Regensburg
100 Jahre Essen für die Armen

Die Regensburger Notstandsküche des Adelsgeschlechts von Thurn und Taxis feiert Jubiläum

12.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:37 Uhr
  −Foto: Fürstliches Zentralarchiv, Fleischmann

Regensburg (DK) Vor 100 Jahren hat Fürst Albert I. von Thurn und Taxis die Regensburger Notstandsküche gegründet. Sie ist Deutschlands einzige dieser Art, die bis heute überlebt hat. Jetzt begeht das Adelsgeschlecht zusammen mit den Gästen das Jubiläum.

Alles begann, als alles zusammenbrach. Die Monarchie lag im Jahr 1919 in Asche, Europa in Trümmern. In diesem Umfeld gründete Fürst Albert, der einen der prächtigsten Hofstaaten des Deutschen Reiches in einem der schönsten Schlösser der Welt unterhielt, eine Notstandsküche. Damals war sie eine von vielen. Die Armut nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war verheerend, auch in Regensburg. Doch als die Weltwirtschaftskrise die Weimarer Republik in die Knie zwang, da blieb vielen Regensburgern nur der Gang zu dieser Verpflegungsstätte. Sie existiert bis heute.

Am Samstag, 11. Mai, um 11.30 Uhr begeht das Fürstenhaus zusammen mit Mitarbeitern und den Gästen der Notstandsküche in St. Emmeram das besondere Jubiläum mit einer Messe. Helmut Seitz und sein Team kochen werktags ein Drei-Gänge-Menü, die Caritas vergibt die Berechtigungsscheine. Der DONAUKURIER hat die Notstandsküche besucht, mit den Menschen dort gesprochen.

Sandra Ettl ist 48 Jahre alt. Sie fällt sofort auf: Denn die schlanke blonde Frau hat nicht nur einige Piercings, sondern auch ein klitzekleines Tattoo auf der Stirn. "Das ist eine Lotusblüte", sagt sie. In die Notstandsküche kommt sie seit September 2018 - wieder, sagt sie. "Ich war vor vielen Jahren vier Jahre lang hier und habe mich immer sehr wohl gefühlt", erzählt die Regensburgerin. Ihr ging es lange Zeit wieder besser, sie konnte ihren Lebensunterhalt auch ohne die Notstandsküche bestreiten. "Das war der Versuch, sich wieder auf eigene Beine zu stellen", sagt sie. Für Sandra Ettl ist bedeutend, dass man in der Notstandsküche keine Unterschiede zwischen den Menschen macht. "Egal, wer hierher kommt: Für mich ist wichtig, welche Seele ein Mensch hat."Die Geschichten hinter den Menschen sind unterschiedlich, das weiß sie auch. "Das sind sicher nicht immer die einfachsten Lebenswege, sonst wären die Menschen nicht hier", sagt Ettl. So, wie auch ihre eigene Lebensgeschichte, die sie der Zeitung anvertraut. "Ich bin alleinerziehend mit vier Kindern und von den Männern ziemlich verlassen", sagt sie. Doch warum ist das so, dass Männer ihre Kinder alleine lassen und die Mutter sie alleine großziehen muss? "Sie wollen an ihrer Lebenssituation nichts ändern und stehen ihrer eigenen Entwicklung im Weg", berichtet die vierfache Mutter.

Martin Kandlbinder wurde von der Caritas in die Notstandsküche empfohlen, seither geht er gerne mittags hierher zum Essen. Bis dahin kannte er die Notstandsküche nur aus der Zeitung. "Das Essen ist gut, man kann alles essen", sagt er. "Mir hilft die Notstandsküche, mein Leben allein zu schaffen", erklärt der Rentner. Kandlbinder war jahrelang als Arbeiter bei einem Betrieb in Regensburg, einem Maschinenbauer. Er war, wie er heute sagt, "für fast alles zuständig". Der 73-Jährige wurde aus der Bahn geworfen, als eine Scheidung sein Leben veränderte. Schulden kamen damals dazu, deshalb war er bei der Caritas. Weil er alleine ist und keinen Menschen mehr an seiner Seite hat, ist es vor allem die Gesellschaft der anderen Gäste, die er sucht.

Die kümmern sich auch um den Mann, der mit seinem Rollator in die Notstandsküche kommt. Axel Nakonz hat eine sehr ungewöhnliche Lebensgeschichte, denn der gebildete und kunstliebende gebürtige Norddeutsche ist bei den Sonntagsmalern. Er liebt das Malen und die Beschäftigung mit geistigen Dingen. Das ist aber nicht weiter verwunderlich, denn er hat zum Beispiel als Datentypist in einem Verlag gearbeitet. Doch weil er häufig den Beruf wechselte, ist die Rente sehr niedrig. "Das reicht vorne und hinten nicht", sagt der Wahl-Regensburger. Seine Berufsbiografie führte ihn aber auch in kaufmännische Berufe. "Ich habe eben nur 30 Berufsjahre", sagt Nakonz. Das begründet die niedrige Rente, obwohl er sich das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg hart erarbeitet hatte. "Ich habe viele Fehler gemacht", bedauert Nakonz.Fürst Albert von Thurn und Taxis besucht immer zu Weihnachten mit seiner Mutter die Notstandsküche. Der Adelige, der gerade in Theologie promoviert, ist aufgewachsen mit der Einrichtung. "Ich war mir ehrlich gesagt nicht bewusst, dass wir schon 100 Jahre alt werden", sagt der Fürst. Er kommt im feinen karierten Anzug in die Notstandsküche und mit einem edlen Einstecktuch.

Man sieht dem groß gewachsenen Mann sofort an, dass er wohlhabend ist. Doch Standesdünkel hat Albert von Thurn und Taxis überhaupt nicht. Kleidung ist für ihn eine Form der Aufmerksamkeit, die man dem Gegenüber entgegenbringt. Und genauso ist zu werten, dass der Fürst eben aussieht wie ein Fürst, auch in der Notstandsküche. Gleichzeitig merkt man ihm aber an, wie berührt er von den Lebensgeschichten ist, die hier auf den Tisch kommen.

"Ich glaube aber, dass diese Einrichtung hier nicht nur für die Menschen, die unsere Gäste sind, wahnsinnig wichtig ist. Sie ist wichtig für uns als Familie", sagt Albert von Thurn und Taxis. Für ihn ganz persönlich ist es aber auch wichtig, dass er "den Kontakt zu den Menschen beibehält. Ich bin jedes Jahr berührt davon, wie groß die Weisheit der Menschen ist, die hierhergehen." Man merkt dem Adeligen an, dass in seiner Welt nicht so viele weise Menschen unterwegs sind. "Diese Menschen hier wissen, was Leben bedeutet", sagt er. "Ich lerne hier Dinge, die einem einen anderen Blick auf das Leben geben. Und das ist sehr, sehr wichtig für mich", sagt der Adelige.

Christian Eckl