Ingolstadt
120.000 Euro für Verletzungen im Bus

Oberlandesgericht beschäftigt sich mit Schadenersatzklage eines INVG-Fahrgasts gegen den Fahrer

17.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:13 Uhr

Ingolstadt (reh) Wer haftet bei einem schweren Sturz eines Fahrgasts wegen einer Vollbremsung im Linienbus?

Dieser Frage geht der 10. Senat (Verkehrssenat) des Oberlandesgerichts (OLG) München am kommenden Freitag ab 9.15 Uhr in einer Berufungssache auf den Grund. Der betreffende Fall hat sich bereits vor über sechs Jahren in Ingolstadt zugetragen. Wie das Gericht vorab zu dem Prozess mitteilt, geht es um die Schadenersatzansprüche, die von der Versicherung des bei dem damaligen Zwischenfall verletzten Mannes gegen den Busfahrer und die INVG geltend gemacht werden. Mehr als 120.000 Euro werfen gefordert. Und dazu laut OLG noch die Feststellung durch das Gericht, dass die Beklagten als Gesamtschuldner auch weitere Kosten, die dem Verletzten durch den Unfall entstanden sind und noch entstehen werden, übernehmen.

Er war am 23. Mai 2012 gegen 6 Uhr morgens an einer Haltestelle mit anderen in den Linienbus eingestiegen. Der Bus fuhr an, überquerte eine Kreuzung stadteinwärts, als ein Fußgänger vor dem Bus die Fahrbahn überquerte. Der Fahrer führte deshalb eine Vollbremsung bis zum Stillstand des Busses aus. Aufgrund der Vollbremsung stürzte der Geschädigte und zog sich die Verletzungen zu. Soweit ist das Geschehen klar und auch durch Videobilder belegt, die aus dem Fahrzeug stammen.

Sie spielten schon in der ersten Instanz am Landgericht in Ingolstadt eine zentrale Rolle. Die zuständige Zivilkammer hatte im August 2017 die Klage abgewiesen. Es hatte in der mündlichen Verhandlung nicht nur das Bildmaterial gesichtet, sondern auch Zeugen angehört. Besonders aufgrund des Videos aus unterschiedlichen Blickwinkeln war die Kammer zu dem Ergebnis gekommen ("Die Videoaufzeichnungen ließen keinen Zweifel daran"), dass sich der Fahrgast nach Anfahren des Busses keinen Halt verschafft hatte. Er war zunächst beim Entwerter gewesen, um - wie vorschrieben- seine Fahrkarte zu stempeln. Danach lehnte er sich aber "nur locker" gegen den Automaten und habe sich nicht an den Stangen, Schlaufen oder Lehnen festgehalten oder gesetzt.

Ein zentraler Punkt des Falles ist auch das Verhalten des Fußgängers, der den Unfall heraufbeschworen hatte. Nach Überzeugung der erstinstanzlichen Kammer war der Fußgänger auf der Fahrbahn zunächst an der Mittellinie stehengeblieben und dann "unvermittelt auf die Fahrbahn vor den Bus getreten". Deshalb war die Notbremsung nötig geworden. Die andere Straßenseite hätte er nicht unversehrt erreicht, war sich das Landgericht sicher. Diese Fehleinschätzung des Mannes habe an einer Alkoholisierung gelegen. Der Busfahrer und weitere Zeugen hätten bei dem Fußgänger eine deutliche Fahne gerochen, so sagten sie. Es habe aber vor dem Überqueren keine Hinweise gegeben, die den Fußgänger gleich als offensichtlich angetrunken hätten erscheinen lassen. Allerdings hat das Landgericht kein Sachverständigengutachten zum Verhalten des Fußgängers und zu der Vollbremsung eingeholt. Es war der Auffassung, dass es an konkreten Anknüpfungspunkten für ein solches Gutachten fehle (wie genauer Standort des Mannes, Geh- und Fahrgeschwindigkeiten und anderes).

Ein Gutachten hätte das Landgericht nach Auffassung des OLG-Verkehrssenats, der vor der mündlichen Verhandlung jetzt den Verfahrensbeteiligten schon rechtliche Hinweise gegeben hat, aber in Auftrag geben müssen, wie es in der Vorabmitteilung zu dem Prozess heißt. Das Bremsgeschehen sei nach Auffassung des Senats "nicht hinreichend aufgeklärt". Es hätten Anknüpfungstatsachen vorgelegen. Grundsätzlich, so stellte der Senat aber auch gleich fest, sei natürlich der Fahrgast zunächst selbst dafür verantwortlich, sich Halt zu verschaffen. Der Senat hat den Parteien zu einer gütlichen Einigung geraten.