Aber ihr Herz blieb schlesisch

15.01.2009 | Stand 03.12.2020, 5:17 Uhr

Gertrud Große, die "schlesische Eichstätterin", ist tot. - Foto: be

Eichstätt (-) Sie gehörte zum Eichstätter Stadtbild. Kein Tag, ohne dass die kleine, energiegeladene Frau mit ihrem breiten Hut und wallenden Mantel leicht nach vorne gebückt und mit bestimmten Schritten nicht wenigstens einmal von ihrer Wohnung in der Hindenburgstraße dem Zentrum zustrebte.

Ebenso wie ihre Liebe zu Eichstätt kennzeichnet aber auch der Titel der für ihre Kinder und einen engen Kreis von Bekannten verfassten Erinnerungen ihre Person: "Aber das Herz blieb schlesisch".

Harte Zeiten

Auf die Welt kam sie 1910 in Hirschberg im Riesengebirge. Mit dem Tod des Vaters im Ersten Weltkrieg begannen für Mutter und Kind harte Zeiten. Trotz aller Entbehrungen legte sie in der schwierigen Zwischenkriegszeit mit einem Studium der Germanistik an der Universität Breslau den Grundstock für die große geistige und menschliche Weite, die fortan ihr Tun bestimmte und zum Kennzeichen ihrer Persönlichkeit wurde: Sie trieb Familienforschung in Archiven in ganz Deutschland und in der Schweiz, sang als überzeugte evangelische Christin mehr als ein Jahrzehnt als Tenor (!) im katholischen Obereichstätter Kirchenchor und war dem dortigen Pfarrer Josef Söllner in einer herzlichen Freundschaft verbunden. Sie studierte mit über 70 Jahren an der Katholischen Universität Eichstätt zehn Semester lang Geschichte, Literatur und Politikwissenschaft, hielt Vorträge und Autorenlesungen, schloss sich der Frauen Union und dem Historischen Verein an, "um ein besseres Heimatgefühl zu bekommen", verfasste Gedichte, Novellen und Artikel für Fachzeitschriften und war eine Fotografin mit einem einmaligen Blick für das Ästhetische und Wesentliche. Noch mit über 90 Jahren versuchte sie im Seniorenheim, in dem sie seit 2005 in der Nähe ihrer Tochter wohnte, Mitbewohner für einen literarischen Kreis zu gewinnen. "Aber mit den alten Leuten ist ja nichts mehr zu machen", klagte sie enttäuscht ihr Leid.

Gertrud Große war ein großartiger Mensch. Sie hat viel erlebt und auch viel durchgemacht. Mit dem Hirschberger Zahnarzt Hans-Ludwig Große, den sie 1937 heiratete, landete sie auf heute kaum mehr begreiflichen Umwegen nach der Vertreibung 1945 vorübergehend in Eichstätt, wo ihr Mann zunächst als Assistent bei Zahnarzt Dr. Richard Diener und dann auch in einer eigenen Praxis seinen Beruf ausübte. 1954 zog die Familie wegen besserer beruflicher Möglichkeiten des Vaters nach Alsdorf bei Aachen, wo auch Gertrud Große in einer Sonderschule ihrem erlernten Beruf nachgehen konnte. Nachdem ihr Ehemann in den Ruhestand gegangen war, entschied sich die Familie für das Altmühltal als Wohnsitz und zog zunächst nach Obereichstätt. Nach dem frühen Tod des Mannes 1978 wurde schließlich Eichstätt zur endgültigen zweiten Heimat.

Optimismus bewahrt

Trotz aller widrigen Lebensumstände bewahrte Gertrud Große sich ihren Optimismus. Sie stand mit beiden Füßen im Leben, klagte nie, lebte bescheiden und war stets nach vorne orientiert und neuen "Unternehmungen" zugewandt. Immer machte sie anderen Menschen Mut. "Tut etwas weh, dann muss man sich nur klarmachen, dass es etwas Schlimmeres gibt", oder: "Ich hab nie aufgegeben und hab mich immer wieder aufgerappelt". Aussagen wie diese kennzeichneten ihre Lebenseinstellung. Neben den Angehörigen und den vielen Menschen, die ihr nahe standen und sie schätzten, trauert um sie ganz besonders ein kleiner Freundeskreis, in den sie bei zahlreichen Exkursionen immer wieder ihren großen Kunstsinn und ihre Begeisterung für alles Schöne einbrachte.

Die Beerdigung wird an einem noch nicht bekannten Termin in Eichstätt stattfinden.

Bernhard Eder