DK-Interview
Audi-Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann im Gespräch zur Zukunft des Autofahrens

25.03.2022 | Stand 23.09.2023, 2:13 Uhr

Oliver Hoffmann ist seit März 2021 Vorstandsmitglied für technische Entwicklung. Foto: Audi AG

Das Autofahren steht vor großen Veränderungen. Nein, nicht die E-Mobilität. Das ist aus Sicht von Audi-Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann längst Alltag. Er denkt weiter, will nun zügig hochautomatisiert fahrende Autos zeigen. Wir sprachen mit ihm über die neuen Möglichkeiten, damit verbundene Herausforderungen und welche ethischen Fragen sich stellen.

Herr Hoffmann, Sie sind bekennender Rennsportfan, waren Chef von Audi Sport und schwärmten als solcher bei der IAA 2019 vom RS7 als „The Beauty and the Beast“. Seither hat sich viel verändert. Ist Ihnen der Umstieg auf E-Mobilität schwergefallen?

Oliver Hoffmann: Ich will betonen, dass wir schon damals bei der Audi Sport GmbH gesagt haben, uns in Richtung Elektrifizierung bewegen zu wollen. Und mit dem RS e-tron GT haben wir ein Auto auf die Straße gestellt, bei dem man nicht viel Abschiedsschmerz vom Verbrenner haben muss.



Welche Bedeutung hat die Marke RS und wie geht es weiter?
Hoffmann: Klar ist: Wir pflegen unser RS-Portfolio weiter. Wir sind mit diesen Autos super erfolgreich und haben 2021 mehr RS-Modelle verkauft als je zuvor. Diese Performance-Fahrzeuge gehören zu Audi. Wir haben nun neben den Verbrennern einen ersten vollelektrischen RS im Angebot und werden bald etwas dazwischen zeigen.

Werden Sie konkreter?
Hoffmann: Natürlich werden wir unsere RS-Palette weiterentwickeln und elektrifizieren. Gleichzeitig wird es auch in naher Zukunft noch Verbrenner geben –mit einer großen elektrischen Komponente. Wir sprechen von Power-Hybriden.

Heute sind Sie Entwicklungsvorstand. Als der Wandel hin zu E-Antrieben richtig Fahrt aufgenommen hat, waren Sie bereits Leiter der Antriebsentwicklung. Wie war damals die Stimmung im Entwicklerteam?
Hoffmann: Wir sind die Transformation sehr früh und aktiv angegangen und natürlich hat das bei manchen Mitarbeitenden auch Besorgnis ausgelöst. Aber wir haben umfangreiche Weiterbildungsmaßnahmen angeboten und es gibt tolle Beispiele, wo einstige Vollblut-Motoren-Entwickler und -Entwicklerinnen nun sehr glücklich als Pioniere in der Elektromobilität unterwegs sind. Ich will aber nicht verschweigen, dass so eine Veränderung von einem vernünftigen Change Management begleitet werden muss. Denn sicher haben sich manche Beschäftigte auch Sorgen um ihren Arbeitsplatz gemacht. Da muss man gute Angebote machen und aufzeigen, wie die Menschen mitgenommen werden sollen hin zu neuen Technologien. Das ist uns sehr gut gelungen, wie ich finde.

Wie hat sich die Entwicklungsarbeit beim Antriebsstrang seither verändert? Wie hat sich das Team verändert?

Hoffmann: Die Transformation vom Verbrennungsmotor hin zum elektrischen Antrieb ist bereits vollzogen. Natürlich gibt es Weiterentwicklungen und man braucht andere Kompetenzen. Aber die Entwicklungsmethodik ist nicht sehr verschieden. Sehr viele unserer Ingenieurinnen und Ingenieure aus dem Fach Verbrenner arbeiten inzwischen im Bereich Batterie, Leistungselektronik und Elektromotor.

Dass man E mittlerweile gut beherrsche, haben Sie schon früher betont. Andere, nun aufkommende Zukunftsthemen sind Digitalisierung und autonomes Fahren...
Hoffmann: Ja, diese Themenfelder sind echte Gamechanger – für die Kundinnen und Kunden und für uns in der Entwicklung gleichermaßen. Deshalb haben wir unsere Entwicklung sehr konsequent in Richtung Systems-Engineering aufgestellt. Das bedeutet, dass das Fahrzeug nicht mehr nur die Summe seiner Bauteile ist, die geometrisch am Ende zusammenpassen müssen, sondern ein mobiles Gerät, das eine Summe an Systemen aus Software und Hardware ist. Das ist eine vollkommen neue Denke.

