DK-Interview des Monats
Ex-Tennisprofi Kohlschreiber über seine Karriere, verloren gegangenes Feuer und sein jetziges Leben

23.03.2023 | Stand 17.09.2023, 0:37 Uhr

Über viele Jahre war Philipp Kohlschreiber Deutschlands bester Tennisspieler. Der in Königsbrunn bei Augsburg aufgewachsene Bayer gewann in zwei Jahrzehnten auf der ATP-Profitour acht Einzeltitel – und hatte unter seinen Lieblingstrainingspartnern einen Schweizer namens Roger Federer. Aber nicht nur den Maestro.

Herr Kohlschreiber, nach Ihrem Rücktritt vom Profitennis im vergangenen Jahr haben Sie den Schläger nicht sofort an die Wand gehängt, sondern die Bundesligasaison zu Ende gespielt. Und das sehr erfolgreich: Von möglichen 16 Punkten haben Sie 15 geholt. Sie hätten leicht ein Jahr auf der ATP-Tour dranhängen können. Haben Sie daran gedacht?

Philipp Kohlschreiber: Nein. Auch wenn meine Entscheidung in dem Moment spontan kam. Aber ich war schon ein bisschen länger nicht mehr so glücklich.

Inwiefern?
Kohlschreiber: Weil ich die Monate zuvor nicht mehr mein allerbestes Tennis gespielt habe. Und dann haben mir die Siege auch nicht mehr so viel gegeben. Das Glück, die Zufriedenheit, das war nicht mehr so da, wie es eigentlich sein sollte. Das Feuer ist einfach etwas verloren gegangen.

Kohlschreiber: Das Feuer ist verloren gegangen
Was waren die Gründe?
Kohlschreiber: Das ständige Reisen und Unterwegssein haben mich immer mehr Energie gekostet. Klar, Corona und die Einschränkungen sind noch hinzugekommen. Dann habe ich mich als 37-Jähriger gefragt, ob es das alles noch wert ist. Du bist mitunter 20 Stunden am Tag im Hotelzimmer irgendwo auf der Welt eingesperrt gewesen und hattest die Angst, Corona zu bekommen – und damals noch zwei Wochen in Quarantäne sein zu müssen. Außerdem keine Zuschauer bei den Matches. Am Schluss war das Tennis nicht mehr der Spaß, um es so intensiv zu betreiben. Und jetzt bin ich in der glücklichen Situation, dass ich andere Dinge machen kann, die mir auch Spaß machen.

Was zum Beispiel?
Kohlschreiber: Meine Energie geht derzeit ein bisschen stärker ins Golfen, dann fahre ich auch gerne mit dem Rennrad.

Wie kann man sich den einstigen Weltklassetennisspieler auf dem Rennrad vorstellen?

Kohlschreiber: Ich bin jetzt kein Crazy-Rennradfahrer, aber wenn es schön ist, fahre ich zwei, zweieinhalb Stunden. Das taugt mir. Man ist in der Natur, ich genieße das. Und danach trifft man sich und haut sich den Schweinsbraten rein (lacht).

Und was macht das Tennis?
Kohlschreiber: Nach Ende der Bundesliga habe ich ab Mitte August erst mal drei Monate überhaupt nicht gespielt. Mittlerweile spiele ich in der Woche wieder drei- bis viermal. Da möchte ich schon dranbleiben und mich für die kommenden Aufgaben fit halten. Ich werde auch in diesem Jahr Bundesliga spielen. Nicht für Großhesselohe, sondern für den Tennisclub Bredeney in Essen. Ich war extrem zufrieden hier in München mit Großhesselohe. Aber Essen hat angefragt. Und weil dort sehr viele junge deutsche Spieler dabei sind, habe ich mich dafür entschieden.

Wieso ist Ihnen das wichtig?
Kohlschreiber: Dieses Konstrukt erinnert mich an früher, so bin ich groß geworden, so war es später mit 15, 16 mit Bamberg in der 2. Bundesliga. Bei dieser Konstellation in Essen glaube ich, bleiben viele auch hinterher sitzen. Das reizt mich – und das ist es, auf was ich mich neben dem eigentlichen Tennis freue. Natürlich hoffe ich, dass ich im Sommer nach dem knappen Jahr Matchpause dann auch die Punkte für das Team hole.

