Der Winter 1946
1947 eine einzige Katastrophe

20.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:46 Uhr

Februar 1947: Das Rote Kreuz Ingolstadt gibt Kleider aus.

Der Winter 1946 /1947 war einer der kältesten des 20. Jahrhunderts.
Er verlieh der Not der Nachkriegszeit zusätzliche Dramatik. Dem "Hungerwinter", wie man ihn später nannte, folgte gleich die nächste Katastrophe: der "Dürresommer" 1947. Es wurde der heißeste des 20. Jahrhunderts.

Vor 70 Jahren bahnte sich Mitte Dezember des ersten vollen Friedensjahres 1946 der Wintereinbruch an, der dann zu den kältesten Wintern des 20. Jahrhunderts zählte. Die Kältewelle traf mitten in der schlimmsten Nachkriegszeit ganz Mitteleuropa. Deutschland stand am Rande des Abgrunds. Fälle von Erfrierungstoten, das massenhafte Auftreten von Hungerödemen und offener TBC waren nicht übersehbare Alarmsignale. Durch das eisige Wetter ging dieser Winter als "Hungerwinter" in die Geschichte ein.

Während der Zeit von Weihnachten 1946 bis Anfang Februar 1947 schwankten die Tiefsttemperaturen in Ingolstadt ohne Unterbrechung zwischen minus 19 Grad und minus 23 Grad. Erschwerend kam auch noch die katastrophale Brennstoffversorgung hinzu, wodurch sogar warmes Wasser zu einer luxuriösen Besonderheit geworden ist. Die umliegenden Wälder waren von Bruchholz leer gefegt. Zur Gewinnung von Heizmaterial gruben die Menschen aus den gefrorenen Böden in Schwerstarbeit Wurzelstöcke aus. Es gab weder rationalisierte Hausbrandkohle noch genügend trockenes Brennholz.

Im Dezember 1946 sollten eigentlich jedem Ingolstädter Haushalt zwei Ster Holz zugeteilt werden. Dieses Kontingent wäre in den Waldungen des Wittelsbacher Ausgleichsfonds geschlagen worden, was jedoch am Mangel von Arbeitskräften sowie auch an fehlender warmer Arbeitskleidung scheiterte. Folglich bewilligte das Bezugsamt schließlich nur noch einen halben Ster pro Haushalt. In der Ingolstädter Bevölkerung verbreiteten sich bald Unmut und große Verbitterung, denn keine verantwortliche Stelle konnte plausible Gründe für jene Missstände nennen. Die tägliche Ruhrkohleförderung lief zwar mit 230 000 Tonnen pro Tag auf vollen Touren, mangels Transportmöglichkeiten blieb die Kohle jedoch auf Halde. Aufgrund der rückgängigen Kohlezuteilungen fielen auch im Bereich der Eisenbahndirektion München Hunderte von Güter- und Reisezügen aus. Zudem lagen während der Frostperiode viele Züge fest, da die Gleise verschneit und die Weichen vereist waren.

Die ohnehin schon desolate wirtschaftliche Lage erfuhr wegen des Kohlemangels eine weitere Verschlechterung. Demzufolge waren viele Betriebe, wie auch die Despag, gezwungen, die Fabrikation einzustellen, wodurch in Ingolstadt etwa 1000 Menschen zusätzlich erwerbslos wurden. Die Kohlezuteilung für ganz Ingolstadt war auf 52,5 Tonnen Briketts begrenzt. Krankenhäuser, Bäckereien und Metzgereien galten als lebenswichtige Betriebe, deshalb musste an diese ein Teil des städtischen Kohlebedarfs abgezweigt werden. Allein die Bäckereien hatten gemäß ihrer Bezugsscheine einen monatlichen Anspruch auf 150 Tonnen Kohle. Zum Jahresbeginn 1947 reichte beim städtischen Gaswerk der Kohlevorrat zur Gasherstellung gerade einmal für sechs Tage, weshalb nun auch noch die Gasversorgung rationalisiert werden musste.

Als bescheidene Hilfsmaßnahme für die notleidende Bevölkerung reagierte die Stadtverwaltung am 2. Januar 1947 mit der Einrichtung von öffentlichen Wärmestuben. So konnte sich ab 14 Uhr jeder Bürger in den Gasthäusern Zum Englwirt, Zur Linde, Zur Glocke, Schwabenwirt, Weißbierstüberl und im Bayerischen Hof, ohne einem Verzehrzwang ausgesetzt zu sein, aufhalten. Als Gegenleistung erhielten die Gastwirte eine gesonderte Brennstoffzuteilung.

