Ingolstadt
25 Prozent weniger Fußballer in Bayern

19.05.2010 | Stand 03.12.2020, 4:00 Uhr

"Ich lege die Probleme jetzt auf den Tisch." BfV-Präsident Rainer Koch (Mitte) und Pressesprecher Tobias Günther (links) im Gespräch mit dem DONAUKURIER. - Foto: Bösl

Ingolstadt (DK) Es war eine Ochsentour. Der Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) hatte sich vorgenommen, alle Kreis- und Bezirkstage zu besuchen, und war am Ende froh, die Strapazen auf sich genommen zu haben. Denn das Ziel, die Vereinsvertreter für die künftigen Probleme des Fußballs zu sensibilisieren, hatte Rainer Koch am Ende erreicht. "Viele kleine Vereine werden gewaltige Probleme bekommen", betont Koch auch im Gespräch mit unserem Redakteur Gerhard von Kapff, in dem er andeutet, dass das Rückwechseln künftig wohl in den unteren Klassen erlaubt sein wird.

Die demographische Entwicklung, also die immer geringer werdende Anzahl an Kindern, zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Zukunftsvisionen. Ist die Problematik auch beim Fußball angekommen?

Rainer Koch: Auf jeden Fall. Ingolstadt und München sind zwar wahrscheinlich die letzten Regionen, die es trifft. Aber wenn Sie in die Geburtenstatistiken schauen oder auf dem Land beobachten, dass immer mehr Kindergärten und Grundschulen schließen, dann ist klar, dass da etwas passiert. Es hat im Fußball zuletzt Wachstum gegeben. Wir hatten im Amateurfußball noch nie einen so hohen Organisationsgrad wie heute, wir hatten noch nie so viele Mitglieder. Aber es ist klar, dass es so wie jetzt nicht immer weiter gehen kann.

Gehen die Mitgliederzahlen bereits zurück?

Koch: Sie sind im Juniorenbereich bereits nicht unerheblich zurückgegangen. Es geht überall los, aber das ist für uns nicht überraschend. Schon 2002 haben wir bei der Strukturreform daran gearbeitet, nicht unvorbereitet zu sein. Die Zukunftssicherung wird ganz sicher das zentrale Thema der nächsten fünf Jahre sein.

Können Sie konkrete Zahlen nennen, wie sich der Schwund bei den Junioren zeigt?

Koch: Im gesamten Juniorenbereich sind die Zahlen der Passneuausstellungen in den letzten acht Jahren etwa um 25 Prozent gesunken. Allerdings steigen sie in einem WM-Jahr auch wieder deutlich an.

Glauben Sie, dass der Fußball auf die Kinder noch die gleiche Faszination ausübt wie vor Jahren?

Koch: Ja, ich denke schon. Aber die Gesellschaft und auch das Freizeitverhalten der Eltern ändert sich. Die Leute sind mobiler, sie fahren am Wochenende vielleicht in die Berge oder von einem Event zum anderen. Das steht einer auf Stetigkeit bedachten Struktur wie dem Amateurfußball natürlich entgegen.

Aber wie wollen Sie gegensteuern?

Koch: Wenn wir den Gesamtkuchen an jungen Spielern, der zur Verfügung steht, schon nicht beeinflussen können, müssen wir wenigstens versuchen, dass der gleiche Prozentsatz an Kindern wie bisher zum Fußball kommt. Denn es wird nicht weiter so sein, dass von 100 Buben 40 fast automatisch in einem Fußballverein landen. Und dafür müssen wir jetzt das Bewusstsein in den Vereinen wecken. Ich habe doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich lasse alles laufen und die Vereine und der Verband machen sich in naher Zukunft gegenseitig für die entstandenen Probleme verantwortlich. Oder ich lege die Probleme jetzt auf den Tisch und versuche sie gemeinsam zu lösen.

Haben Sie das Gefühl, dass die Vereinsvertreter dem aufgeschlossen gegenüberstehen?

Koch: Durchaus – und bei manchen habe ich das Gefühl, dass ich offene Türen einrenne. Die spüren die Auswirkungen bereits jetzt ganz deutlich.

Ist das ein bayerisches Problem?

Koch: Nein, das ist anderswo viel stärker. Bayern ist ein Zuzugsland, wir haben es vergleichsweise noch sehr gut.

Wer wird zuerst vor Existenzproblemen stehen?

Koch: Viele ganz kleine Vereine, die jetzt vielleicht 100 oder 200 Mitglieder haben, werden ganz gewaltige Probleme bekommen. Probleme in finanzieller Hinsicht und Probleme von der Anzahl der Spieler her.

