Biathlon-Legende im Interview
Was an Herbert Fritzenwengers Olympia-Teilnahmen ganz besonders ist

22.04.2024 | Stand 22.04.2024, 19:00 Uhr

Nach 32 Jahren legte Herbert Fritzenwenger das Mikrofon als Co-Reporter beim ZDF weg. Foto: Imago Images

Nach 32 Jahren legte Herbert Fritzenwenger das Mikrofon als Co-Reporter beim ZDF weg. Der einstige Spitzenathlet, der Biathlon auf Schalke erfunden hat, sorgt sich um den Zuspruch der jüngeren Generation – und ist nebenbei einer der ganz wenigen Olympia-Teilnehmer, die in zwei Sportarten starteten.

Herr Fritzenwenger, Sie sind erst 61 Jahre, also weit weg vom Rentenalter. Warum haben Sie Ihren Job beim ZDF bereits beendet?

Herbert Fritzenwenger: Reporter Christoph Hamm, an dessen Seite ich jetzt 20 Jahre lang kommentierte, geht in Rente. Da hat sich das ZDF entschieden, ein neues Duo aufzubauen. Reporter wird Volker Grube, wer mein Nachfolger wird, steht noch nicht fest. Die Neuen sollen dann doch zwei Jahre Zeit haben, sich bis zu Olympia 2026 einzuarbeiten.

Sie werden dem ZDF nach über 1000 Rennen treu bleiben, dann als TV-Konsument, oder...?
Fritzenwenger: Definitiv! 32 Jahre gehen an einem ja nicht so einfach vorüber. Der Sender arbeitet professionell, ich habe ja viel hinter den Kulissen mitbekommen. Mein Herz wird immer fürs ZDF schlagen. Ob ich zum Biathlon-Saisonauftakt 2024/25 vor dem Bildschirm sitzen werde, weiß ich jetzt noch nicht. Wenn ja, dann aber sicher ohne Computer und Zusatzinformationen. Ich werde es genießen.

Was Sie immer ausgezeichnet hat, waren die Infos des Experten – auch was im Bild nicht gezeigt wurde. Da waren Sie der ARD doch etwas voraus.
Fritzenwenger: Das mag sein, ich versetze mich halt immer in die Rolle des Zuschauers, was interessiert ihn in diesem Moment? Man könnte viel mehr erzählen, aber es muss ja immer auf den Punkt gebracht werden und alle fünf Sekunden gibt es ein neues Bild. In jedem Fall hat man nicht viel Zeit.

Was waren Ihre Highlights als Co-Reporter in diesen 32 Jahren?
Fritzenwenger: Die WM 2004 in Oberhof fällt mir da ein. Ich war damals noch Vorsitzender vom Skiclub Ruhpolding. In der Verfolgung war Raphael Poirée meilenweit voraus, aber unser Ricco Groß ist Weltmeister geworden. Beim letzten Schießen ist, wie so oft, die Entscheidung gefallen. Der Franzose hat die Schüsse nicht rausgebracht, Ricco hat die Scheiben abgeräumt. Wir hatten schlechtes Wetter, aber es war extrem stimmungsvoll, weil Ricco gewonnen hat. Unvergessen war auch die WM 2012 in Ruhpolding mit dem Abschied von Magdalena Neuner und dem Zuschauer-Rekord. Es war für mich die bisher schönste WM überhaupt.

Und Olympische Spiele?
Fritzenwenger: Die letzten beiden in Peking und Pyeongchang waren jetzt nicht so prickelnd, Vancouver 2010 war ein schönes Erlebnis, aber extreme Gefühle kommen bei mir immer wieder auf, wenn ich an meine zweiten Spiele 1994 in Lillehammer denke. Albertville zwei Jahre davor war prägend, aber in Norwegen war es so, dass wir bei minus 20 Grad in unseren warmen Reporterkabinen kurzärmlig gesessen waren. Fünf Meter neben uns waren im Freien die Königlichen Hoheiten aus Schweden gesessen, frierend und dick eingemummt im VIP-Bereich. Da hab’ ich mir gesagt, man muss nicht König sein, um den besten Platz im Stadion zu haben. Es war irgendwie surreal.

