Schon bald nach der Reformation
Protestanten in Vohburg wohl bereits vor fast 500 Jahren

12.10.2023 | Stand 12.10.2023, 19:30 Uhr
Johann Bauer

Der „Kanzelstein“ hinter dem heutigen Arnold-Anwesen an der Burgstraße in Vohburg. Foto: Bauer

Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Vohburg/Geisenfeld feiert heuer zwar ihr 50-jähriges Bestehen als solche, evangelische Christen gab es aber schon sehr viel früher in Vohburg.

Die ersten evangelischen Gläubigen kamen nicht etwa, wie oft vermutet wird, als Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg nach Vohburg, sondern sehr viel früher. Aufzeichnungen sprechen dafür, dass die ersten Protestanten schon kurz nach der Reformation in Vohburg auftauchten.

Nicht zu den Protestanten, da von Luther bekämpft, zählen die Wiedertäufer. Wir wissen, dass am 25. Mai 1545 auf fürstlichen Befehl mehrere Wiedertäufer von Vohburg nach Ingolstadt gebracht wurden. Ihr Anführer war ein gewisser Damian. Der Bayernherzog selbst hatte befohlen, dass die Geistlichen und Gelehrten „fleiß haben, ob er revoziert (widerruft)“. Anderenfalls soll er verbrannt werden. Widerruft er, darf er aus Gnade mit dem Schwert hingerichtet werden. Wenn es in Vohburg zu dieser Zeit bereits Wiedertäufer gegeben hat, stellt sich die berechtigte Frage, ob es auch Lutheraner gegeben hat. Vieles spricht dafür.

Andere Möglichkeiten als Vohburger Kirchen

Fast zur selben Zeit gab es in Vohburg den Pfleger Wernher von Muggenthal. Er amtierte von 1525 bis 1557 in Vohburg und war als eifriger Anhänger des lutherischen Glaubens bekannt. Muggenthal ritt jährlich in das lutherische Neuburg an der Donau, um dort das Abendmahl unter beiderlei Gestalt (Brot und Wein) empfangen zu können. So tief war er von seinem Glauben überzeugt.

Es ist anzunehmen, dass unter seiner Duldung mehrfach evangelische Geistliche nach Vohburg gekommen sind, um dort zu predigen. Die Vohburger Kirchen dürften ihnen wohl verschlossen geblieben sein. Aber es gab andere Möglichkeiten.

Im Westen fällt der Burgberg ziemlich steil Richtung Burgstraße ab. Dort existiert ein kleiner Jurabuckel, der einigen älteren Vohburgern aus ihrer Kinderzeit noch als sogenannter „Kanzelstein“ in Erinnerung ist. Pfarrer Josef Reindl, der hier von 1913 bis 1922 Pfarrer war (gestorben 1946), betätigte sich auch als Heimatforscher. Er vermutet in seinen Aufzeichnungen zur Geschichte Vohburgs, dass dieser Stein mit der Laienkelchbewegung und dem Protestantismus zusammenhängt. Seiner Meinung nach haben genau von diesem Stein aus evangelische Geistliche gepredigt. Die Zuhörer sollen sich jeweils auf den Hängen des Burgberges niedergelassen haben, um die neue Lehre kennenzulernen.

Fast fünf Jahre lang ein gutes Klima

Wie war so etwas tief im katholischen Bayern möglich? Blicken wir dazu nach München. Nachdem Herzog Wilhelm IV. am 6. März 1550 gestorben war, ein absoluter Mann der katholischen Kirche, folgte ihm sein Sohn Herzog Albrecht V., erst 22 Jahre alt, in der Regentschaft von 1550 bis 1579. Zwar war auch Albrecht Katholik, neigte aber in Religionssachen zunächst zu Toleranz und Ausgleich und hielt viel von seinen Ratgebern, die ihn zu einer Politik des Nachgebens in unwesentlichen Dingen (Laienkelch und Zölibat) anregten. In Ingolstadt hatte dies zur Folge, dass die Jesuiten, kaum dass sie der Herzog gerufen hatte, am 28. Januar 1552 zur Abreise nach Wien befohlen worden waren. Rund zwei Jahre dauerte es, bis die Jesuiten wieder zurückkamen. Es herrschte also fast fünf Jahre lang ein gutes Klima für Protestanten.

Ein Zweites könnte die Gegend um Ingolstadt fruchtbar für die neue Lehre gestimmt haben. Mit Sicherheit hat ein Dr. Johannes Eck aus Ingolstadt nicht aus der leeren Hand heraus gegen Luther geschrieben. Mindestens Flugblätter müssen damals in Umlauf gewesen sein. Und neben dem Katholiken Eck wirkte eine zeitlang auch ein bekannter Lutheraner in Ingolstadt. 1515 hatte bei dem damals berühmten Johannes Reuchlin ein Student aus Augsburg namens Johann Forster die Vorlesung besucht. Forster erhielt 1517 das Bakkalaureat, erwarb auch noch den Grad eines Magisters der freien Künste und promovierte 1539. Forster kam wohl in Ingolstadt mit lutherischen Flugschriften in Kontakt und wurde wohl auch in Ingolstadt zum Lutheraner. In Ingolstadt jedenfalls wird Forster als erster evangelischer Theologe mit Doktortitel erwähnt (allerdings kam der evangelische Doktortitel aus Tübingen, nicht aus Ingolstadt). Bekannt wurde er vor allem durch seine hebräischen Sprachstudien. In Ingolstadt legte er die Grundlagen für sein wissenschaftliches Werk, das hebräische Lexikon „Dictionarium hebraicum novum“. Es ist anzunehmen, dass er auch über Ingolstadt hinaus wirkte, wird er doch als „Gigant im Geiste“ (Saalfeld) geschildert.

Für Ungläubige braucht man nicht zu beten

Freilich dürften die evangelischen Geistlichen zum damaligen Zeitpunkt einen sehr schwierigen Stand gehabt haben. Vielleicht sogar unter Lebensgefahr von dem neuen Glauben berichtet haben. Überliefert ist aus München eine Anweisung des damaligen Kanzlers: „Die Personen so unter der Meß das hochwürdige Sakrament sub utraque (unter beiderlei Gestalt) empfangen, dürfen bei der Stadt begraben werden. Welche aber von den Predikanten (also von den evangelischen Geistlichen) dasselb empfangen, gehört solches vor den Herzog.“ Will heißen: vor Gericht. Wie hart mit evangelischen Christen umgegangen worden ist, belegt eine Bittstellung aus Ingolstadt. Als 1565 ein Bürger evangelischen Glaubens gestorben war und Bittsteller beim Stadtpfarrer wegen einer Beerdigung vorsprachen, antwortete dieser nur „pro infidelibus non est orandum“ (für Ungläubige braucht man nicht zu beten).

Wenn die evangelisch-lutherische Kirche Vohburg/Geisenfeld mit dem Pfarramt in Vohburg dieser Tage also ihr 50-jähriges Bestehen feiert, so kann sie mit einem gewissen Stolz darauf hinweisen, dass es vermutlich schon vor fast 500 Jahren auch in Vohburg Christen evangelischen Glaubens gegeben hat.
Quellen: Wilhelm Germann: D. Johann Forster, der Hennebergische Reformator; Selbstverlag 1894; Max Kirschner: Der Vohburger „Kanzelstein“; in: Unsere Heimat, 113. Jg., Nr. 2/1972; Sebastian Lechner: Mündliche Überlieferung gegenüber dem Verfasser.