30 Stunden Arbeit für eine Doppelseite

Haare vom Eichhörnchen, Borsten vom Stachelschwein und 43gehäutete Kälber für das Pergament: Der Restaurator Jan Braun erläutert auf der Burg die Herstellung des "Prunner Codex" und dessen Rekonstruktion für die Ausstellung. <?MAK TagName="Uni" Vorschub="16dp" SchriftStil="0" SchriftGroesse="8,4dp" EinzugAbsatz="0ru" SchriftArt="ITC Franklin Gothic Book"> Von Katrin Trattner<?_MAK>

25.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:36 Uhr
Das auf Burg Prunn gezeigte Faksimile des Nibelungenlieds wurde von Restaurator Jan Braun (r.) mit mittelalterlichen Werkzeugen und Techniken hergestellt. −Foto: Trattner

Haare vom Eichhörnchen, Borsten vom Stachelschwein und 43gehäutete Kälber für das Pergament: Der Restaurator Jan Braun erläutert auf der Burg die Herstellung des "Prunner Codex" und dessen Rekonstruktion für die Ausstellung.

Burg Prunn (DK) Am Sonntagnachmittag haben sich rund 20 Interessierte auf Burg Prunn eingefunden, um zu erfahren, wie die dort ausgestellte Reproduktion der ersten Doppelseite des Prunner Codex entstanden ist. Jan Braun, Diplomrestaurator bei der Bayerischen Schlösserverwaltung, erklärte bei seiner Expertenführung, welche Vorgehensweisen und Materialen dabei eingesetzt wurden.

Vor rund 450 Jahren wurde auf Burg Prunn eine der ältesten vollständigen Handschriften des Nibelungenlieds entdeckt, die nach dem Fundort Prunner Codex benannt wurde. Als Codex bezeichnet man mittelalterliche Bücher, die zwischen Holzdeckel eingebunden sind.

Das Heldenepos gelangte 1575 nach München in die Bibliothek des bayerischen Herzogs Albrecht V., heute befindet sich die wertvolle Handschrift im Tresor der Bayerischen Staatsbibliothek. Anlässlich der Eröffnung der Dauerausstellung "Burg Prunn und das Nibelungenlied" im Jahr 2012 konnte die originale Handschrift für kurze Zeit auf der Burg gezeigt werden. Zugleich stellte sich die Frage, was nach der Rückgabe der unersetzbaren Handschrift ausgestellt werden könnte.

Genau mit dieser Frage beschäftigte sich Jan Braun und kam schnell zu dem Entschluss, dass es keine digitale Reproduktion sein sollte, sondern eine Handschrift, die dem Original möglichst nahekommt. Bei der Nachbildung, dem sogenannten Faksimile, sollten auch die angewandten Techniken weitestgehend ursprünglich sein. Doch dies war nicht in allen Bereichen möglich, denn schon bei der Auswahl der Schreibunterfläche wurden dem Restaurator Grenzen gesetzt. Das Original war auf Pergament geschrieben, also auf spanngetrockneter Tierhaut. Da die Pergamentherstellung sehr aufwendig und kostenintensiv ist, entschied sich Jan Braun, den Schreibstoff von einem deutschen Anbieter zu beziehen, der Pergament noch nach alter Tradition herstellt. Auf das Beschreiben hat Braun das Pergament allerdings eigenhändig vorbereitet: Er hat es mit Wasser angefeuchtet und mit einem Bimsstein angeraut, damit die Schrift besser darauf hält.

Die Schreibwerkzeuge hat der Papierrestaurator selbst rekonstruiert: Aus Stachelschweinborsten, Federkielen und Eichhörnchenhaaren, den sogenannten Fehhaaren, stellte er nach aufwendiger Recherche und Materialkunde Pinsel her. Mit deren Hilfe zeichnete er die Initialen, die dem Text seine charakteristische Gliederung geben sollen, und die Fleuronnés, die in der Buchmalerei typischen Ornamente. Das Schreiben versuchte der Restaurator zunächst mit Rabenfedern, was er nach ersten Versuchen jedoch aufgab, da es zu viele Kleckse gab. Der Einfachheit halber griff er auf eine herkömmliche Stahlfeder zurück.

Mithilfe eines spektroskopischen Verfahrens fand Jan Braun heraus, welche Farben im Original verwendet wurden, und stieß dabei auf die eine oder andere Überraschung. So stellte sich heraus, dass nicht, wie erwartet, mit Tinte geschrieben wurde, sondern mit Tusche. Außerdem wurde das Grün nicht mit dem Mineral Malachit gemalt, sondern mit Berggrün, einem Abfallprodukt aus der Kupferverhüttung. Generell müsse man bei der Herstellung, Verarbeitung und Benutzung der Farben vorsichtig sein, denn manche seien von Natur aus giftig oder reagierten bei der Mischung mit anderen.

Zunächst hatte der Papierrestaurator das Pergament mit einem Silberstift liniert, danach die Initialen und Ornamente aufgemalt. Erst dann begann er mit dem Schreiben. Wenn er kleckste oder die Schrift verwischte, sei dies zwar ärgerlich gewesen, aber dennoch nicht so schlimm, denn auf Pergament würden sich Fehler leicht abschaben lassen. Insgesamt brauchte er für die Reproduktion der Doppelseite etwa 30 Stunden. Das Original hatte 338 Seiten, daran arbeitete der ursprüngliche Schreiber vermutlich mehrere Monate. Es mussten an die 43 Kälber gehäutet werden, um das dafür benötigte Pergament herzustellen.

Für die Dauerausstellung auf Burg Prunn fertigte Jan Braun nicht nur das Faksimile des Textes an, sondern auch, zusammen mit zwei Kolleginnen, den Einband und die Bindung der Handschrift. Während die Handschrift wahrscheinlich um 1330 entstanden ist, zeigt der Einband spätgotische Merkmale, ist also erst im 15. Jahrhundert hergestellt worden. Das sei nicht ungewöhnlich, denn aufgrund der jahrzehntelangen Benutzung könne auch der beste Bucheinband deutliche Schäden aufweisen. Um den kostbaren Inhalt zu schützen, musste der Einband erneuert werden, und zwar im Stil der Zeit.

Letztlich führten die drei Restauratoren den Einband wieder auf die spätgotische Variante zurück: Es entstand ein stark abgenutzter lederbezogener Holzdeckeleinband mit ornamentalen Prägemustern. "Auch wenn diese Rekonstruktion auf den ersten Blick wie ein Zauberbuch aus einem Harry Potter-Film wirkt, entspricht ihr Erscheinungsbild doch den Informationen, die wir zum Äußeren des Buches gesammelt haben. So könnte der Punner Codex einmal ausgesehen haben", meinte Jan Braun.