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Ex-Schanzer Steven Ruprecht über die „Wohlfühloase FC Ingolstadt“

20.04.2024 | Stand 20.04.2024, 7:41 Uhr

Aufstieg im Mai 2010: Mit den Schanzern schaffte Defensivspieler Steven Ruprecht über die Relegation gegen Hansa Rostock die Rückkehr in die 2. Bundesliga. Dieses Ziel verpasst der FC Ingolstadt in der laufenden Saison im zweiten Jahr in Folge deutlich. Foto: Bösl

Ex-Schanzer Steven Ruprecht verfolgt die 3. Liga seit 2021 als Experte. Vor dem Spiel des FC Ingolstadt an diesem Samstag (16.30 Uhr/Magenta Sport) gegen den MSV Duisburg spricht der 36-Jährige über den Einbruch des FCI nach der Winterpause und sein Aufstiegsrezept.



Herr Ruprecht, gemessen an der Ausgangslage vor der Saison: Hat Sie der FCI oder der MSV Duisburg mehr enttäuscht?

Steven Ruprecht: Ich hatte insgeheim schon damit gerechnet, dass der MSV absteigen könnte. Insofern ist diese Frage für mich leicht zu beantworten: der FC Ingolstadt. Es war zwar nicht zu erwarten, dass die Schanzer die Liga dominieren, weil sie nicht den besten Kader haben. Aber ganz sicher einen, der in der Lage ist, vorne mitzuspielen. Dafür ist der Abstand zur Spitze schon eklatant.

Dabei war die Ausgangslage im Aufstiegsrennen nach der Winterpause und rund um den 20. FCI-Geburtstag ziemlich solide.

Ruprecht: 31 Punkte zum Ende der Hinrunde sind völlig in Ordnung. Die Schanzer waren in absoluter Schlagdistanz, hatten sich nach einem holprigen Start ins Jahr gefangen und mit dem Heimsieg gegen Dresden aufhorchen lassen. Danach ist es mit nur sieben Punkten aus neun Spielen wie abgerissen.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ruprecht: Dafür bin ich doch ein Stück zu weit weg. Sicherlich haben die Ausfälle von Säulen der Mannschaft wie Pascal Testroet (Fersenverletzung; d. Red.) und Lukas Fröde (zwei Spiele Rotsperre; d. Red.) ihren Teil dazu beigetragen, dass die Schanzer ihren Flow verloren haben. Womöglich hat auch die „Wohlfühloase FC Ingolstadt“ ihr Übriges getan. Man kann dort gut leben und gutes Geld verdienen. Wenn ich höre, dass sich Zweitliga-Spieler Angebote anderer Klubs nach der Anfrage der Schanzer gar nicht mehr angehört haben, sagt das schon etwas aus und muss für die Leistungskultur nicht unbedingt förderlich sein.

Gewinner der FCI-Saison ist Jannik Mause, der in seinem ersten Jahr als Profi die Torschützenliste der 3. Liga anführt. Glauben Sie, dass er Begehrlichkeiten anderer Vereine geweckt hat und die Schanzer im Sommer wieder verlässt?

Ruprecht: Seine bisherigen 17 Tore sind schon eine Hausnummer. 20 Tore um den Dreh, wie sie Moritz Hartmann 2009/10 in seiner ersten FCI-Saison geschossen hat, sollten es schon werden. Ob es für Mause auf einem höheren Niveau reichen würde, ist schwer abzuschätzen, mit 25 Jahren ist er ja ein Spätzünder. Er dürfte noch Vertrag haben, und ich würde ihm raten, beim FCI zu bleiben. Aber das Fußballgeschäft ist crazy und von Beratern getrieben.

Michael Köllner ist jetzt gut ein Jahr FCI-Trainer, die Schanzer stehen in der Tabelle aber nur unwesentlich besser da als 2023 zu diesem Zeitpunkt.

