Abbruch vernichtet städtische Energien

31.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:05 Uhr

Zum Bericht: „Gedankenspiele“ (DK vom 28. Mai). Immer mehr Ingolstädter setzen sich für den Erhalt des Pavillons im Freibad ein:

Wir sind Weltmeister im Mülltrennen und Wiederverwerten von Abfällen. Fleißig recyceln wir Altmetalle, Glas, Papier, Kunststoffe. Bereiten Wasser auf und kompostieren Organisches. Wie aber gehen wir mit unserem erneuerungsbedürftigen Gebäudebestand um?

Der Umgang mit dem Gebäudebestand ist längst zu einer wichtigen gesellschaftlichen und architektonischen Aufgabe geworden. In dem nebeneinander von Schrumpfen und Wachsen der Städte geht es um Sanierung, Umnutzung, Revitalisierung, Ergänzung und das Füllen von Lücken in der Stadt. Leider heißt eine vordergründige Antwort auf das Problem allzu schnell: Abbruch und Neubau. Dabei werden meist wirtschaftliche Gründe angeführt. Eine Sanierung lohne sich nicht, zu teuer, unrentabel. Umfangreiche Wirtschaftlichkeitsberechnungen werden angeführt. Hierbei werden jedoch bisweilen wichtige Belange übersehen.

Der Gebäudebestand – auch die wenig geschätzten Gebäude und Siedlungen der Nachkriegsmoderne – muss als wichtige energetische, kulturelle, soziale und architektonische Ressource für die Gestaltung unserer Zukunft erkannt und eine grundsätzlich affirmative Haltung gegenüber dem Vorhandenen entwickelt werden.

In jedem Gebäude sind Energien gespeichert. Tatsächliche, physische Energie, die bei der Erbauung verbraucht wurde und die bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen in der Regel außen vor bleiben.

Kulturelle Energien. Die Menschen, die das Gebäude erdacht, geplant und gebaut haben, sich mit der Bauaufgabe in schwierigen Zeiten auseinandergesetzt haben.

Soziale Energien. Gruppen von Menschen, die das Gebäude beschlossen, unterstützt, erhofft, erträumt, realisiert und schließlich genutzt haben. Menschen, die mit dem Bau groß geworden sind, gelebt und vieles erlebt haben.

Das mögen Energien und Belange sein, die sich einer betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise verschließen, aber sie sind ebenso real und im kollektiven Gedächtnis gespeichert. In jeder Stadt. Denn Stadt ist gebaute Kultur, Stein gewordenes kulturelles Gedächtnis einer Gesellschaft. Ob das nun große oder kleine Bauten sind. Bauten, über die gestritten wurde, geliebt, missachtet, verachtet, genutzt, benutzt wurden und Lebens- und Möglichkeitsräume boten, die Teil der Stadt geworden sind. Jede Stadt und jede Bürgerschaft braucht diese Artefakte, um sich ihrer selbst zu vergewissern. Auch Ingolstadt.

Man sollte pfleglich und sorgsam mit ihnen umgehen, ob sie nun Nordbahnhof, Körnermagazin, Stadttheater, Hallenbad oder Freibadpavillon heißen. Kein Abbruch sollte tabu sein, aber genau überlegt. Ein Abbruch vernichtet städtische Energien, kulturelle, soziale und ökonomische Werte. Und wenn schon ein Abbruch unvermeidlich sein sollte, was fast nie der Fall ist, dann sollte das Neu bitte in der Lage sein, neue und nachhaltige Werte zu begründen. Reduce, Reuse, Recycle lautete das Motto des Deutschen Pavillons der 13. Internationalen Architekturausstellung La Biennale di Venezia 2012. Sie thematisierte Architektur als Ressource. Es wäre wünschenswert und notwendig, derartiges auch vor Ort einzufordern.

Siegfried Dengler, Architekt (BDA) und Stadtplaner,

für das Architekturforum

Ingolstadt