Sie haben den Vereinsvertretern bei den Kreistagen fünf Vorschläge zur Zukunftssicherung des Fußballs vorgelegt. Könnten das tatsächlich die Lösungen dafür sein, dass Klubs künftig auch mit weniger Spielern den Spielbetrieb aufrechterhalten können?

Koch: Teilweise. Aber einige Vorschläge dienten auch dazu, erst einmal ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen.

Das Votum war klar: Rückwechseln wird von den Fußballern gewünscht, das Zweitspielrecht, Play-offs, der Zusatzpunkt und das Spielen mit verminderter Spielerzahl teils deutlich abgelehnt. War das eine Überraschung?

Koch: Nein, eigentlich nicht. Das Rückwechseln ist in ganz Bayern mit einer Zweitdrittel-Mehrheit gewünscht worden. Es ist gut, so ein Votum im Rücken zu haben. Aber man darf auch nicht vergessen, dass ein Drittel dagegen ist. Das ist verdammt viel. Ich rechne am Anfang auch bei der Umsetzung mit Schwierigkeiten, wir müssen uns schon ganz genau überlegen, wie wir das ausgestalten. Das Rückwechseln darf nicht zu einer taktischen Maßnahme der Trainer verkommen.

Ab wann wird die Regelung gelten?

Koch: Ich gehe davon aus, dass das in der Saison 2011/2012 kommen wird. Ich würde mich nicht dagegen sträuben, wenn es früher käme. Aber es hat dem Fußball noch nie gut getan, etwas übers Knie zu brechen.

Alle anderen Vorschläge wurden abgelehnt...

Koch: Beim Zweitspielrecht sind die Meinungen sehr unterschiedlich. Überall wo Universitäten und Studenten sind, sind die Leute mehrheitlich dafür. In den kleinen Vereinen ist die Argumentation unterschiedlich. Die einen glauben, dass sich die Spieler noch mehr von ihrem Heimatverein entfernen würden, die anderen meinen, dass die Bindung zum Verein durch das Zweitspielrecht erhalten bleiben würde. Alle anderen Vorschläge sind erwartungsgemäß abgewählt worden.

Sie hatten den Ideen also von vorne herein gar keine Chance gegeben?

Koch: Ich wollte eine breite Diskussion zur Zukunft des Spielbetriebs. Hinzu kommt, dass es für eine bundesweite Diskussion zu Reformen im Spielbetrieb schon einen Unterschied macht, ob ich mich als regionaler Präsident nur mit meiner Meinung einbringe. Oder ob ich auf eine breite Diskussion und Abstimmung unter den Mitgliedern verweisen kann. Deshalb war es für mich wichtig, eindeutige Voten zum Beispiele für "9 gegen 9" zu bekommen, um mich gegen eine bundeseinheitliche Regelung aussprechen zu können. Es schadet dem Fußball aber nicht, wenn in Mecklenburg "9 gegen 9" in den unteren Ligen gespielt wird und bei uns nicht.

Wird diese Diskussion deutschlandweit geführt?

Koch: Nein, das ist eine rein bayerische Initiative. Wir wollten aber damit festlegen, was wir in Bayern wollen und was nicht.

Die Reaktionen der Vereinsvertreter darauf, dass sie über die Zukunft des Fußballs mitabstimmen sollten, waren ausschließlich positiv...

Koch: Ich muss mir doch die Frage stellen. Will ich alles vorkauen und abnicken lassen oder bringe ich alle dazu, sich einzubringen in die Problematik und lasse sie mit abstimmen? Ich habe keine Angst vor den Mitgliedern. Es macht keinen Sinn, einen Verband an den Mitgliedern vorbei zu führen. Ich lege auch darauf Wert, dass jedes Schreiben, das ich bekomme, beantwortet wird. Nicht immer persönlich natürlich, aber ich rufe die Leute hin und wieder auch an und diskutiere mit ihnen.

Die Abstimmungen, die Änderung beim Rückwechseln, und zuletzt haben sie auf die Homepage des Bayerischen Fußball-Verbandes auch noch einen sehr detaillierten Fragebogen stellen lassen. Mancher mag das Gefühl haben, sie lassen beim BFV derzeit keinen Stein auf dem anderen?

Koch: Nein, sicher nicht. Aber ich bin nun sechs Jahre Präsident, da ist es wichtig, Rückmeldungen einzuholen. Und mit dem Fragebogen wollen wir gegenchecken, wie der BFV als Dienstleister gesehen wird. Ich will ja auch bestätigt bekommen, dass die Strukturen stimmen. Es wäre sicher falsch, wenn der Eindruck entstehen würde, wir wollen keinen Stein auf dem anderen lassen. Aber sich selbst zu hinterfragen, das muss einem Verband durchaus erlaubt sein.