Täter machen Millionenbeute
Mehr als 60 Geldautomaten in Bayern gesprengt: In Bamberg startet ein Mammutprozess

24.04.2024 | Stand 25.04.2024, 11:58 Uhr

Am 7. November wurde im Regensburger Westen eine Sparda-Bank-Filiale gesprengt. Damals erbeuteten die Täter mehr als 30.000 Euro – der Schaden war um ein Vielfaches höher: Laut Anklage lag er bei rund 195.000 Euro. − Foto: Baumgarten

Es geht um drei Millionen Euro Beute und mehr als 5,5 Millionen Euro Schaden: Am Donnerstag startet vor dem Landgericht Bamberg ein Mammutprozess. 16 Mitglieder einer professionellen Bande, die in ganz Deutschland mehr als 100 Geldautomaten gesprengt haben soll, sind in 30 Fällen angeklagt. Dreimal knallte es in der Region.



Die mutmaßliche Bande aus den Niederlanden hat seit 2021 bundesweit fast jede Woche Geldautomaten gesprengt. Erst eine Groß-Razzia in den Niederlanden beendet die Serie Ende Januar 2023 abrupt – da wurden die Verdächtigen seit Wochen akribisch überwacht. Die Staatsanwaltschaft in Bamberg hat Anklage gegen 16 Männer zwischen 23 und 42 Jahren erhoben, die zur sogenannten Mocro-Mafia gehören sollen.

Ihnen werden rund 100 Taten zugeschrieben. Für 30 Fälle stehen sie ab Donnerstag vor Gericht. Elf davon trafen Geldautomaten in Bayern – auch in der Region. Drei Fälle aus Oberbayern und der Oberpfalz werden vor dem Bamberger Landgericht verhandelt: Die Explosion in Luhe-Wildenau (Landkreis Neustadt an der Waldnaab) am 25. Oktober 2022, die Sprengung eines Sparda-Bank-Automaten in Regensburg am 7. November 2022 und der Fall aus dem Landkreis Altötting, bei dem ein Sparkassen-Automat in Töging am Inn am 4. November 2022 in die Luft gejagt wurde.

Die konkreten Vorwürfe lauten: schwerer gewerbsmäßiger Bandendiebstahl, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Zerstörung von Bauwerken. Drahtzieher sind unter den Beschuldigten allerdings keine, denn „die wahren Köpfe dahinter kennt niemand“, sagen Ermittler. 74 Verhandlungstage hat das Landgericht angesetzt.

Trainingslager für professionelle Automatensprengung



Mitglieder akquiriert die übergeordnete strukturierte Bande größtenteils unter marokkanisch-stämmigen Einwanderern der zweiten Generation in den Niederlanden. Wie sie professionell und mit geringer Entdeckungswahrscheinlichkeit die Geldautomaten sprengen, wird den Tätern – nach Erkenntnissen der Polizei und Staatsanwaltschaft – in speziellen Trainingslagern und Camps beigebracht. Bei den fast 100 Taten, die ihnen ab Jahresanfang 2021 zugeordnet werden, scheiterten sie fast nie. Zudem hätten sich die Täter in der Häufigkeit ihrer Coups deutlich gesteigert.

Das Vorgehen der Täter folgt einem Schema: Frühmorgens, meist zwischen 3 und 5 Uhr, fahren sie mit ihrem Fluchtfahrzeug direkt vor die Bank. Der Fahrer bleibt im Auto sitzen, während die zwei bis drei anderen Täter die Automaten mit Brecheisen aufbrechen, um den Sprengstoff an passender Stelle zu platzieren. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um einen Festsprengstoff. Nach der Explosion sammeln die Täter in kürzester Zeit so viel Geld wie möglich ein und flüchten. Das alles dauerte in der Regel nur drei bis zehn Minuten.

Täter im Fall Regensburg versteckten sich in Scheune



Auffällig: Für ihre halsbrecherische Flucht in meist hochmotorisierten Kombi – bevorzugt das RS-Modell eines Ingolstädter Herstellers – hatten die Automaten-Bomber Kraftstoff in rauen Mengen im Kofferraum. Getankt wurde, das zeigten Ermittlungen zum angeklagten Fall in Regensburg, oftmals in der unmittelbarer Nähe. Nach der Sprengung im Regensburger Westen wählten sie beispielsweise eine Scheune in Brunn bei Berathausen (Landkreis Regensburg). Schlagzeilen machte kürzlich auch ein Fall aus Franken, bei dem die Flucht ausnahmsweise nicht gelang: Die Täter hatten einen Wildunfall – der legte das Auto lahm und machte ihren Vorsprung zunichte.

Sogar das Bundeskriminalamt sah im Vorgehen der Bande „eine neue Qualität der Gewalt“. Angeklagt wurde im aktuellen Fall nur ein Viertel der Taten: Das sind Fälle von Ende 2021 bis zur Razzia Anfang 2023. Betroffen waren hierbei verschiedene Banken quer durch das gesamte Bundesgebiet. Schwerpunkte waren aber Bayern und Baden-Württemberg.

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Im vergangenen Jahr konnte die Polizei bereits zwei große Fahndungserfolge feiern. Im Januar wurden zusammen mit der niederländischen Polizei neun Menschen zwischen 25 und 41 Jahren verhaftet, denen die Polizei mehr als 50 Straftaten zuordnet. Alleine in Bayern gab es bis dahin 34 solcher Geldautomatensprengungen, bei denen ein Schaden von mehr als vier Millionen Euro entstand und die Täter über 3,4 Millionen Euro erbeuten konnten. Eine zweite Gruppe von vier Tätern, denen mindestens sechs Sprengungen zugeordnet werden können, konnte im September 2023, ebenfalls in den Niederlanden, dingfest gemacht werden. Sie erbeuteten mindestens 400.000 Euro.

Justizgebäude in Bamberg ist zu klein



Die spektakuläre Prozess mit 16 Angeklagten und 74 angesetzten Verhandlungstagen wird aber nicht wie üblich im Justizpalast am Bamberger Wilhelmsplatz stattfinden. Die dortigen Sitzungssäle sind alle zu klein. Stattdessen wird er in der John F. Kennedy-Sporthalle über die Bühne gehen – dort haben einst US-Soldaten Sport getrieben. Eine logistische und personelle Herausforderung für die beteiligten Polizeidienststellen, denn die Angeklagten sind aus Sicherheitsgründen auf alle nur denkbaren Justizvollzugsanstalten verteilt.