Nürnberg
16,8 Millionen Euro fürs Quelle-Versandzentrum

09.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:12 Uhr

Künstler bangen um ihre Ateliers: Jörg vom „Quellkollektiv“ stellt einen Trauerkranz auf. - Foto: Pelke

Nürnberg (DK) Ganz in Schwarz sind sie zur Zwangsversteigerung gekommen, die eigentlich so bunten Quelle-Mieter aus der quirligen Kreativszene. Ziemlich traurig schauen sie an diesem Morgen drein. Heute kommt der große Kasten mit der gelben Klinkerfassade im Herzen der Stadt endgültig unter den Hammer.

Wenn kein Wunder geschieht, wird den vielen Menschen, die in dem Koloss in den letzten Jahren hier nicht nur Platz für ihre Arbeit, sondern auch viele Freunde gefunden haben, bald ein Kündigungsschreiben ins Haus flattern.

In der Kantine ist derweil alles für die Zwangsversteigerung angerichtet. Gut gelaunt steht Thomas Binder, Deutschland-Geschäftsführer der britisch-portugiesischen Unternehmensgruppe Sonae Sierra, im dritten Stock des ehemaligen Versandhandelszentrums und wartet darauf, dass er sein Gebot abgeben kann. Zum Schnäppchenpreis könnte der Spezialist für Shopping-Center den Zuschlag für das fränkische Symbol des deutschen Wirtschaftswunders erhalten. „Wir sind sehr optimistisch“, sagt Binder und rückt sich mit einem leicht nervösen Lächeln seine rot-weiß gestreifte Krawatte zurecht. Aufgeregt müsste Binder eigentlich nicht sein. Denn im Vorfeld hat sich die Investorengruppe mit den Gläubigern aus der Schweiz auf eine sogenannte Ausbietungsgarantie geeinigt. Das eidgenössische Bankhaus Credit Suisse wollte mit diesem Deal wohl ausschließen, auf dem Versandhaus sitzen zu bleiben. Im Klartext bedeutet das: Sonae Sierra hat den Gläubigern darin ein Mindestgebot garantiert. Damit können die Investoren praktisch nicht mehr überboten werden. Das Gericht hat den Verkehrswert des Gebäudes auf rund 31 Millionen Euro taxiert. Mit 250 000 Quadratmetern ist der von Ernst Neufert im Jahr 1955 entworfene Bau mit seiner 250 Meter langen Straßenfassade nach dem Berliner Flughafen Tempelhof das derzeit zweitgrößte leer stehende Industriegebäude in Deutschland.

Nachdem die Formalitäten geklärt sind, bittet die Leiterin der Versteigerung, Sabrina Späth, um die Gebote. In der ersten Reihe erhebt sich Binder und legt seine Unterlagen auf den Tisch. In der nächsten halben Stunde haben andere Interessenten Zeit, ebenfalls ein Gebot abzugeben. Doch niemand erhebt sich. Die Ausbietungsgarantie macht anderen potenziellen Interessenten ein Gebot praktisch unmöglich. Auch die Stadt Nürnberg sagt, ihr seien durch die Vereinbarung die Hände gebunden.

Kurz vor dem Versteigerungstermin waren Forderungen in der Stadt laut geworden, Nürnberg solle das Versandhaus selbst erwerben. Wirkliches Kaufinteresse hatte die Stadtspitze mit Verweis auf die hohen Umbaukosten und die klammen Stadtsäckel nie gezeigt.

Um halb zwölf verkündet Späth das Höchstgebot. Genau 16,8 Millionen Euro bietet Sonae Sierra. Der Investor ist nur ganz knapp über dem Mindestgebot geblieben. Man war sich seiner Sache offenbar ganz sicher. Binder wird kurze Zeit später von Kameras und Mikrofonen umringt. Das „Q“ – so soll die ehemalige Quelle nach dem Umbau in Shopping-Center mit Büroräumen und Wohnungen heißen – soll auch ein Kreativzentrum bekommen, sagt er. „Wir haben gelernt, dass es den Künstlern ein besonders Anliegen ist, an den Standort zumindest zurückkehren zu können.“ Freilich müsse das Haus zunächst komplett geräumt werden, um neue Innenhöfe für mehr Tageslicht in das Gebäude hineinzuschneiden und die Haustechnik komplett zu modernisieren. Binder rechnet mit einer Bauzeit von zweieinhalb Jahren. Im nächsten Sommer soll es schon losgehen, wenn die Stadt bis dahin grünes Licht für die Baupläne gegeben hat.