Was bedeutet das für den Fahrer in Zukunft? Noch sind wir weit weg vom autonomen Fahren, aber es wird sich etwas verändern und zumindest hoch automatisiertes Fahren – also Level 3 von 5 – wird greifbar, oder?
Hoffmann: Wir glauben an die Technologie und entwickeln zusammen mit Cariad (die VW-Software-Einheit, Anm. d. Red.) hoch und vollautomatisiertes Fahren, was Level 3 und 4 entspricht. Dabei haben wir entschieden, dass wir uns von der Diskussion um einzelne Level ein Stück weit lösen und unseren Fokus auf Funktionen und Features legen, die einen realen Kundennutzen darstellen. Ab Mitte des Jahrzehnts bringen wir aus dem Artemis-Projekt ein Fahrzeug, das konsequent für die Nutzung zum hoch automatisierten Fahren zugeschnitten ist und die Technologie für situationsabhängiges autonomes Fahren an Bord haben wird. Da wird sich der Fahrer in bestimmten Situationen tatsächlich ganz aus der Fahraufgabe herausnehmen und stattdessen, in Abhängigkeit von der jeweiligen landesindividuellen Gesetzeslage, anderen Tätigkeiten zuwenden können. Damit werden wir das D-Segment neu interpretieren und über Laufzeit kontinuierlich neue Features bringen, die den Kunden wirklichen Mehrwert bringen.

Was sind die Herausforderungen bei der Entwicklung des voll automatisierten Fahrens – auch Level 4 genannt?
Hoffmann: Bei Level 4 kann der Fahrer nicht nur die Steuerung in definierten Szenarien wie bei Level 3 abgeben, sondern auf Wunsch auch die Verantwortung. Er muss also die Fahrfunktion nicht mehr dauerhaft überwachen. Man kann sich vorstellen, dass hier eine ganz andere Komplexität im Fahrzeug erforderlich ist: Rückhalte- und Sicherheitssysteme, Sensorik bis hin zu einer erforderlichen Vehicle-to-Infrastructure-Verbindung. Die Herausforderung liegt zudem beim Prüfen und Testen. Automatisierte und autonome Funktionen erfordern einen deutlich erhöhten Aufwand für die Absicherung. Der Testaufwand hängt ebenso an der Automatisierungsstufe wie auch der Geschwindigkeit und der jeweiligen Situation. Dabei steigt der Anteil an Simulationen gegenüber den Realtests kontinuierlich.

Wie steht es um ethische Fragen? Wird sich etwa ein wohlhabender Kunde Updates leisten können, die dazu führen, dass das Auto in Extremsituationen immer zum Schutz des Fahrers handelt?
Hoffmann: Das wird es bei Audi sicher nicht geben. Für uns ist Sicherheit kein Upgrade, sondern eine grundlegende Maxime. Sicherheitsrelevante Technologien werden wir allen Kundinnen und Kunden zugänglich machen. Andere optionale und nicht sicherheitsprägende Funktionen, die die Digitalisierung mit sich bringt und welche rein der Komfortverbesserung dienen, werden wir auch über ein Angebotsmodell zur Verfügung stellen. Noch einmal: Das wird sicherlich nicht für Sicherheitssysteme gelten.

Wie bewerten Sie die Debatte um ethische Aspekte des autonomen Fahrens allgemein?
Hoffmann: Ich bin ein Verfechter der Annahme, dass hoch automatisiertes Fahren unsere Straßen sicherer machen wird. Je höher der Grad an Automatisierung im Verkehr steigt, umso weniger tödliche Unfälle werden wir haben. Davon bin ich überzeugt. Es sollte nicht um die klassische Frage gehen, wen das Auto im Falle eines Unfalls besser schützen soll. Unsere Maxime lautet in allererster Linie Unfallvermeidung und das trifft auf alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zu.

Zurück zur Gegenwart: Wie man hört, kommt der neue Q6 e-tron später, weil die VW-Software-Schmiede Cariad nicht mit dem Betriebssystem fertig wird...
Hoffmann: Da muss ich widersprechen. Wir haben bei der Produktsubstanz des Fahrzeugs nochmal nachgelegt. Der Q6 e-tron wird das erste Fahrzeug auf der neuen PPE Plattform sein, die auch vom Konzern genutzt wird. Diese ist für uns das Rückgrat unserer neuen E-Modelle. Unsere Kundinnen und Kunden können sich auf ein fantastisches Auto freuen.