Um künftig derartige Heizmittelknappheiten zumindest im kommenden Winter 1947/48 zu vermeiden, begann auf Initiative der Stadt Ingolstadt bei der Heindlmühle in der Nähe von Dünzlau im April 1947 der städtische Torfstich. Auf einem etwa fünf Hektar großen Mooracker erzielten 100 Arbeitskräfte, davon 20 Frauen, einen Ertrag von immerhin 10 000 Zentnern Torf. Aufgrund der klirrenden Kälte, die zur Vereisung des Walchensee-Kraftwerkes führte, waren auch wie schon zu Kriegszeiten erneute Stromrationalisierungen erforderlich geworden. Wegen der Stromsperren mussten nun sogar die Gasthäuser die Zubereitung des Abendessens auf 17 bis 18 Uhr vorverlegen. Infolge der anhaltenden Kälteperiode wurden auch in den Schulen die "Kohleferien" verlängert.

Fehlende Arbeitskräfte, überalterte Maschinen, Mangel an Dünger und Hilfsmitteln waren die wesentlichen Faktoren dafür, dass sich Deutschland nur noch zur Hälfte selbst ernähren konnte und deshalb auch auf Lebensmittellieferungen der Alliierten angewiesen war. Die 99. Lebensmittel-Zuteilungsperiode vom 28. Februar 1947 kündigte zusätzlich zur anhaltenden Kälteperiode eine drohende Hungersnot an. So war der übliche Brotrationssatz für den Normalverbraucher auf der Lebensmittelkarte mit 10 750 Gramm festgelegt und musste nun auf 6000 Gramm verringert werden. Wobei die Bäcker den Brotteig sogar noch mit Maismehl strecken mussten. Von der bereits auf 800 Gramm gekürzten Fleischration und den vorgesehenen 1000 Gramm Nährmitteln konnten ebenfalls jeweils nur 600 Gramm ausgegeben werden. Da ein weiterer Nachschub dieser Lebensmittel sehr fraglich war, trat auch für die kommenden Zuteilungsperioden eine endgültige Kürzung dieser "Hungerrationen" in Kraft. Und in der Tat, in der 102. Periode (Mai 1947) gab es nur noch 200 Gramm Fett und 400 Gramm Fleisch. Diese monatlichen "Normalverbraucherrationen" waren derart niedrig, dass sie nur ein Drittel des Bedarfs abdeckten und somit für einige Menschen nach wenigen Monaten gnadenlos zum Hungertod führten.

Die städtische Freibank hatte während dieser Zeit Hochkonjunktur. Hier wurde den Bürgern für eine halbe Lebensmittel-Nummernkarte das als "bedingt tauglich" eingestufte Fleisch zum Kauf angeboten. Das Freibankfleisch stammte von Tieren, die eigentlich nicht zur Schlachtung vorgesehen waren, das heißt, diese Tiere kamen durch Unfälle, Notschlachtungen oder Alter zu Tode. Die veterinärmedizinischen Untersuchungen waren für dieses Fleisch deutlich strenger als bei den Normalschlachtungen und somit gesundheitlich unbedenklich. Dadurch war es der hungernden Bevölkerung möglich geworden, Fleisch in hervorragender Qualität zu einem niedrigen Preis zu erwerben, wobei sich in diesem Falle die amtliche Fleischration zum Beispiel im Mai 1947 von 400 Gramm auf 800 Gramm verdoppelte.

Internationale Hilfsorganisationen und Privatpersonen versuchten, mit Geschenksendungen die schlimmste Hungersnot im Nachkriegsdeutschland zu lindern. Am bekanntesten wurde die 1946 ins Leben gerufene Hilfsorganisation Care (Cooperative for American Remittances to Europe). Die ersten Hilfspakete stammten aus US-amerikanischen Armeebeständen. Es waren "Ten-in-One"-Pakete (die Marschverpflegung eines Soldaten für zehn Tage). Am 22. April 1946 traf in Ingolstadt das erste "Amerikapaket" ein. Zum Winterbeginn 1946/47 liefen in Ingolstadt täglich etwa 70 bis 80 Care-Pakete aus den USA ein.

Mitte Januar 1947 fror dann die Donau zu und bildete bei Gerolfing den ersten Eisstoß, der sich bis zum 4. Februar langsam in Richtung Ingolstadt bewegte. An der hölzernen Donau-Notbrücke war infolge der Eisbrecherkonstruktion an den Brückenjochen keine größere Gefahr zu erwarten, die Brücke von Vohburg dagegen konnte den Eismassen nicht mehr standhalten und brach zusammen. Anfang März 1947 trat dann endlich die lang ersehnte Schneeschmelze ein. Doch im gefrorenen Boden konnte das Wasser nicht absickern und lief somit in die Flüsse. Das verursachte in der Nacht vom 11. zum 12. März zu allem Übel noch ein schweres Hochwasser.

In Oberhaunstadt war der Mühlbach und in Mailing der Mailinger Bach über die Ufer getreten. In den Häusern stand das Wasser über 50 Zentimeter hoch, viele Familien mussten ihre Wohnungen verlassen. Aus mehreren Ställen musste das bereits bis zum Bauch im Wasser stehende Vieh herausgetrieben und auf höher gelegene Plätze gebracht werden. In beiden Orten war seit 1881 kein Hochwasser dieses Ausmaßes mehr verzeichnet worden.

