Neuburg
36 Jahre, 20 Millionen Euro und zwei Hundebisse

Peter Frank hat als Gerichtsvollzieher im Landkreis so einiges erlebt - Nun ist er in Altersteilzeit

22.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:47 Uhr
Nur selten habe er zu seinen Einsätzen die Polizei hinzurufen müssen, erklärt Peter Frank, doch der Job hätte sich in den vergangenen Jahren stark verändert, die Probleme seien vielfältiger. −Foto: Schmidt

Neuburg (DK) Seit Mai 1981 hat Peter Frank 92 000 Aufträge als Gerichtsvollzieher übernommen und insgesamt etwa 20 Millionen Euro eingetrieben. So einige schwierige Situationen hat er gemeistert. Nun räumt er sein Büro und verabschiedet sich aus dem Beruf.

An die schwierigsten Momente seiner Laufbahn erinnert sich Frank gut. Da waren zwei Fälle, als er im Auftrag des Jugendamtes Kinder aus ihren Familien holen musste. "Einmal mussten die Kinder wegen Unterernährung ins Krankenhaus", erinnert sich der Gerichtsvollzieher in Altersteilzeit. Im Gedächtnis geblieben ist dem 62-Jährigen auch ein Fall, als er eine Wohnung aufbrach und eine Leiche vorfand - der Mann hatte sich an einer Lampe erhängt. Ein anderes Mal schnitt sich ein Schuldner bei der Zwangsräumung seiner Wohnung die Puladern auf. "Manches hat man heute noch vor dem inneren Auge", sagt er nachdenklich.

All das ahnte er noch nicht, als er mit 27 als Gerichtsvollzieher anfing. "Ich wollte nicht nur am Schreibtisch sitzen", erklärt Frank seine Entscheidung, nach der Ausbildung zum Beamten im mittleren Dienst noch die 18-monatige Ausbildung zum Gerichtsvollzieher zu machen. Seit Mai 1981 arbeitete er in dem Beruf - als Beamter, aber wie ein Selbstständiger. Das Büro war im Keller seines Hauses, für Angestellte und Ausstattung war er selbst verantwortlich. Und auch die Arbeitszeiten glichen dem eines Selbstständigen: "Jahrelang war der Samstag für mich ein ganz normaler Arbeitstag." Er habe damals Glück gehabt, nach Neuburg zu kommen, kannte er doch schon zu Beginn der 80er-Jahre seine Frau Brigitte. Die half ihm in all der Zeit als Angestellte und "Frau für alle Fälle" - denn zu tun gab es genug.

"Einmal habe ich Waffen versteigert. Da hatte ich die ganze Jägerschaft des Landkreises in meinem Keller."

Peter Frank

 

Frank betreute einen Großteil von Schrobenhausen, Gachenbach und auch die Justizvollzugsanstalt in Neuburg. Das Amtsgericht Neuburg gab ihm die Fälle, die Gläubiger waren unterschiedlich. Frank trieb nicht nur Forderungen der öffentlichen Hand ein, die auf die Zahlung von Strafzetteln oder GEZ-Gebühren warteten. Auch Private wie Versicherungen oder Versandhäuser waren die Auftraggeber.

Er beginnt bei der Auflistung seiner Aufgaben mit der "einfachsten", wie er sagt: Dem Zustellen von Einschreiben. Doch auch das hat seine Tücken: "Suchen Sie mal in einem Hochhaus mit zehn Parteien ohne Klingelschild den Richtigen." Doch mit der Zeit habe er Kontakte geknüpft - Hausmeister zum Beispiel seien immer wertvoll gewesen. Die Hauptarbeit habe er auf Vermögensauskünfte verwendet, also die Leute vorgeladen, nach ihren Vermögensverhältnissen befragt und mit ihnen einen Zahlungsplan vereinbart, wenn möglich. Was die meisten aber wohl als Hauptaufgabe der Gerichtsvollzieher sehen - die Vollstreckung von Geldforderungen - hat Frank seit fünf bis sechs Jahren nicht mehr beschäftigt. "Luxusgegenstände, die man pfänden könnte, gibt es kaum mehr", erklärt er, "die Leute leasen ihre Autos und kaufen Fernseher auf Raten." Früher habe er bei solchen Terminen ein Auge auf große Fernseher gehabt, auf Videorekorder und Vorwerkstaubsauer ("Damals ein Luxusteil").

