Tiere leiden unter Klimawandel
„Hitzestress“ ab 20 Grad: Ist Bayern bald zu heiß für Kühe?

Tierwohlexpertin Dr. Rosemarie Oberschätzl-Kopp erklärt Maßnahmen

05.09.2023 | Stand 12.09.2023, 22:13 Uhr

Willkommene Abkühlung: Auf dem Betrieb von Michael Huber in Steinrab bei Truchtlaching können sich Kühe unter einer Dusche erfrischen, wenn es zu heiß wird. Der Andrang ist an warmen Tagen riesig. −F.: Huber/

Die großen Hitzewellen des Jahres sind vorbei, derzeit herrscht angenehmes Spätsommerwetter – so empfinden es zumindest Menschen. Nutztieren wie Kühen ist es hingegen schon ab 20 Grad zu heiß.



Darauf wies Dr. Rosemarie Oberschätzl-Kopp vergangene Woche beim BayWa-Expertentag Dürre hin. Die promovierte Agrarwissenschaftlerin leitet beim Münchner Konzern den Bereich Tierwohl und Futtermittel und sagt, dass acht von zehn Bauern Nachholbedarf in Sachen besseres Stallklima haben. Im Interview mit der Mediengruppe Bayern erklärt sie, wie sich Hitze auf die Tiere auswirkt, was Landwirte tun können und ob Nutztierhaltung angesichts des Klimawandels hierzulande irgendwann gar nicht mehr möglich ist.

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Frau Oberschätzl-Kopp, welche Tiere leiden besonders unter der Hitze?
Rosemarie Oberschätzl-Kopp: Grundsätzlich machen langanhaltende Trockenperioden und hohe Temperaturen allen Tieren zu schaffen. Da geht es ihnen nicht anders als uns Menschen. Bei unseren Nutztieren, insbesondere bei unseren Milchkühen, müssen wir jedoch genau hinschauen. Denn eine Kuh mit einer durchschnittlichen Milchleistung von 8000 Litern pro Jahr produziert die ersten drei Monate nach der Geburt ihres Kalbes etwa eine Wärmeleistung von 1500 Watt. Im Vergleich dazu haben wir Menschen im Ruhezustand eine Wärmeleistung von nur 100 Watt. Das bedeutet: Eine Kuh ist eine Hochleistungssportlerin. Hohe Temperaturen machen ihr besonders zu schaffen und wirken sich negativ auf die Milchleistung und die Gesundheit aus.

Ab wann spricht man bei Kühen von Hitzestress?
Oberschätzl-Kopp: Die Wohlfühltemperatur einer Kuh liegt zwischen 4 und 16 Grad Celsius. Wenn wir uns also bei angenehmen 20 Grad zum ersten Mal mit T-Shirt und kurzer Hose aus dem Haus trauen, wird es Kühen schon zu heiß. Neben der Umgebungstemperatur spielt aber auch die Luftfeuchtigkeit eine entscheidende Rolle. Der international anerkannte Temperatur-Humiditäts-Index (THI) gibt hier erste Anhaltspunkte. So ist bei 25 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit bereits von moderatem Hitzestress auszugehen. Temperaturen über 30 Grad Celsius, mit einer Luftfeuchte von über 50 Prozent, führen zu schwerem Hitzestress.

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Wie äußert sich das?
Oberschätzl-Kopp: Es gibt mehrere Anzeichen dafür, dass eine Kuh unter Hitzestress leidet: Normalerweise liegen Kühe gerne. Rund 12 bis 14 Stunden am Tag. Ist es ihnen im Stall zu heiß, stehen sie und sammeln sich an Tränken oder vor offenen Türen und unter Ventilatoren, wo ein leichter Luftzug herrscht. Auch die Atemfrequenz der Kühe steigt an – bei sehr starkem Hitzestress, beginnen sie zu hecheln, wie wir es sonst nur von Hunden kennen. Und die Tiere fressen weniger. Dadurch können Stoffwechselprobleme entstehen. Langfristig zeigt sich der Hitzestress auch in einer reduzierten Fruchtbarkeit, Probleme bei der Klauengesundheit und einer sinkenden Milchleistung.

Wie viel weniger Milch gibt eine Kuh, der es zu heiß ist, denn?
Oberschätzl-Kopp: Eine Erhöhung des THIs um nur einen Punkt kann bereits dazu führen, dass die Milchleistung um 1/4 Liter pro Kuh und Tag absinkt. Hitzestress ist folglich nicht nur unangenehm für die Tiere, sondern wird auch für den Landwirt schnell ein wirtschaftliches Thema. Daher ist es wichtig, Hitzestress zu erkennen und vorzubeugen.

Was kann man als Landwirt tun, um für Abkühlung in und rund um den Stall zu sorgen?
Oberschätzl-Kopp: Damit es gar nicht erst zum Hitzestress kommt, erarbeiten wir gemeinsam mit Landwirten Lüftungskonzepte für den Stall. Hinzu kommen Maßnahmen wie Schattenplätze, Tränken, Ventilatoren oder Kuhduschen, die im Akutfall Abkühlung versprechen. Wichtig sind hier der ganzheitliche Blick und die gezielte Steuerung der Einzelmaßnahmen anhand von Daten, die über Sensoren im Stall gewonnen werden. Allein eine Stellschraube anzupassen, reicht nicht aus, um das Thema Hitzestress bei Kühen effektiv managen zu können.

Und was gilt für die Fütterung?
Oberschätzl-Kopp: Bedingt durch die hohen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit geht die Futteraufnahme bei Hitze tagsüber zurück, nimmt aber bei sinkenden Temperaturen abends wieder zu. Bedenken sollte man, dass sich das Futter bei hohen Temperaturen oft nacherwärmt. Dadurch können sich Hefen und Pilze vermehren, die für die Kuh schädlich sind. Deshalb ist es ratsam, in besonders heißen Perioden abends und in den frühen Morgenstunden zu füttern sowie zusätzlich mit einem Stabilisator in Form von organischen Säuren der Nacherwärmung des Futters vorzubeugen.

Wenn der Klimawandel weiter so voranschreitet – muss man sich dann irgendwann von gewisser Nutztierhaltung hierzulande verabschieden?
Oberschätzl-Kopp: Die Kuh wird vorerst nicht aus den deutschen Ställen und von Weiden und Wiesen verschwinden, nein. Aber auch die Nutztierhaltung wird sich künftig an die sich verändernden klimatischen Gegebenheiten anpassen müssen. Vom Stallbau bis hin zum Herdenmanagement. Die eben beschriebenen Maßnahmen zeigen schon heute, was möglich ist. Auch die Fütterung wird, bedingt durch fortschreitende klimatische Veränderungen, angepasst und weiterentwickelt werden – beispielsweise, um über die Fütterung den Methanausstoß von Kühen zu reduzieren oder Hitzestress vorzubeugen. Im Übrigen binden gerade Futterflächen für Tiere, sogenanntes Grünland, viel CO2, konkret: 200 Tonnen CO2 pro Hektar. Damit verfügen Weideflächen für Tiere über höhere Humusvorräte als Acker- oder Waldboden. Wir brauchen sie also für den Klimaschutz.