Internationales Forschungsteam
Historiker arbeiten Olympia-Attentat auf

06.09.2023 | Stand 07.09.2023, 23:00 Uhr

Historiker beginnen Aufarbeitung des Olympia-Attentats von 1972 - Ein Teil des Forschungsteams besucht den Erinnerungsort zum Olympia-Attentat. - Foto: Lukas Barth/dpa

Wer war schuld, dass eine Befreiung der Geiseln misslang? Wieso dauerte es so lange, bis die Angehörigen entschädigt wurden? Viele Fragen zum Olympia-Attentat von 1972 sind bis heute offen. Akten sind noch unter Verschluss. Jetzt starten Historiker eine Aufarbeitung.

Ein halbes Jahrhundert nach dem Olympia-Attentat in München 1972 sollen offene Fragen wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Eine von Bundesinnenministerium eingesetzte internationale Historikerkommission nahm zum 51. Jahrestag des Anschlags auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen die Arbeit auf. Acht Wissenschaftler wollen drei Jahre die Vor- und Nachgeschichte unter die Lupe nehmen und die Ereignisse bewerten.

Die Aufarbeitung «war und ist längst überfällig», sagte die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Juliane Seifert, am Mittwoch. Sie sicherte die Unterstützung beim Zugang zu staatlichen Akten zu. Etwa manche nachrichtendienstlichen Quellen blieben bisher verschlossen. Das Ministerium finanziert die Arbeit mit 3,5 Millionen Euro.

Die Forscher wollen unter anderem das Sicherheitskonzept der Spiele, das Agieren von Behörden und Politik, die Folgen für die deutsche Nahostpolitik sowie den Umgang mit den Opfer-Angehörigen beleuchten.

«Der Umgang der deutschen Behörden mit den Opferfamilien hat viele Dissonanzen erzeugt», sagte Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, das mit der Kommission zusammenarbeitet. Er hoffe, dass diese Aufarbeitung hier einen Wendepunkt markiere. Ein besonders wichtiges und sensibles Thema sei der Zugang zu Quellen, die nach wie vor teils gesperrt seien. Zudem sollen Zeitzeugen gehört werden. «Erinnerung braucht Klarheit und Wahrheit», sagte Wirsching.

«Was gibt es noch zu verbergen», fragte Shlomo Shpiro von der Bar-Ilan-Universität Tel Aviv. «Wo sind die Asservate, wo sind die Waffen?» Und: «Warum sind die Kaliber so verheimlicht»? Teils würden sogar Eheringe und Armbanduhren der Opfer nicht herausgegeben. In Israel sei der Anschlag von München fest im Gedächtnis vieler Menschen verankert. Es gehe aber nicht nur darum, die Geschichte aufzuarbeiten, sondern auch aktuelle Bedrohungen durch den Terror besser zu verstehen und sich besser zu schützen.

Christopher Young von der Universität Cambridge wies auf offene Fragen hin beim nachrichtendienstlichen Austausch im Vorfeld des Anschlags, zu Netzwerken der Attentäter sowie deren Unterstützung durch deutsche Links- und Rechtsextremisten. Dass die Attentäter von Rechtsextremisten unterstützt wurden, war - wie bei anderen Attentaten - lange nicht thematisiert worden. «Ebenso muss hinterfragt werden, warum Angebote der israelischen Regierung, eine Eliteeinheit zur Befreiung der Geiseln einzufliegen, abgelehnt wurden.» Bis heute offen sei auch, was bei der Entführung der Lufthansa-Maschine «Kiel» zur Freipressung von drei Attentätern geschah und welche Rolle die Bundesregierung hier spielte.

Im Rahmen ihres ersten Treffens besuchten die Forscher am Mittwoch den Erinnerungsort auf dem Olympiagelände. Beschlossen wurde die Kommission im vergangenen Herbst zum 50. Jahrestag des Attentats. Damals hatten sich die Hinterbliebenen nach jahrzehntelangem Kampf mit der Bundesregierung auf eine Entschädigung von 28 Millionen Euro geeinigt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte die Angehörigen im Namen der Bundesrepublik um Vergebung gebeten.

Am 5. September 1972 erschossen palästinensische Terroristen im Olympischen Dorf zwei Männer und nahmen neun Geiseln. Rund 18 Stunden später endete ein Befreiungsversuch mit dem Tod der neun israelischen Geiseln, eines Polizisten und von fünf der Attentäter. Die Terroristen wollten mehr als 200 Gefangene in Israel und die RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof freipressen.

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