Ruprecht: Köllner kam in einer komplizierten Situation zum Klub, hat zunächst den Klassenerhalt gesichert und im Sommer mit Sportdirektor Ivica Grlic den Kaderumbau vorangetrieben. Auch wenn die Entwicklung bislang vielleicht nicht überzeugend ist, würde ich auf jeden Fall an Köllner festhalten, die Mannschaft weiter verstärken und dann im Dezember mal einen Strich ziehen. Wenn die Schanzer nicht die Nerven verlieren, werden wir sie mit dem Gespann um Köllner, Grlic und Beiersdorfer (Geschäftsführer; d. Red.) in den kommenden Jahren wieder in der 2. Bundesliga sehen.

Dorthin schafften Sie es 2010 mit den Ingolstädtern. Wie lautet Ihr Aufstiegsrezept?

Ruprecht: Dominieren muss man die Saison nicht, aber vorne mitschwimmen eben. In einen Flow kommen, am besten nach der letzten Länderspielpause, wenn danach nur noch acht oder neun Spiele zu absolvieren sind. Und, so floskelhaft das vielleicht auch klingen mag, eine Einheit sein. Das muss ja nicht gleich bedeuten, dass man im Mannschaftskreis alle drei Tage zum Saufen geht – soll aber schon heißen, dass man gemeinsam etwas unternimmt. Wir haben uns in der Aufstiegssaison einmal wöchentlich in einem Ingolstädter Keller zum Pokern getroffen (lacht). Unsere Mannschaft war quasi zum Aufstieg verdammt. Im Endspurt schafften wir es dann, unsere Qualität auf den Platz zu bringen, weil wir uns untereinander einfach gut verstanden haben.

Ivica Grlic war als Spieler und Funktionär fast 20 Jahre für Duisburg aktiv. Auch wenn immer vom kühlen Profi-Geschäft die Rede ist, dürfte der MSV-Niedergang Grlic ziemlich bewegen.

Ruprecht: Zu 100 Prozent! Das lässt ihn definitiv nicht kalt. Ich bin überzeugt, dass ihn die Lage der „Zebras“ sehr schmerzt, und dass er ihnen die Punkte sogar sehr gerne schenken würde, wenn er nicht gerade in verantwortlicher Position bei den Schanzern wäre.

Duisburg muss in den verbleibenden fünf Spielen acht Punkte auf die Konkurrenten aufholen. Wie konnte der MSV in eine so fast aussichtslose Lage geraten?

Ruprecht: Zum einem denke ich, dass Boris Schommers (seit Oktober 2023 im Amt; d. Red.) nicht der richtige Trainer ist. Dann muss man festhalten, dass abgesehen von Mittelfeldspieler Santiago Castaneda kaum ein Transfer aufgegangen ist und fast alle Neuverpflichtungen nach dem Prinzip Hoffnung getätigt wurden. Ein Beispiel: Jetzt haben sie mit Daniel Ginczek zwar einen für die 3. Liga großen Namen im Sturm. Aber er ist eben auch ein Spieler, der über seinen Leistungszenit hinaus ist, sonst hätte man ihn auch kaum für die 3. Liga gewinnen können.

Wie lautet Ihr Tipp für das Spiel FCI gegen MSV?

Ruprecht: Die Schanzer haben durch die jüngste Heimmisere (vier Spiele sieglos; d. Red.) ihre Ausgangsposition im Rennen um die vorderen Plätze vergeben. Der Klassenerhalt ist gesichert, das heißt für den FCI geht es um nicht mehr viel, was ein Motivationsproblem darstellen könnte. Für Duisburg geht es allerdings ums nackte Überleben. Der MSV wird im Audi-Sportpark mit dem sprichwörtlichen Messer zwischen den Zähnen auftreten und alles probieren. Aber eines ist klar: Ingolstadt hat einfach die bessere Mannschaft. Wenn die Schanzer wollen, werden sie das Spiel für sich entscheiden.

ZUR PERSON
Nach 216 Einsätzen in der 3. Liga, davon 20 für den FC Ingolstadt, ist Steven Ruprecht (36) prädestiniert für die Rolle des Experten bei Magenta Sport, die er seit 2021 einnimmt. Für die Schanzer war der Defensivakteur von Mitte 2009 bis Anfang 2011 insgesamt 26-mal am Ball (drei Tore, eine Vorlage) und feierte 2010 den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Ruprechts Aufstiegstipps lauten Ulm, Regensburg und Saarbrücken.