Ex-Tennisprofi Kohlschreiber: Das mache ich jetzt
Was steht neben der Bundesliga sonst noch an?
Kohlschreiber: Ich konnte Max Rehberg von der TennisBase in Oberhaching unterstützen. Der Bursche wollte, dass ich ihn bei einem Turnier beobachte. Ein paar Wochen zuvor habe ich Ähnliches in Kitzbühel mit dem Schweizer Jerome Kym gemacht. Der ist gerade 20 geworden und trainiert bei Markus Hipfl, meinem langjährigen Tour-Trainer.

Was machen Sie genau?
Kohlschreiber: Beobachten, einschätzen, Erfahrungen weitergeben, Tipps zur Taktik und in bestimmten Spielsituationen geben. Insgesamt Dinge weitergeben, wie man sich verbessern kann und dadurch rausfindet, wo man noch ein, zwei, drei Prozent rausholen kann. Das sind im Match vielleicht vier oder fünf Punkte. Und die können entscheidend sein, weil die Chancen oft Fifty-Fifty stehen. Das macht mir sehr viel Spaß. Es ist spannend, die Jungs zu unterstützen und sie in meiner Rolle des ehemaligen Tennisprofis zu bestärken. Weil sie angehende Profis sind, kann man noch sehr viel Einfluss nehmen.

Kohlschreiber über die Rolle als Trainer und Mentor
Sehen Sie sich als Trainer?
Kohlschreiber: In der Position, in der man rund um die Uhr den Spieler betreut, erst mal nicht. Ich sehe mich eher als Mentor, der alle paar Wochen zum Training hinzukommt und sagt, was ihm auffällt und was es zu verbessern gibt. Und natürlich spiele ich auch mit.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit einem Mentor gemacht?
Kohlschreiber: In der Anfangszeit als Bub daheim in Königsbrunn, später beim TC Augsburg hat mein Papa alles organisiert, die Trainer und Trainingspartner ausgesucht, natürlich Chauffeur gespielt und insgesamt sehr viel Zeit investiert. Das war ja die Zeit Ende der 90er, als die Schweden unglaublich viele gute Spieler und ein gutes Standing im Tennis hatten. Man hat in ihnen viel Gutes gesehen, vor allem die ruhige Art. Bei mir hat sich die Chance aufgetan, bei Stefan Eriksson am Leistungszentrum Oberhaching, beim besten Trainer in der Gegend, zu trainieren. Das hat mir als 14-Jährigem und meinem Vater imponiert.

Haben Sie damals dann vorspielen müssen?
Kohlschreiber: Genau. Und der Stefan hat sich glücklicherweise für mich entschieden. Mich hat er erst mal zu einem guten Tennisspieler zu dem Zeitpunkt gemacht und mir menschlich sehr viel mitgegeben. Dafür muss man seinen ganzen Wegbegleitern unglaublich dankbar sein.

Was braucht man noch?
Kohlschreiber: Natürlich das Quäntchen Glück und Talent. Und dass der Körper mitspielt. Leider haben es viele Leute, zum Teil Wegbegleiter und Freunde von mir, nicht ganz bis zum Profi geschafft.

Wie haben Sie es geschafft, über eine so lange Zeit das hohe Level zu halten?
Kohlschreiber: Ich bin kein schlechter Verlierer, ich hasse es aber zu verlieren. Wenn mich einer besiegt und gut spielt: volle Anerkennung. Wenn ich auf dem Platz war, habe ich mir immer gesagt: Gegen den willst du nicht verlieren aus dem und dem Grund. Und das hat mich zumindest während des Matches zur Höchstleistung angespornt.

So sieht Kohlschreiber seine Tennis-Karriere
Wie schauen Sie heute mit etwas Abstand auf Ihre 20-jährige Karriere zurück?
Kohlschreiber: Die Jahre sind erst mal unglaublich schnell vorbeigegangen. Vielleicht hatte ich in meinem Tennisleben nie so die extremen Ausschläge. Klar hätte ich mir gewünscht, mal eine Top-Ten-Platzierung gehabt oder ein Grand-Slam-Finale gespielt zu haben. Und ich bin umgekehrt nie in ein richtiges Loch gefallen oder war länger verletzt und dadurch aus den großen Turnieren rausgefallen. Ich war das bayerische Dieselwerk, der Dauerläufer, der immer seine Leistung bringt.

