20 Beschuldigte, 280 Einsatzkräfte
Razzia gegen „Reichsbürger“ in acht Bundesländern – auch in Bayern

23.11.2023 | Stand 23.11.2023, 20:30 Uhr

„Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen – und etwa auch Fantdpaasiepässe aus einem „Deutschen Reich“ benutzen.  − Symbolbild: dpa

Wieder gehen Ermittler gegen sogenannte Reichsbürger vor – auch in Bayern. Mit der mutmaßlichen Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß scheint die Gruppierung aber zunächst nicht vergleichbar zu sein. Federführend waren das Polizeipräsidium Oberbayern-Nord und die Generalstaatsanwaltschaft München.



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Rund 280 Einsatzkräfte haben am Donnerstagmorgen 20 Wohnungen in acht Bundesländern im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen mutmaßliche „Reichsbürger“ durchsucht. Den 20 Beschuldigten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (beide CSU) mitteilten.

Vor drei Jahren gerieten mehrere Telegram-Kanäle in den Fokus der Polizei



„Die Reichsbürgergruppierung hat im großen Stil bundesweit staatliche Einrichtungen beleidigt und teilweise massiv bedroht, hauptsächlich über Social Media“, sagte Herrmann. Zu konkreten Übergriffen sei es nach Erkenntnissen der Ermittler aber bislang nicht gekommen.

Seit Anfang des Jahres 2021 gerieten laut Polizei mehrere Kanäle auf dem Instant-Messaging-Dienst Telegram in den Fokus der Polizei. Über diese Kanäle wurden zum einen reichsbürgertypische Thesen und Verschwörungstheorien verbreitet, ab Mitte August 2021 zudem angeblichen Opfern staatlichen Handelns „Hilfe“ angeboten. Der Betreiber der Kanäle organisierte hierbei die massenhafte Kontaktaufnahme mit Behörden durch Telefon und E-Mail, um diese zu Entscheidungen im Sinne der Mitglieder der Vereinigung zu zwingen.

Ziel der Personen: Die Bundesrepublik Deutschland sowie ihre staatlichen Einrichtungen zu destabilisieren



Bei den Razzien waren Beamte in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Niedersachsen und Hamburg im Einsatz. Ein Schwerpunkt war Baden-Württemberg mit zehn Durchsuchungen. Laut Herrmann wurden eine Schreckschusswaffe, Reizstoffgeräte, Smartphones und Datenträger sichergestellt. „Waffen waren nicht darunter“, hieß es in der Mitteilung der Ministerien.

Die federführende Generalstaatsanwaltschaft München teilte mit, die Gruppe habe durch die gezielte, massenhafte Kontaktaufnahme mit Behörden deren Kommunikationswege blockieren und damit Einfluss auf deren Entscheidungen nehmen wollen. Übergeordnetes Ziel sei es gewesen, die Bundesrepublik Deutschland und ihre Einrichtungen zu destabilisieren und rechtmäßiges staatliches Handeln zu verhindern oder zumindest zu erschweren. „Die Gesprächspartner wurden beispielsweise mit Reichsbürgerthesen konfrontiert, der Begehung von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen bezichtigt, beleidigt und teilweise mit dem Tode bedroht.“ Die Ermittler sprachen von einem „Telegram-Netzwerk von Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern“.

Mutmaßlicher Anstifter kommt aus Oberbayern



Der mutmaßliche Rädelsführer der „Reichsbürger“-Gruppe kommt aus Oberbayern, aus Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck. Der 58-Jährige wurde laut Generalstaatsanwaltschaft München bereits im November 2021 festgenommen. Im April 2022 wurde der Mann unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Nötigung vor dem Landgericht München I angeklagt. Das Verfahren ist nach Angaben der Ermittler noch nicht abgeschlossen. Der Mann soll den maßgeblichen Telegram-Kanal der Gruppierung betrieben haben.

Bei den weiteren Ermittlungen stieß die Generalstaatsanwaltschaft dann auf zahlreiche weitere mutmaßliche Mitglieder der kriminellen Vereinigung, „welche teilweise ebenfalls dem Personenkreis der Reichsbürger und Selbstverwalter zugerechnet werden“. Bei 20 davon wurde am Donnerstag nun durchsucht, um Beweismittel sicherzustellen und weitere mögliche rechtswidrige Strukturen aufzudecken. „Alle Beweismittel werden akribisch ausgewertet“, sagte Innenminister Herrmann. Ziel sei „eine weitere Aufhellung des Reichsbürgerumfelds“.

Mehrere Verdächtige bereits im Oktober festgenommen



„Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 2022 deutschlandweit etwa 23 000 Menschen zu, 2000 mehr als im Vorjahr.

Erst im Oktober hatten Einsatzkräfte in mehreren Ländern zahlreiche Wohnungen sogenannter Reichsbürger durchsucht, die dem Umfeld der mutmaßlichen Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ zugerechnet wurden. Dabei waren insgesamt fünf Verdächtige festgenommen worden.

Die Ermittlungen zu den „Vereinten Patrioten“ waren auch Ausgangspunkt für die Ermittlungen zu der Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß gewesen, deren mutmaßliche Rädelsführer im Dezember 2022 verhaftet worden waren. Diese Gruppierung soll vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen und eine neue Regierung zu installieren.

Auch einige der „Reichsbürger“-Gruppierungen, gegen die der Generalbundesanwalt ermittelt, hatten sich aus einer Vernetzung via Social Media heraus entwickelt.

− dpa/che