Nun sind wir schon mitten im Thema Produkt-Portfolio. Wann kommt endlich der Audi A2 als Elektroauto zurück?
Hoffmann: (lacht) Ja, das war wirklich ein tolles Auto, das seinen Markt aber erst später so richtig gefunden hat – auf dem Gebrauchtwagenmarkt ist der A2 heute sehr beliebt. Mit dem Fahrzeug waren wir unserer Zeit etwas voraus. Einen direkten A2-Nachfolger kann ich Ihnen nicht versprechen. Ich kann jedoch sagen, dass wir bis 2027 jedes Kernsegment elektrisch besetzen werden. Und wir wollen dabei überraschen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.

Im Rahmen der jüngsten Jahrespressekonferenz hat Audi mit dem A6 Avant e-tron concept gezeigt, wie man sich Autos in diesem sehr wichtigen Segment künftig vorstellt. Wie viel Serie haben wir da gesehen?
Hoffmann: Ganz viel! Ich bin überzeugt, dass uns da etwas wirklich Gutes gelungen ist. Da ist sehr viel Serie drin − sowohl optisch als auch technisch. Bis zu 700 Kilometer Reichweite werden möglich sein. Sie fragten eingangs, ob mir der Abschied vom Verbrennungsmotor schwerfallen würde: Bei solchen Autos gehe ich den Weg auch weiter gerne mit.

Vergangenes Jahr hat Audi auch ein radikales Cabrio gezeigt: das Skysphere Concept. Elektrisch, mit verstellbarem Radstand, so groß wie ein aktueller A8. Gibt es dafür tatsächlich mehr Kundschaft, als man mit einer E-Variante des bald auslaufenden TT finden könnte?
Hoffmann: Mit den sogenannten Sphere-Konzepten geben wir einen klaren Ausblick, wie wir uns zukünftige Premium-Mobilität vorstellen. Vor allem der Grandsphere concept zeigt auch die neue DNA von Audi und die Art und Weise, wie wir Autos nun entwickeln – nämlich anders als früher von innen nach außen. Mit dem Skysphere concept haben wir dabei sicher ein tolles Visions-Fahrzeug gezeigt, das aber ganz bewusst wesentlich weiter von der Serie weg ist, als beispielsweise das Grandsphere concept. Nun zum TT: So ein Auto hat damals sicher niemand von Audi erwartet. Und wir wollen auch in Zukunft überraschen.

Da Sie den Grandsphere ansprechen: Er soll ja auch ein wenig den A8-Nachfolger vorwegnehmen. Wird das letztendliche Modell A8 e-tron heißen und wenn nein, warum nicht? Ist die Marke A8 nicht zu stark, um sie verschwinden zu lassen?
Hoffmann: Zum Namen des kommenden Autos möchte ich mich noch nicht äußern. Es stimmt aber, dass das Grandsphere concept ein sehr konkreter Ausblick auf unsere Vision eines elektrisch angetriebenen Fahrzeugs im sogenannten D-Segment ist.

Anderes Thema: Seit Monaten deutete sich an, dass die Markengruppe rund um Audi – also Audi selbst, Bentley, Lamborghini und Ducati − enger zusammenrückt und unter einander mehr Synergien nutzen soll. Was heißt das konkret? Dürfen die anderen noch mitentwickeln, oder bekommen alle die Technik von Audi?
Hoffmann: Sie werden auch weiter Fahrzeuge mit ganz eigenem Charakter entwickeln. Man hat aber nun die Chance, dies auf Konzernplattformen zu machen. Für exklusive Marken mit wenig Volumen ist das die einzige Möglichkeit, ein breiteres Portfolio aufzubauen. Zudem profitieren die anderen Marken der Gruppe von Großserienteilen, die zu erschwinglicheren Preisen eingekauft werden können. Natürlich schauen wir nun, welche Komponenten von Audi auch zu Bentley oder Lamborghini passen und umgekehrt. Hier sehen wir ein Synergiepotenzial im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich in den nächsten Jahren. Mir ist aber vor allem sehr wichtig mit Blick auf den Entwicklungsverbund, dass wir keine Doppelentwicklungen machen.

Was heißt das für die Marken?
Hoffmann: Wir haben gerade mit Lamborghini in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt, wie gut und differenziert man Marken entwickeln kann.

Und welche Rolle spielt Ducati? Sollen die Motorräder einfach nur elektrifiziert werden, oder gibt es weitere Benefits?
Hoffmann: (lacht) Tatsächlich passen die Motorräder von Ducati nicht wirklich auf unsere Fahrzeug-Plattformen – das sollen sie ja auch gar nicht. Ducati ist eine faszinierende Premium-Marke und ergänzt unser Portfolio hervorragend. Auch hier wird die Elektrifizierung ein immer wichtigerer Baustein werden..

DK



Das Interview führte Christian Tamm.