Waren Sie als Mensch auch immer so konstant?
Kohlschreiber: Wenn ich das ein bisschen wirken lasse, passt dieses Beständige und Solide im Beruf auch zu mir als Mensch. Ich bin ausgeglichen, im Großen und Ganzen jeden Tag gleich gut drauf, bin mit meiner Freundin, jetzigen Frau, 21 Jahre zusammen. Ich muss auch nicht auf Social Media irgendwas posten und zeigen, wie toll man ist, welche Autos man fährt, auf welcher Jacht man gerade ist. So was wird es von mir auch nicht geben. Ich bin zur Anständigkeit und Bodenständigkeit erzogen worden.

Was hat sich im Herren-Profitennis im Laufe der Jahre verändert?

Aggressivität und Schlaggeschwindigkeit?

Kohlschreiber: Absolut. Immens. Die Spieler sind viel mehr als früher darauf aus, schnell zu spielen und Winner zu schlagen. Anfangs zu meiner Zeit war es so, dass du versucht hast, den Gegner auszuspielen, Variationen reinzubringen. Heutzutage musst du mit dem Tempo mitgehen können, sonst siehst du kein Land. Ich war relativ anpassungsfähig.

Auf niedrigem Niveau sucht man sich seine Sparringspartner oft danach aus, wie man mit ihnen persönlich und spielerisch zusammenpasst. Hat das bei Ihnen auch diese große Rolle gespielt?
Kohlschreiber: Absolut. Und genau, es muss auch menschlich passen. Wenn ich zum Beispiel eine Phase hatte, in der ich weniger Selbstvertrauen oder die Bälle nicht so gespürt hatte, habe ich mir eher Spielertypen gesucht, die vielleicht etwas schwächer oder einen Tick defensiver gespielt haben. So, dass man sich wieder einen Rhythmus erspielt. Natürlich habe ich durchgewechselt, man muss sich auf alles mal einstellen.

Passende Sparringspartner haben sich immer gefunden, oder?
Kohlschreiber: Man ist ja sowas wie eine große Travel-Familie. Man reist das ganze Jahr mit den gleichen Spielern. Das waren zwischen 30 und 60. Die siehst du jede Woche, weil sie dieselben Turniere spielen. Klar, Roger Federer spielt nicht jede Woche, die ab etwa Rang 20 schon. Da kennt man sich und hat Leute, mit denen man sich gut versteht. Roger, das war zumindest mein Gefühl, hat gerade an den ersten Turniertagen ganz gerne mit mir trainiert. Weil er wusste, was er von mir bekommt.

Nämlich?
Kohlschreiber: Extrem guten Rhythmus, gutes Niveau, gute Stimmung auf dem Platz. Mit ihm habe ich besonders gerne trainiert. Mein Ziel war immer, so oft wie nur möglich mit den Besten der Besten zu trainieren. Die spielen einen noch besseren Tennisball, noch ein bisschen schneller, noch platzierter. Das setzt einen selbst im Training noch mehr unter Druck. Und dann waren das noch tolle Typen. Auch zum Beispiel mit Roberto Bautista Agut oder Dominic Thiem. Es war für mich eine Ehre und eine tolle Zeit.

Kann man irgendwann überhaupt noch was dazulernen?
Kohlschreiber: Im Tennis kann man immer dazulernen. Es gibt so viele Schläge und Situationen. Deswegen war auch immer mein Motto, wenn ich in der Entwicklung stehenbleibe, ist es ein Rückschritt. Man versucht, ein, zwei Prozent immer noch weiter rauszuholen. Wie kann man noch ein bisschen schneller oder platzierter aufschlagen. Technisch gibt’s beim Profi keine großen Probleme, da geht’s um Kleinigkeiten, auch um ganz kleine Fehler, die sich immer wieder mal einschleichen und die es zu korrigieren gilt. Man holt plötzlich zu hoch aus, oder der Ausschwung ist nicht mehr so exakt. Da versucht man, durch viele Wiederholungen Sicherheit und Stabilität reinzubringen.

Was haben Sie zur Stabilität der Psyche für die vielen Drucksituationen gemacht?
Kohlschreiber: Ich habe gerne mit jemandem geredet, der selbst solche Situationen durchlebt hat. Durch das viele Kommunizieren und Bestärken außerhalb des Platzes konnte ich mich auf entscheidende Phasen im Match vorbereiten und sie schon vorher verarbeiten. Denn wenn der Kopf anfängt zu denken, wird’s schwierig.

DK


Das Gespräch führte Thomas Floerecke.