Was er bei den Menschen pfändete, versteigerte Frank lange Zeit auch noch selbst. So ergaben sich skurrile Situationen: "In einem Fall habe ich eine Videothek ausräumen müssen und hab dann in der Garage 20 000 Videokassetten versteigert. Das hat drei Samstage gedauert, wir haben extra Bierbänke aufstellen müssen. Die nicht jugendfreien Filme haben wir dann im Keller versteigert." Auch ein BMW M3 war unter seinen Auktionsgegenständen - und brachte 40 000 Mark ein. "Einmal habe ich Waffen versteigert. Da hatte ich die ganze Jägerschaft des Landkreises in meinem Keller."

Doch an diese Wertgegenstände zu kommen, sei nicht immer leicht gewesen, schließlich ist es kein angenehmer Termin, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Drei Hunde haben ihn während seiner Laufbahn gebissen, fünf bis sechsmal habe er die Polizei zu seinen Einsätzen dazurufen müssen, weil es zu gefährlich wurde. Denn mit der Zeit hätte sich auch der Job verändert. Die Arbeit wurde mehr, der Stress nahm zu, das Klientel wurde schwieriger, Sprachbarrieren häufiger. Zum Ende hatte Frank eine Erklärung in mehreren Sprachen dabei, was Gerichtsvollzieher auf Russisch heißt, weiß er schon lange. Die Zwangsräumungen hätten zugenommen, genauso wie die Stromsperren. Auch die Gewaltschutz-Fälle, zum Beispiel, wenn aufgrund von häuslicher Gewalt ein Platzverweis vorliegt, seien mehr geworden. "Der Nachteil ist, du bist immer allein", erklärt Frank. Zwar habe er ein Pfefferspray dabeigehabt, doch er darf die Leute nicht berühren.

Er sei immer der Vermittler gewesen - die Entscheidung zur Pfändung oder Zwangsräumung hat schließlich er nicht getroffen, doch die Leute hätten das oft nicht verstanden. "Ich habe ein ruhiges Gemüt", erklärt er, "da habe ich die Leute erst mal ein paar Minuten schreien lassen und sie dann mit den Fakten konfrontiert. Da wurden Sie oft ganz leise." Lachen muss Frank im Nachhinein noch über einen Mann, der sich, als der Gerichtsvollzieher klopfte, als sein Bruder ausgab, um der Pfändung zu umgehen. Draußen vor der Tür stellte sich aber im Gespräch mit dem Nachbarn heraus, dass er gelogen hatte. "Dann bin ich wieder hoch zu ihm", sagt Frank und schmunzelt.

Seit dem 19. Januar ist der 62-Jährige nun in Altersteilzeit, derzeit räumt er sein Büro - und stößt dabei auf Relikte wie seinen ersten Gehaltszettel aus dem Jahr 1981. Langweilig wird Frank aber auch im Ruhestand nicht. Seine drei Töchter und sein zweijähriger Enkel beschäftigen ihn genauso wie seine Ehrenämter als Kirchenpfleger in Sankt Ulrich und im Schützenverein. Sport steht auch auf der Liste der Dinge, die Frank nun vermehrt tun will.

Ob er sich im Nachhinein wieder für den Job entscheiden würde? Ein klares Ja ist ihm nicht zu entlocken. Zu viel habe sich über die Jahre verändert. Doch obwohl die Branche laut Frank ein großes Nachwuchsproblem hat, ist seine Stelle schon wieder besetzt: Michael Leichtenstern trat am 1. Februar die Nachfolge an - und ist fortan als Gerichtsvollzieher unterwegs.