Nachdem die Ingolstädter diesen harten Winter mehr schlecht als recht überstanden hatten, bahnte sich die nächste Katastrophe an - der Sommer! Statistisch gesehen war das Jahr 1947 mit 71 Tagen über 25 Grad und 26 Tagen über 30 Grad der heißeste Sommer des vergangenen Jahrhunderts überhaupt, wobei es am 29. Juli mit 37 Grad am heißesten war.

Um die immer noch miserable Ernährungslage in den Griff zu bekommen, richteten sich nun alle Hoffnungen auf eine ertragreiche Ernte. Doch der letzte Optimismus schwand sehr bald. Nachdem bereits im Frühjahr auf den immer noch gefrorenen Böden das Schmelzwasser nicht in die Felder eindringen konnte, blieben im April und Mai die ersehnten Regenfälle aus. Die Folge: Alle Ackerböden waren völlig ausgetrocknet. Endlose Winde bei hohen Temperaturen trugen ein Weiteres zu dieser Dürre bei. Das Wasser kleiner Niederschläge im Juni und Juli verdunstete bei der ständig ansteigenden Hitze sofort.

Der Ertrag an Frühkartoffeln war nur mäßig, und die Spätkartoffeln, auf die man alle Erwartungen gesetzt hatte, waren bereits Mitte August abgestorben. Auch die im Frühjahr spärlich angebauten Zuckerrüben waren zum größten Teil vertrocknet. Und da aus Zuckerrüben Sirup zum Süßen verarbeitet wurde, hatten die Bauern auch kein Viehfutter mehr. Die Getreideernte war mit zwei bis acht Zentnern pro Tagwerk ebenfalls verheerend. Sogar der Strohertrag fiel zu gering aus, weshalb viele Landwirte ihre Ställe nicht mehr einstreuen konnten, und das Nutzvieh auf dem blanken Stallboden liegen musste. Das Pflügen der abgeernteten Felder gestaltete sich auf den steinharten Ackerböden mit den damaligen Ackergeräten als völlig aussichtslos. Verzweifelt sammelte man sogar Bucheckern, denn aus zwei Kilogramm ließ sich ein halber Liter Speiseöl gewinnen.

Auch der Wochenmarkt an der Schrannenstraße war in jenen Monaten nur sehr mäßig beschickt, da das Obst und Gemüse überwiegend vertrocknet war. Und wenn ein vereinzelnder Stand geringe Mengen an Viktualien feilbot, dann waren diese astronomisch teuer. Die gesamte Umgebung von Ingolstadt wurde Anfang August zum Notstandsgebiet erklärt.

Zur Überwachung der Ernte setzte man in der Erntezeit vom 1. August bis 15. November sogar Feldhüterdienste ein. In dieser Zeit war der gesamten Bevölkerung nach Dämmerungseinbruch das Betreten von Fluren oder Feldwegen unter Androhung von Schusswaffengebrauch strengstens verboten worden. Die Donau führte Mitte August 1947 mit "minus 16 Zentimeter Ingolstädter Pegel" den niedrigsten Wasserstand, der seit 70 Jahren verzeichnet wurde. Im Flussbett bewegten sich gerade einmal 80 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Da auch im stromerzeugenden Walchensee-Kraftwerk extremer Wassermangel herrschte, musste ab 19. August abermals auf die "altbewährten" planmäßigen Stromabschaltzeiten zurückgegriffen werden.

Sogar Selbstversorger, die ihr Gemüse im eigenen Garten angebaut hatten, bekamen extreme Wasserprobleme. Durch die starke Senkung des Grundwasserspiegels ließ sich aus den Pumpbrunnen kaum noch ein Tropfen entnehmen. Auch die Pilzsaison, die bei vielen als die allerletzte Hoffnung galt, an etwas Essbares zu kommen, war infolge dieser außerordentlichen Trockenheit ausgefallen. Und wenn sich aus den Kleingärten vielleicht doch noch ein spärlicher Ertrag erzielen ließ oder man bei anstrengenden Hamsterfahrten versuchte, von Verwandten und Bekannten auf dem Lande ein paar Lebensmittel zu ergattern - zum Leben war es viel zu wenig.

Für die zahlreichen Flüchtlinge bestanden diese Möglichkeiten leider nicht, sie hatten hier weder Verwandte noch etwas zum Tauschen, sie besaßen einfach nichts. Ebenso die älteren Menschen, die nicht mehr die Kraft aufbrachten, mit einem schweren Rucksack übers Land zu reisen. Im Grunde wusste sich niemand mehr zu helfen. Eine Katastrophe.

Alle Menschen hatten jetzt eine Gemeinsamkeit: Sie wussten nicht mehr, wovon sie am nächsten Tag leben sollten. Der Schwarzmarkt und das Tauschgeschäft, aber auch die Kriminalität blühten in der Nachkriegszeit wie nie zuvor!