Kulturschätze Italiens
Die „Città d’arte“ an der Adria leuchtet: Zu Besuch in Ravenna, der Stadt der Künste

21.10.2023 | Stand 28.11.2023, 17:45 Uhr

Unter dem Sternenhimmel des Mausoleums der Galla Placidia ranken sich Pflanzen um Tiere und Evangelisten.

Die Region Emilia Romagna im Norden Italiens bietet mehr als Strände und Gelati. Ravenna war mehrfach die Hauptstadt eines Weltreiches – und birgt bis heute unfassbare Kulturschätze.



Der Duft von gefüllter Piadina, dem traditionellen Fladenbrot der Emilia Romagna, liegt über dem Marktplatz. Das stolze Ravenna wuselt in samstäglicher Betriebsamkeit. Während auf dem Handwerkermarkt hochwertige, selbst designte Schmuckstücke und Kleidung verkauft werden, singt eine Klasse vor der Kirche San Francesco italienische Kirchenlieder – nur einen Sprung vom Grab des vielleicht größten italienischen Dichters aller Zeiten entfernt: Dante Alighieri (1265 bis 1321) liegt hier begraben, der mit seiner „Göttlichen Komödie“ die Hölle und ihre Bewohner plastisch beschrieb.

Dante ist ein Stück italienische Identität, so dass es immer wieder Versuche gab, den Ravennati die Gebeine des Dichters zu stehlen. „Einmal im Jahr kommt eine Delegation aus Florenz vorbei“, sagt Claudia Frassineti. Die Stadtführerin schildert, dass der gebürtige Florentiner Dante im Jahre 1321 neben San Francesco begraben wurde, in der die Trauerfeier für den „Italienischsten aller Italiener“ abgehalten wurde. Immer am zweiten Sonntag im September bringen die Florentiner Olivenöl für das ewige Licht an Dantes Grabmal, das so, wie es heute zu sehen ist, erst 1780 entstand und von den Bürgern Ravennas auch gerne als Zuckerdose verspottet wird.

Der Sarkophag Danteswar lange Zeit leer

Viele berühmte Persönlichkeiten standen schon am Sarkophag, ohne zu wissen, dass er leer war: Der findige Padre Antonio Sarti versteckte die Gebeine im 17. Jahrhundert – und rettete sie davor, dem Wüten der Säkularisation unter Napoleon 1810 zum Opfer zu fallen, der die Franziskaner aus dem Kloster warf. Zufällig wurden sie 1865 wiederentdeckt – verehrt bis heute.

Dreimal war Ravenna Hauptstadt eines Weltreiches. Unfassbar viele Denkmäler aus dieser Zeit sind bis heute erhalten. Von 402 bis zum Untergang des Römischen Westreiches 476 war Ravenna Hauptstadt. Gotenkönig Theoderich, dessen Mausoleum die Stadt heute birgt, residierte hier. Verewigt wurde Theoderich in der Nibelungensage. Dann wurde Ravenna Hauptstadt des Exarchats, Herrscher unter Gnaden Byzanz‘. Kein Wunder, dass die Basilika San Vitale mit den vielleicht wichtigsten erhaltenen Mosaiken der Welt der Hagia Sophia im heutigen Istanbul nachempfunden ist. Acht Gebäude stehen seit 1996 auf der Liste der Welterbestätten der Unesco: Das Mausoleum der Kaiserin Galla Placidia gehört zu den erstaunlichsten. Unter einem Sternenhimmel aus Tausenden Steinen ranken sich Pflanzen um Tiere, Heilige und Evangelisten.

Neben dem Kunsthistorischen darf man bei einem Besuch in Ravenna auch das Kulinarische nicht vernachlässigen. Dass die Piadina, die man in Ravenna gerne gefüllt mit Parmaschinken und Rucola isst, auch eine Frage der Liebe ist, das weiß Maria Rosa Amadei vorzuführen. Sie zeigt im Restaurant Osteria de Borg im wenige Kilometer von Ravenna entfernten Rimini, wie man den Teig zubereitet. Vor der „Nonna“, das italienische Wort für Oma, stehen Mehl, ein kleiner Becher Olivenöl, etwas Wasser sowie Salz mit Backpulver. Amadei häuft einen kleinen Berg Mehl vor sich auf und sagt dann: „Jetzt muss man daraus einen Vulkan machen.“ Sie formt einen Krater in den Mehlberg und schüttet Öl und Wasser in die Mulde. Zunächst vermengt sie das Mehl mit den beiden Flüssigkeiten mit einer Gabel, dann beginnt sie zu kneten.

Der Teig wird mit viel Liebe geknetet

„Mit Liebe“, sagt die Italienerin. „Nur so wird der Teig gelingen.“ Als eine ordentliche, feste Kugel Teig vor ihr liegt, schneidet sie ein faustgroßes Stück ab und walzt es so lange mit einem schmalen, dafür astlangen Nudelholz bis ein Fladenbrot daraus geworden ist. Auf dem Herd bäckt Amadei den Teig zur Piadina. Für Fortgeschrittene schneidet Amadei mit dem Deckel eines Einweckglases runde Plätzchen aus, füllt sie mit Tomaten-Mozzarella oder mit Mangold, faltet diese und drückt mit der Gabel die Ränder fest. So also zaubern italienische Hausfrauen die Musterung ihrer Ravioli in den Nudelteig. Die Emilia Romagna ist ein Paradies für Freunde der italienischen Küche. Neben dem fangfrischen Fisch sind es die sonnenverwöhnten Tomaten, die dunkelvioletten Auberginen und natürlich der Parmaschinken, der aus der Emilia Romagna stammt.

Die Hauptstadt der Region, Bologna, wird im Volksmund „La grassa“ genannt, die Fette: Kein Wunder, von hier stammen die Tortellini, der gefüllte Pasta-Exportschlager. Und auch die berühmte Bolognese-Soße, in Italien Ragù alla bolognese genannt, wurde hier erfunden. Kurzum: Die Emilia Romagna bietet unfassbar schöne Kunstschätze, aber auch kulinarisch alles, was das Herz des Italien-Reisenden begehrt. Und wenn man bei der Lektüre der „Göttlichen Kommödie“ von Dante und nach einer Portion Tortellini eine Pause braucht: Die Strände der Adria-Küste kennen Sie ja wahrscheinlich schon.


Autor Christian Eckl recherchierte mit Unterstützung des Tourismusverbands Region Emilia Romagna an der Adriaküste.