Wie war für Sie Albertville, es waren Ihre ersten Spiele?
Fritzenwenger: Ja, aller Anfang ist schwer. Man hat mir hinterher von den ZDF-Verantwortlichen aber bestätigt, dass man mich gut verstanden hat, also mich als Bayer in Deutschland. Es war damals auch eine andere Art des Kommentierens, aber ich denke, ich habe mich mit Reporter Hermann Ohletz gut ergänzt. Es kam von ZDF-Seite jedenfalls nie Kritik. Ich dachte damals, naja, so drei, vier Jahre darf ich da mitkommentieren, dann sind es über drei Jahrzehnte geworden. Ich wurde auch gefragt, ob ich nicht vor der Kamera arbeiten möchte. Das habe ich aber verneint. Gott sei Dank.

Wieso Gott sei Dank?
Fritzenwenger: Man nützt sich halt doch sehr schnell ab als Gesicht. Das kann man nicht dauerhaft machen. Da habe ich für mich sehr schnell entschieden, doch lieber zu kommentieren, weil ich da die Chance sah, dass es länger geht. So war es dann auch. Wir hatten als Expertin Petra Behle dabei. Die habe ich deutlich überlebt. Oder seit 2007 ist Sven Fischer dabei. Da wird es für ihn jetzt vor der Kamera doch etwas schwierig.

Sie haben beim ZDF fertig, aber längst noch nicht mit dem Biathlonsport.
Fritzenwenger: Richtig! Die World Team Challenge, die ja zehn Jahre lang in Ruhpolding stattfand, ist jetzt auf Schalke angesiedelt. Da mische ich weiterhin mit. Ich hatte ja Gespräche mit Rudi Assauer, und wir haben das Event dann auf Schalke angesiedelt. Da hat unser Sport nochmal einen richtigen Aufmerksamkeits-Push erhalten. Wir haben den Sport zu den Fans gebracht. Und wir wollen die Veranstaltung weiter forcieren und intensivieren. Wir haben dort auch Magdalena Neuner verabschiedet, sie schwebte von der Kuppel herunter. So etwas vergisst man nie.

Aber es war zuletzt ein Rückgang an Zuschauern zu verzeichnen.
Fritzenwenger: Ja, leider. Die letzten Jahre waren nicht einfach, auch wegen Corona, als wir zwei Mal in Ruhpolding zu Gast waren. Und danach das Stadion auf Schalke wieder voll zu bekommen, ist schwierig. Es ist aber generell zu beobachten, dass der Publikumsandrang in Sportarten, wo deutsche Fans dominieren, rückläufig ist. Das ist ein natürlicher Prozess. Es gibt Fans, die vor 30 Jahren schon dabei waren, und viele wollen da heute wegen ihres Alters lieber vor dem Bildschirm sitzen und nicht in die Stadien gehen.

Hat der Biathlonsport ein Nachwuchsproblem bei den Fans?
Fritzenwenger: Das unterstreiche ich so. Wir müssen künftig auf die Bedürfnisse der jüngeren Generation eingehen. Im Vorfeld eines Events müssen wir deutlich mehr Aufmerksamkeit generieren. Wir sind da zu uncool und konservativ, denken zu altmodisch. Das ist kein Vorwurf, ich nehme mich da nicht aus. Beim Nachwuchs rede ich jetzt nicht von den Kids, sondern vom Klientel 20 bis 25 Jahre aufwärts. Diese Altersgruppe denkt heute anders, aber dieses Publikum müssen wir erreichen.

Was kann man da tun?
Fritzenwenger: Ich habe mir da echt Gedanken gemacht. In meinem Netzwerk habe ich Menschen, mit denen kann man darüber diskutieren, die sind nicht vom Biathlon, kommen aus der Unterhaltung, aus den Medien und aus der Wirtschaft. Hier will ich den Hebel ansetzen. Wir wollen jetzt ein Konzept erstellen. Über Namen und exakte Pläne kann ich heute noch nicht sprechen. Aber es geht darum, die Biathlon-Events ganz anders zu bewerben. Mit Schalke wollen wir jetzt loslegen. Wir müssen wieder jüngeres Publikum ins Stadion bekommen.

Man hört heraus, dass Ihre Gedanken weiter um den Biathlonsport kreisen. Sie wurden vom Dachverband IBU bei der WM in Nove Mesto auch geehrt. Waren Sie überrascht?
Fritzenwenger: Überrascht war ich vom feierlichen Rahmen. An jenem Abend wurden mit Magdalena Forsberg, Raphael Poirée und Gabriela Soukalova drei Weltklasse-Athleten in die Hall of Fame der IBU aufgenommen. Die haben zusammen über 100 Weltcups, 35 Medaillen bei Weltmeisterschaften und acht bei Olympischen Spielen gewonnen. Ich sehe es schon als große Ehre. Christoph Hamm wurde für 20 Jahre Kommentierung ausgezeichnet und ich zusätzlich für meine organisatorischen Leistungen. Als wir auf der Bühne standen, war es still im Saal – und das bei 150 Gästen.

