Olivier hatte ja nicht nur den Ruf, sehr schwierig zu sein, sondern war schließlich schon eine Institution – der große Lord Olivier. Ich dagegen war der kleine dahergelaufene Schauspieler mit dem Cockney-Akzent. Zwei Wochen bevor wir mit den Proben anfingen, erhielt ich einen Brief von ihm. Er schrieb: „Es ist mir zu Ohren gekommen, dass Sie nicht wissen, wie Sie mich – wegen meines Lord-Titels – korrekt anreden sollen. Von dem Zeitpunkt an, wo wir uns die Hände schütteln, werde ich für Sie immer Larry sein.“ Viele Jahre später habe ich – selbst längst zum Ritter geschlagen – ein Remake des Films gemacht. Diesmal spielte ich die Rolle von Larry und Jude Law meine. Nie im Leben hätte ich Jude so einen Brief geschrieben. Da wäre ich mir total lächerlich vorgekommen. Daran sieht man, wie sich das britische Klassensystem dann doch – zum Glück – verändert hat.

 

Kannten Sie eigentlich die Regisseurin Sandra Nettelbeck, bevor Sie mit ihr „Mr. Morgan’s Last Love“ machten?

Caine: Nein. Aber ich habe sie sehr schnell durch das Drehbuch, das sie ja selbst geschrieben hat, kennengelernt. Und ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich manchmal sogar ein bisschen geweint habe. Zum Beispiel als mein Film-Alter-Ego einen Selbstmordversuch unternimmt. Sandra ist eine sehr einfühlsame Frau und eine sehr gute Regisseurin. Ich habe sie immer meine kleine „Mrs. Huston“ genannt. In Anspielung an den großen John Huston, mit dem ich den Film „Der Mann, der König sein wollte“ machen durfte. John war ein Meister des Castings – genauso wie Sandra. John sagte immer: „Die richtige Besetzung ist die halbe Miete.“ Und Sandra hat ganz wunderbare Schauspieler für ihren Film zusammengeführt. Übrigens auch wie bei ihrem Film „Bella Martha“, den ich sehr liebe. Sandra ist mir richtig ans Herz gewachsen.

 

Im Film haben Sie eine schwierige Beziehung zu Ihren Kindern. Wie sieht es denn im richtigen Leben aus? Sie waren doch immer auch der Larger-than-Life-Movie-Star?

Caine: Ich habe zwei längst erwachsene Töchter aus meinen beiden Ehen. Und die sind ganz gut damit klargekommen, dass ihr Vater sein Geld im Filmbusiness verdient. (Lacht) Und für meine drei kleinen Enkel bin ich sowieso der Größte seit die mich im Fernsehen in einem „Batman“-Trailer gesehen haben. Sie sagen jetzt immer voller Stolz: „Mein Pa – sie nennen mich Pa – ist in „Batman“! Ganz abgesehen davon ist es doch ein wunderbares Gefühl, dass ich auch nach meinem Tod höchstwahrscheinlich in ein paar Filmen weiterleben werde.

 

Eine Besprechung des neuen Films mit Michael Caine, „Mr. Morgan’s Last Love“, finden Sie in unserer Beilage „unterwegs“.