Was nur wenige wissen: Sie sind ja auch einer der wenigen Wintersportler weltweit, die bei Olympia in zwei Sportarten gestartet sind. Wie kam’s?
Fritzenwenger: (lacht) Es war in Calgary 1988, also in Canmore, wo jetzt der letzte Weltcup für mich am Mikrofon stattfand. Geplant war der Doppelstart nicht. Ich war im Biathlonteam, lief den Einzelwettkampf und hatte Hoffnungen in die Staffel zu kommen, wo wir Medaillenchancen hatten, weil ich zwei Testrennen vor Ort gewonnen hatte. Dann wurde ein Langläufer, Stefan Dotzler, krank. Es gab keinen Ersatzmann, also wäre die Staffel geplatzt. Folge: kein Ergebnis, keine Förderung. Unser Verband hat mich überredet, ja fast gezwungen, in der Langlaufstaffel zu starten. Ich wollte nicht, weil ich mir im Biathlon viel mehr ausrechnete. Naja, sie haben es geschafft. Ich lief auf Position vier, hatte die schwierigsten Bedingungen. Wir wurden Siebter. Ich bekam tausend Dank, aber die Biathlon-Staffel holte Silber mit Peter Angerer, Fritz Fischer, Stefan Höck und Ernst Reiter.

So hat sich für Sie kürzlich beim Weltcup-Finale der Kreis in Canmore geschlossen. Hat sich in den 36 Jahren dort drüben in den Rocky Mountains viel verändert?
Fritzenwenger: Das Hauptfunktionsgebäude ist noch das gleiche. Natürlich ist das Biathlonstadion völlig neu, auch die Strecken sind viel gewaltiger. Es ist ein privat finanziertes Stadion. Viele Hobbyläufer sind dort unterwegs, müssen natürlich bezahlen. 2024 war für mich eines der schönsten Jahre zum Kommentieren. Wir waren in Östersund, Lenzerheide, Ruhpolding, Nove Mesto, Oslo und eben Canmore. Antholz wäre noch schön gewesen, doch da übertrug die ARD.

Wie steht es um das deutsche Biathlon?
Fritzenwenger: Beginnen wir bei den Damen. Da sind wir gut bestückt für die Zukunft. Selina Grotian, Julia Kink, Julia Thannheimer und noch Johanna Puff vielleicht. Man muss aber die Entwicklung abwarten. Bei der männlichen Konkurrenz haben wir mit Benjamin Menz und Leonhard Pfund zwei Junioren-Weltmeister – aber da hatte Deutschland schon einige, die leider den Sprung danach nicht geschafft haben. Also, auch da muss man abwarten. Ich hoffe auf Philipp Nawrath, der ja in der Liga von Benedikt Doll läuft. Letzterer hat eine großartige Karriere beendet. Und für Doll wird jetzt ja ein Startplatz frei.

Bleibt jetzt mehr Zeit für den Golfsport? Sie sind ja nach wie vor Präsident beim GC Ruhpolding.
Fritzenwenger: Bei uns geht’s rund, im positiven Sinn. Wir haben jetzt noch eine Klein-Golf-Anlage mit fünf Bahnen neben dem Adventure-Golf-Park für jedermann. Auch eine Biathlon-Laser-Anlage ist aufgebaut. Wir betreiben viel Marketing für Golfanfänger, die Demographie läuft im Augenblick gegen den Golfsport, das ist wie beim Biathlon. Wir müssen die Ansprache zu den Jüngeren finden.
ZUR PERSON
name Herbert Fritzenwenger


GEBURTSTAG 7. Oktober 1962 in Ruhpolding


BERUF Biathlon-Profi, Co-Kommentator, Veranstalter


MARKENZEICHEN Eine der bekanntesten Stimmen im deutschen Sport-TV


GRÖSSTE ERFOLGE Vizeweltmeister im Team 1989, WM-Dritter mit der Staffel 1985 und 1987, Olympia-Teilnehmer 1988


GUT zU WISSEN I Fritzenwenger schaute sich jedes seiner mehr als 1000 im ZDF live kommentierten Biathlon-Rennen anschließend noch einmal an.


GUT ZU WISSEN II Meistens habe er sich nach dem Hörtest seiner Kommentierung in den Rennen gedacht: „So schlecht warst du gar nicht.“


WAS ER SAGT „Ich freue mich auch darauf, ab der nächsten Biathlon-Saison dann auf der Couch zuhören zu dürfen.“